Archiv


Holz-Ferrari aus der Renaissance

Technik. - Der italienische Renaissance-Künstler, Wissenschaftler und Erfinder Leonardo da Vinci gilt als das Genie schlechthin. Er fertigte Skizzen von Hubschraubern und Taucheranzügen, Panzern und U-Booten. Die Zeichnungen seiner Erfindungen, von denen fast keine je gebaut wurde, befinden sich in einem einzigartigen Dokument, dem so genannten "Atlantischen Kodex". Eine Idee des vielseitigen Künstlers erlebte jetzt dennoch ihre späte Realisierung: Leonardos Auto.

    "Das erste Auto wurde in Italien erfunden - Das Leonardo-Auto". Mit diesem Slogan warb der Turiner Autobauer FIAT während des italienischen Faschismus für seine Produkte. Eine zweifelhafte Behauptung, denn niemand konnte mit Sicherheit sagen, ob das Vehikel - das nie wirklich gebaut wurde - wirklich funktionieren konnte. Den Beweis hierfür zu liefern, traten erst jetzt italienische Ingenieure an, berichtet Paolo Galluzzi, Direktor des Museums für Wissenschaftsgeschichte in Florenz: "Unser Museumslaboratorium hat in Zusammenarbeit mit Roboterexperten sowie mit Carlo Pedretti, dem ausgewiesenen da-Vinci-Fachmann, das Projekt des Renaissanceerfinders in die Realität umgesetzt. Eine geniale Erfindung, nur dass sie Jahrhunderte lang missverstanden wurde." Erst dreidimensionale Darstellungen hätten die Missinterpretationen des halbmechanischen Wagens ausräumen können.

    Basis der Konstruktion ist das Blatt 812 des so genannten "Atlantischen Kodex", einer umfangreichen Sammlung an Handschriften des Künstlers. Aus diesen Angaben erzeugte der US-amerikanische Robotikexperte Mark Rosheim zunächst ein virtuelles, dreidimensionales Computermodell, an dem die florentinischen Wissenschaftler auch die Funktion der Baugruppen untersuchen konnten. Dazu Galluzzi: "Auf diese Weise gewannen wir zum Nachbau des Fahrzeugs eine Vielzahl von Informationen, über die wir bisher nicht verfügten. Erst das 3D-Modell gab uns Hinweise darauf, welche Funktion etwa die drei gezeichneten Sprungfedern hatten." Detaillierte Angaben machte Leonardo indes zu den Hölzern, die für die einzelnen Elemente des Renaissance-Autos verwendet werden sollten, darunter Buche, Eiche und Esche. Die auf drei Rädern ruhende Konstruktion misst 150 mal 170 Zentimeter und ragt rund einem Meter in die Höhe.

    Bei früheren Nachbauversuchen begingen Forscher gewichtige Fehler. So sahen sie in einer Aufhängungsfeder in der Mitte zwischen den Rädern einen möglichen Motor. Diese Missinterpretation sorgte dafür, dass die Vehikel nie fahren konnten. Erst im digitalen Modell wurde das Bauteil korrekt als Steuerungs-Instrument begriffen. Als Motor erkannten Galluzzi und seine Mitarbeiter zwei metallene Spiralfedern, die Leonardo da Vinci unterhalb des Holzwagens in einem trommelförmigen Behälter montierte. Um das Vehikel in Bewegung zu versetzen, sollten diese "Kraftspeicher" ähnlich wie der Antrieb einer mechanischen Puppe aus der Gründerzeit aufgezogen werden. "Leonardo gab präzise Hinweise auf die Größe dieser Federn und wir konnten nachweisen, dass sein Karren einige Dutzend Meter weit fährt, wenn er vollständig aufgezogen wird." Galluzzi vermutet, dass das Mechanik-Wunder eigens für ein Fest der Medici ersonnen wurde, um für Aufsehen zu sorgen. Inzwischen stellten die Tüftler aus Florenz den Kraftkarren im Maßstab eins zu eins fertig. Besucher des Museums können das Modell noch bis Mitte Juni bestaunen - und zwar nicht nur als Exponat, sondern sogar in Aktion.

    [Quelle: Thomas Migge]