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Hommage an unbekannte Bergsteiger

Die Geschichte des Bergsteigens ist voller Heldenepen. Erstbesteigungen dienten oft als Ausweis nationaler Stärke. Wenig gewürdigt hingegen wurden in der Historiographie bisher die Lastenträger, Fluchthelfer, Wilderer und Schmuggler. Diese Lücke schließt nun der Autor Martin Krauß mit einer kleinen, aber feinen historischen Studie.

Von Erik Eggers |
    1953 gab es eine Party für Sir Edmund Hillary, zur Feier der Erstbesteigung des Mount Everest, des höchsten Berges der Erde. Die gesamte Mannschaft des neuen Volkshelden wurde in die britische Botschaft in Katmandu geladen. Die Sherpas, die alle Lasten der Expedition getragen hatten, brachte man derweil in einer Garage unter, in der es keine Toiletten gab.

    Diese Anekdote, die vom Bergsteigen als "Eroberungsalpinismus" und als Werkzeug des Kolonialismus kündet, ist ein famoses Beispiel dafür, worum es Martin Krauß in seinem vorzüglichen und sehr anregenden Buch zur Geschichte des Bergsteigens und Wanderns in den Alpen geht: Er will die alten Heldengeschichten des Bergsteigens nicht neu auflegen. Sondern er will diejenigen Kletterer würdigen, die in den vielen Büchern eher nicht vorkommen, die vielen Helfer, Träger, Fluchthelfer, Wilderer und Schmuggler, die viele Wege in den Bergen erst schufen. Das Buch ist, kurzum, eine Hommage an die vielen unbekannten Bergsteiger.

    Krauß geht chronologisch vor. Er beschreibt die zarten Anfänge des Bergsteigens in der Zeit der Aufklärung, schließlich die touristische Erschließung der Alpen durch die englischen Gentlemen in der Mitte des 19. Jahrhunderts, die das Bergsteigen als Sport begriffen, als Selbstzweck. Nicht angemessen beurteilt sei hier bereits die alpinhistorische Bedeutung von Wilderern und Bergführern wie Andreas Rodlauer, einem Holzarbeiter aus der Steiermark. Als am Ende des 19. Jahrhunderts eine "Idealisierung der Berge" einsetzte, war es plötzlich ein Zeichen alpinen Unvermögens, mit ortskundigen Bergführern zu klettern.

    Intensiv widmet sich der Autor auch der Geschichte diverser Alpenvereine, die sich ab etwa 1870 konstituierten, und die in ihren Ausprägungen, etwa der Naturfreunde und sozialistischer Alpinistenklubs, die vielen politischen Strömungen repräsentierten. Schon vor dem Ersten Weltkrieg sei die Saat dafür gelegt worden, dass sich aus dem Alpenverein "eine der übelsten antisemitischen Organisationen" ab den 1920er-Jahren entwickeln sollte, so Krauß. Auch hier würdigt er die Biographien einzelner jüdischer Bergsteiger und antisemitischer Funktionäre, damit erschließt Krauß ein wichtiges und vergessenes Kapitel jüdischer Sportgeschichte – und eines mit einem Kontinuitätenproblem: Der Alpenverein, erklärt Reinhold Messner, sei ja noch in den 1960er-Jahren eine braune Soße gewesen, was ihm als junger Bergsteiger schwer auf die Nerven gegangen sei.

    Dass die Nazis das Bergsteigen propagandistisch ausschlachteten, etwa die Erstbesteigung der Eiger Nordwand, ist bekannt. Weniger aber, dass die Kommunistin und Feministin Loulou Boulaz, eine Schweizerin, diesen Triumph beinahe durchkreuzt hätte. Sie wurde kurz vorher durch das Wetter gestoppt.

    Auch dem Bergsteigen der letzten Jahrzehnte, das zunehmend sportiv und touristisch geprägt war, widmet sich Krauß. Die Alpen seien dabei, so sein Fazit, durch die Kommerzialisierung und Umweltzerstörung, Massentourismus und politischer Regulierung nachhaltig verändert worden. Aber frei von Wildheit, von Subversion und vom Rebellischen seien sie immer noch nicht. Und das scheint seine Sympathie zu finden.

    Martin Krauß, Der Träger war immer schon vorher da. Die Geschichte des Wanderns und Bergsteigens in den Alpen, Verlag Nagel & Kimche, München 2013, 222 Seiten, 19,90 Euro.