Kommentar
Holocaust-Gedenkstätten-Besuch sollte Pflicht an Schulen sein

Zwölf Prozent der jungen Deutschen wissen nichts vom Holocaust – das ist nicht nur alarmierend, sondern eine Schande. Verpflichtende Gedenkstättenbesuche sind das Mindeste, wofür die Schulressourcen reichen müssen.

Ein Kommentar von Armin Himmelrath |
Das Schild mit dem Wort Stop auf Deutsch und Polnisch im deutschen Nazi Konzentrationslager Auschwitz Birkenau
Um den Holocaust zu verstehen, reicht es nicht, „Schindlers Liste“ zu schauen, findet unser Kommentator. Es brauche auch Besuche in KZ-Gedenkstätten. (picture alliance / imageBROKER / Piotr Dziurman)
Wenn zwölf Prozent der jungen Erwachsenen in Deutschland nicht wissen, was es mit dem Holocaust auf sich hat, dann ist das alarmierend. Denn konkret heißt das: Fast jede und jeder Achte zwischen 18 und 29 Jahren kann mit den Begriffen Holocaust und Shoah nichts anfangen, kann kein einziges Vernichtungslager nennen, kann die fabrikmäßige Ermordung von Millionen Menschen durch die Nationalsozialisten nicht einordnen.
Die Daten, erhoben von der Claims Conference, zeigen zwar, dass es in anderen Ländern teils deutlich höhere Quoten an Nichtwissen über die Judenvernichtung gibt. Aber dass bei uns, im Land der Täter, 80 Jahre nach Ende der Nazi-Diktatur eine solche Wissenslücke klafft, das ist ein schrilles Alarmsignal.
Sich mit dem Holocaust auseinandersetzen, das sollten alle, die auch nur im Entferntesten mit Lernen zu tun haben – egal, ob innerhalb oder außerhalb des formalen Bildungssystems. Der Jugendklub in der Provinz gehört genauso dazu wie das Großstadt-Gymnasium, die Kreisvolkshochschule mit ihrem Kulturprogramm ebenso wie die Universität oder auch der Sportverein mit seiner Jugendabteilung.
Wenn Landesregierungen derzeit Fördergelder für demokratiefördernde Initiativen kürzen, wenn sie Sozialarbeit in Brennpunktvierteln oder die Unterstützung von Initiativen gegen Antisemitismus und Rassismus beenden, dann zeigen sie nicht nur eine fatale politisch-demokratische Orientierungslosigkeit, sondern tragen aktiv dazu bei, solche Wissenslücken über den Holocaust noch zu vergrößern.

NS-Zeit didaktisch fundiert unterrichten

Das stärkste Gegenmittel, das die Gesellschaft hier jedoch hat, ist das Schulsystem. Nahezu alle Kinder in Deutschland durchlaufen es und kommen hier mit der deutschen Geschichte und ihrem dunkelsten Kapitel in Kontakt – oder eben auch nicht. Dass die Nazizeit und der Holocaust überall auf den Lehrplänen stehen, ist zum Glück Konsens – zumindest, solange die AfD kein Bildungsministerium übernimmt.
Doch das bedeutet nicht, dass die NS-Zeit tatsächlich auch überall ausreichend und didaktisch fundiert unterrichtet wird. Als Gründe werden gerne die Überfrachtung der Curricula oder der Lehrkräftemangel angeführt. Doch es reicht nicht, einmal im Klassenverband den Film „Schindlers Liste“ zu schauen, um wirklich zu verstehen, was im Dritten Reich geschah, das Dritte Reich damit für erledigt zu halten.
Zeitzeugen, die man in den Unterricht einladen könnte, gibt es immer seltener. Was bleibt, sind die Orte des Terrors: Belzec und Sachsenhausen, Dachau und Kemna, Bergen-Belsen und natürlich Auschwitz, um nur einige wenige zu nennen. Dass jeder Schüler und jede Schülerin mindestens einmal dorthin fährt, die Geschichten hört, einige der Ermordeten kennenlernt und das System dahinter versteht, das sollte verpflichtend sein – das ist das Mindeste, wofür die Ressourcen der Schulen in Deutschland reichen müssen. Wir schulden es nicht nur den Ermordeten, sondern auch uns selbst, als demokratischer Gesellschaft. Denn zwölf Prozent Nichtwissende über den Holocaust sind, man muss das so deutlich sagen: eine Schande.