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Hommage an Martha

Nur sich selbst hat Otto Dix öfter portraitiert als seine Frau Martha – für das neue Stuttgarter Kunstmuseum, das weltweit den größten Bestand an Dix-Werken besitzt, lag das Thema also nahe.

Von Christian Gampert | 03.09.2005
    Man hat Hochkarätiges dazugeliehen und kann über diese 70 Frauen- und Familienbilder nun nicht nur Szenen einer Ehe erzählen, sondern vor allem auch Zeit- und Kunstgeschichte: der flotte Charleston-Tänzer Otto Dix, der Ende 1921 von Dresden nach Düsseldorf reiste und dort seinem Kunsthändler Hans Koch die Frau, eben Martha, ausspannte, hat die Gefährtin seines Alltags in allen Techniken portraitiert, von der Bleistift-Zeichnung über Feder, Rötel, Tusche, Aquarell, Briefgekritzel und Radierung bis zum ausgeführten Ölbild.

    Und obwohl die Kuratorin Karin Schick sich Mühe gibt, Martha Dix als emanzipierte Frau erscheinen zu lassen, als tabubrechende und selbstbewusste 20iger-Jahre-Geliebte, Muse, Mutter und Ehefrau, kommt natürlich auch wenig Schmeichelhaftes ins Bild; nach anfänglichem Überschwang ist Dix` dieser Frau offenbar auch müde gewesen, obwohl (oder weil?) sie ihm 47 Jahre lang Stabilität verlieh.

    Zunächst ist die zeichnerische Virtuosität zu bewundern, mit der Dix sich künstlerisch eher schüchtern dieser Frau annähert, der Frau eines anderen: ganz streng und reduziert ist dieses etwas grobe Gesicht ins Bild gebracht. Diese fast Dürer-haften Anwandlungen werden auch später auftauchen, wenn Dix Hände zeichnet oder malt, zum Beispiel seine eigenen rissigen Künstlerhände, Vater-Hände, mit denen er den neugeborenen Sohn Ursus hält.

    Mit der Leidenschaft der ersten Jahre wird der Strich dann freier, in einem luftigen Aquarell von 1924 erscheint Martha als mysteriöse Femme Fatale, deren Augen unter dem Hut verschwinden, und die dokumentierend dazugestellten Frontal-Fotografien von Hugo Erfurth zeigen eine energische Oberschicht-Frau, die den Künstler-Haushalt ganz pragmatisch managte.

    Gleichwohl stellt sich die Frage, wie das denn zusammenging: Dix, der gerade in dieser Zeit vom Abseitigen, Grellen, Morosen angezogen war, und das Familienleben. Zwar tauchen Marthas hochhackige Tanzschuhe, die als originale Fundstücke in der Ausstellung stehen, auch in Dix´ wüstem Großstadt-Triptychon von 1927 auf, aber im Grunde haben die fast niederländisch-altmeisterlichen wirkenden Familienbilder mit Dix´ dekadent-karikaturistischer Weimarer Hölle nur wenig zu tun. Das Groteske und Überinstrumentierte, das wir aus den starken Kriegsbildern und den dunklen Weimarer Straßenszenen kennen, wird in den Familien- und Kinderszenen flächig geglättet: etwa bei der Tochter "Nelly mit Puppe" oder einem (aus dem Frankfurter Städel kommenden) famosen Familienbild von 1927, in dem Dix sich selbst und den Sohn mit den Charakteristika des Hässlichen ausstattet, Martha aber als Madonna erscheint. Einzig die unvollendete Aufsicht auf eine Geburt hat die Gewalttätigkeit anderer Dix-Bilder dieser Phase.

    Aber das Grelle, Ordinäre und Schäbige, von dem der angebliche Sozialkritiker Dix so fasziniert war, gelangte über die Hintertür immer wieder in den Schutzraum Familie: Dix hatte nämlich die seltsame Angewohnheit, seinem lieben "Mutzli", wie er Martha nannte, zu Ostern oder anderen Anlässen Bilder obszönen Inhalts zu schenken: Halbakte mit fetten Brüsten, schlabberige Nuttenkörper, die sich Matrosen feilbieten, grinsende Kokotte. Der "Lustmord" von 1922 hing bei Dixens im Wohnzimmer, und Martha fand das offenbar sehr okay.

    Die Mama und die Hure: Otto Dix hat der Gattin diese Gegenwelt zumindest offeriert, bevor seine Leidenschaft erlahmte. Seit 1927 pflegte Dix eine Beziehung mit dem Dresdner Modell Käthe König, übrigens bis weit in DDR-Zeiten hinein, mit jährlichen sogenannten Arbeitsbesuchen in Dresden. Der portraitistische Blick auf die Ehefrau wird damit illusionslos und bisweilen denunzierend; dann fehlt er ganz. Freilich waren schon die ersten Portraits von einem gewissen mitleidlosen Abstand geprägt gewesen.

    Mit Dix´ stärksten Arbeiten können nur wenige dieser Familienbilder mithalten. In manchen deutet sich schon jene darstellerische Harmlosigkeit an, die der späte Dix dann im Idyll am Bodensee pflegen sollte. Aber dort ist ja schon so mancher künstlerisch erstarrt.