Archiv


Holzklasse

Seit Jürgen Rüttgers die Arbeiter am Rhein nicht mehr führt, ist diese Rolle in der CDU vakant. Nun versucht sich der niedersächsische Ministerpräsident David McAllister als "Arbeiterführer" und geht auf Schmusekurs mit den Gewerkschaften.

Von Susanne Schrammar | 12.05.2011
    Eine IG Metall Protestaktion vor wenigen Tagen in Salzgitter. Vor dem schlichten 60er-Jahre Bau unter blauem Himmel schwenken Hunderte Mitarbeiter der Firma Alstom Fahnen und Transparente. Sie sind gekommen, weil die französische Konzernleitung des Bahntechnikherstellers 1400 Stellen in Salzgitter streichen will. Alle Augen richten sich auf einen schlanken jungen Mann, der vor der Menge steht. Am Revers seines schwarzen eleganten Anzugs heftet ein roter Gewerkschafts-Button und er dröhnt leidenschaftlich in ein Megafon.

    "Die IG Metall und der Betriebsrat sind ja an einem vernünftigen Kompromiss interessiert. Umso ungerechter und umso unverantwortlicher ist es, dass diese ausgestreckte Hand der Arbeitnehmervertreter nicht angenommen wird. Das muss sich ändern und dazu soll diese Aktion auch einen Beitrag leisten."

    David McAllister, niedersächsischer Ministerpräsident und CDU-Mitglied seit Teenagertagen, ist kurz nach dieser mitreißenden Rede der Erste, der schwungvoll seine Unterschrift unter die vorbereitete Solidaritätserklärung der IG Metall setzt. Seit Wochen bemüht sich der Regierungschef um den Erhalt der Arbeitsplätze bei Alstom, stellt sich in der Auseinandersetzung mit der französischen Geschäftsleitung klar auf die Seite der Gewerkschaft. Betriebsratschef Bernd Eberle freut's.

    "Ich bin schon begeistert, dass der sich die Zeit nimmt und dass er das auch macht. Ich bin ja auch schon bei ihm gewesen, wir haben schon mit ihm gesprochen und ich glaube und ich hoffe, dass das nicht nur Wahlkampf ist, dass auch solche Parteien, die sich früher nicht so offen geäußert haben jetzt auch wirklich mal den Schritt wagen, dass es wirklich auch ernst gemeint ist. Und das glaube ich auch."

    Es ist nicht das erste Mal, dass David McAllister die Nähe der Arbeitnehmervertreter sucht. Mit Bernd Osterloh, dem Gesamtbetriebsratschef von Niedersachsens größtem Arbeitgeber VW, pflegt der Ministerpräsident ein fast kumpelhaftes Verhältnis. Der Christdemokrat spricht sich wiederholt für Mitbestimmung aus und lobt öffentlich die gute Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften.

    "Dass wir in Deutschland so gut durch die Krise gekommen sind, hat viele Gründe. Ein Grund ist, dass wir unglaublich kompetente und konstruktive Betriebsräte in unserem Land haben und ich habe schon immer ein gutes Verhältnis zu den Gewerkschaften gehabt, gebe allerdings zu, dass ich, seitdem ich Ministerpräsident bin, sehr gute Erfahrungen gemacht habe insbesondere mit der IG BCE, der IG Metall, aber auch Verdi."

    Dass sich ein Ministerpräsident für den Erhalt von Arbeitsplätzen in seinem Land einsetzt, ist nichts Ungewöhnliches. Dass ein Spitzenpolitiker der CDU jedoch so öffentlichkeitswirksam auf Kuschelkurs mit den Gewerkschaften geht, lässt aufhorchen. Vor allem in Niedersachsen, denn dort sind die Parteilinken in der CDU in der Minderheit. In der Landtagsfraktion beispielsweise gibt es bei 69 Abgeordneten gerade mal einen, der dem Arbeitnehmerflügel zugerechnet wird. Auch der Ministerpräsident zählte sich bisher nicht dazu, sagt Klaus Wallbaum, der als politischer Redakteur der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung McAllister seit Jahren beobachtet. Er attestiert dem Juristen weder eine Vorprägung durch die katholische Soziallehre wie früher bei Jürgen Rüttgers noch ein ausgesprochenes Interesse an Sozialpolitik. Was mag also dahinter stecken? Fischen im Stimmenpool der Sozialdemokraten? Pragmatismus und Strategie sagt Wallbaum:

    "In knapp zwei Jahren haben wir Landtagswahl und McAllister ist Realist genug zu wissen, dass es wahrscheinlich nicht wieder für CDU und FDP reicht, sondern dass er einen Bündnispartner braucht, der etwas weiter links steht: SPD oder Grüne. Und in beiden Fällen wird es eine Politik sein, die stärker auf die Arbeitnehmerrechte eingeht als bisher. Also, es steckt schon mehr dahinter als nur die Strategie anderen etwas wegzunehmen, es geht auch darum, die CDU weiter zu entwickeln, zu verändern."

    McAllister, der zugleich Landesvorsitzender der CDU-Niedersachsen ist, rücke politisch mehr in die Mitte, glaubt Wallbaum. Und was sagt der umworbene DGB dazu? Gehen die Gewerkschaften, die traditionell im sozialdemokratischen und linken Lager verhaftet sind, auf die Avancen ein? Den Einsatz des Ministerpräsidenten beim Kampf um die Arbeitsplätze in Salzgitter findet der Vorsitzende in Niedersachsen Hartmut Tölle auf Nachfrage "positiv". Von einem "Überlaufen" will er jedoch nichts wissen.

    "Gewerkschaften formulieren Ziele und Inhalte und werben natürlich bei allen Parteien. Selbst verständlich ist es so, dass das Umsetzen nur die Regierungsparteien machen können. Ich sag aber nur: bei Mindestlöhnen, bei der ganzen Frage Vergabegesetz und so stoßen wir hier bei der jetzigen Koalition auf taube Ohren – das gehört auch zur Wahrheit."

    Die SPD in Niedersachsen zeigt sich angesichts der Schmuseoffensive McAllisters gelassen. Angst, dass die Gewerkschaften - wie in Nordrhein-Westfalen durch Rüttgers kurzzeitig passiert - den Sozialdemokraten abspenstig gemacht werden könnten, hat Stefan Schostok, Fraktionsvorsitzender der SPD im niedersächsischen Landtag, nicht.

    "Ich schätze Herrn McAllister als einen Politiker ein, der's sich wirklich in alle Richtungen offen hält. Das kann manchmal dann auch zu viel werden. Vor allem, wenn es auch mal um Nagelproben politisch auch geht. Im niedersächsischen Landtag würde ich mich freuen, wenn er das, was wir regelmäßig dort auch thematisieren: Tariftreue bei der Auftragsvergabe, auch mal stärker die Arbeitnehmerinneninteressen zur Geltung kommen zu lassen. Da fehlen wirklich die Taten. Insofern muss er da noch einiges beweisen. Da sind wir als SPD auch einfach viel weiter."