Henning Hübert: Heute ist Holocaust-Gedenktag, in Rathäusern, Parlamenten, Schulen gab es zahllose Erinnerungsveranstaltungen. Da wurden Reden gehalten, Briefe vorgelesen, Gunter Demnigs auf den Bürgersteigen der Republik eingelassene Messing-Stolpersteine gesäubert. Eingeführt wurde dieser Gedenktag im Jahr 1996 unter Bundespräsident Herzog – Bezug genommen wird damit auf die Befreiung der meist jüdischen Inhaftierten des größten deutschen Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau durch die Sowjetarmee am 27. Januar 1945. Besonders im Fokus steht dieses Jahr das Berliner Denkmal für die ermordeten Juden Europas unweit des Brandenburger Tores. Die 2005 fertiggestellte begehbare Stelen-Installation des amerikanischen Architekten Peter Eisenman ist ein Denkmal, das viele berührt, aber auch heraus- oder überfordert. Und missverstanden wird. Die Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann befasst sich mit Erinnerungskultur, mit Formen des Vergessens. Wir haben sie an diesem 27. Januar gefragt: Was ist für Sie das Holocaust-Mahnmal 2017 - einzigartiges Denkmal oder überwiegend einfach ein Touri-Erlebnispark?
Aleida Assmann: Ja, für mich ist das von großer Bedeutung. Es ist dadurch aufgeladen, auch biografisch, dass ich mich der kleinen Gruppe in Berlin damals, Ende der 80er-Jahre, schon angeschlossen hatte, die dafür plädierte und dafür geworben hat.
Hübert: Rund um die Publizistin Lea Rosh.
Assmann: Ja, genau. Und eine andere Gruppe von Berlinern, darunter auch Margherita von Brentano, waren daran beteiligt. Und deswegen weiß ich auch, wie lang diese Vorgeschichte lief, wie schwierig sie war und wie auch im unmittelbaren Vorfeld, sagen wir mal, der 90er-Jahre da noch erhebliche Kritik kam, auch gut gemeinte Kritik. Es war überhaupt kein Selbstläufer und es bedurfte ja auch eines Bundestagsbeschlusses, um es dann wirklich auf die Bahn zu bringen.
"Wie eine Bühne, auf der sich Demokratie ereignet"
Hübert: Was war denn dann damals Ihre Intention? Und dann vergleichen Sie doch mal zum Beispiel mit diesem Klickhit, etwa Yolocaust.de. Das waren zweieinhalb Millionen Klicks auf Selfies von Touristen, die da offenbar viel Spaß hatten an den Erinnerungsstelen.
Assmann: Ja. Ein Slogan, der damals auch Aufsehen erregte, war ja der von Schröder: Das soll ein Denkmal werden, zu dem man gerne geht. Im Grunde hat er vollkommen recht behalten. Wir haben ein Denkmal in der Mitte Berlins, das nicht eine No-go-Area ist. Im Gegenteil: Touristen suchen diesen Ort alle auf, auch Menschen aller Generationen und unterschiedlicher Interessen. Und es ist damit so etwas geworden wie eine Bühne, auf der sich Demokratie ereignet. Demokratie ist vielstimmig, wir können die nicht alle auf einen Kurs zwingen, und letztlich die Form der Nutzung und dessen, was dort alles geschieht, zeigt, dass das ein sehr vielseitiger Ort geworden ist, aber auf keinen Fall ein toter und vermiedener Ort.
Hübert: Sondern ein lebendiger. Da gibt es auch zum Beispiel den Fotografen Volker Heinle, der jetzt schon 10.000 Fotos von Menschen an den Stelen gemacht hat, wo man dann sieht: die sind Hüpfhilfe, da kommt man leichter über die Abgründe herüber, Kinder benutzen das so, es ist Labyrinth, eine Ruhepritsche manchmal, so eine Steele, oder sogar Fotomotiv für Brautpaare. Auch das geht Ihnen nicht zu weit?
Assmann: Dass das Denkmal primär ein Fotomotiv sein würde, war mir von Anfang an klar. Das ist in diesem Sinne ein ganz anderes Denkmal. Man kann sich nicht davorstellen und es fotografieren. Man kann auch nicht nur davorstehen und den Kopf neigen, sondern das ist erst mal eine Einladung, gerade auch für Fotografen, und es ist unglaublich, wie viele Fotos von diesem Denkmal existieren, wie viele auf Covern von Büchern inzwischen kursieren. Das heißt, es gibt nicht das eine Bild dieses Denkmals. Das finde ich faszinierend. Jeder kann das Kunstwerk in gewisser Weise verlängern, indem er selbst sein Bild davon macht. Inzwischen ist natürlich die Selfie-Variante ein neues Stereotyp geworden, aber grundsätzlich gibt es da ganz, ganz viele Bilder davon.
"Es ist ein Ort, der im Gespräch bleibt"
Hübert: Und dann prägt und überlagert fast ja schon der AfD-Politiker Björn Höcke seit zehn Tagen die Debatte rund ums Holocaust-Mahnmal, indem er sagt, das sei ein Denkmal der Schande. Wie passt das für Sie da rein?
Assmann: Dieser Begriff oder dieser Slogan ist auch nicht ganz neu. Es ist ja in gewisser Weise die Wiederholung dessen, was Walser mal in der Paulskirche sagte: Das ist die Dauerpräsentation der Schande. Das war noch bevor das Denkmal existierte. Und er sprach damals von einem "fußballfeldgroßen Albtraum". Inzwischen wissen wir, dass dieses Denkmal, nachdem es kam, eigentlich doch wirklich eine Erfolgsgeschichte wurde. Es ist ein Denkmal, das angenommen wurde. Dass es immer einen Prozentsatz von Menschen gab, die es anders annehmen, das wird man nicht ausschließen können in einer Demokratie. Aber es ist ein Ort, der im Gespräch bleibt und gerade auch durch Künstler, die diese Nutzung heute mit den ehemaligen KZ dann in Bildmotiven überblenden, auch immer Anlass gibt, die Diskussion und das Erinnern mithilfe dieses Denkmals wachzuhalten.
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