Arndt Reuning: Heute nun präsentierten John Hawks und Lee Berger in Südafrika ihre Funde offiziell, parallel dazu erscheint die wissenschaftliche Beschreibung im Fachjournal eLife. Im Studio begrüße ich den Wissenschaftsjournalisten Michael Stang, der sich in Südafrika die Knochen angeschaut hatte und die Studienergebnisse kennt. Um was für Frühmenschenknochen handelt es sich?
Michael Stang: Die Knochen gehören alle zu einer bislang unbekannten Menschenart, die die Forscher nun wissenschaftlich als Homo naledi bezeichnen. Der Name bedeutet "Stern" in Sotho, also einer der lokalen Sprachgruppen in Südafrika. Wenn jemand von einer neuen Menschenart spricht, ist das erst mal nicht so ungewöhnlich, das hat es reflexhaft schon oft gegeben, teils auch unberechtigt, weil etwa nur ein Kieferfragment beschrieben wurde. Hier liegt der Fall anders: die menschlichen Überreste stammen alle von einer Gruppe, diese Menschen sind vermutlich gleichzeitig gestorben und man hat zum ersten Mal überhaupt in der ganzen Frühmenschenforschung eine Gruppe, die man analysieren kann: man weiß also wie Kinder aussahen, wie groß die Männer waren und wie groß die Frauen.
Durchschnittsgröße von Homo naledi: circa 1,46 Meter
Reuning: Wie groß waren denn diese Homo-Vertreter – was sind ihre anatomischen Besonderheiten?
Stang: Von der Größe und dem hochgerechneten Gewicht her unterscheiden sie sich nicht groß von heute lebenden kleinen Menschen, wie sie in einigen afrikanischen Gebieten vorkommen, die Durchschnittgröße eines Erwachsenen wird mit ca. 1,46 Metern angegeben. In einigen Bereichen der Skelette sind sie Homo sapiens sehr ähnlich, vor allem hinsichtlich der Hände und Füße.
Schaut man sich hingegen den Brustkorb an, den Schultergürtel oder das Becken, dann ist es etwas, was die Wissenschaftler nur von sehr frühen Homo Vertretern kennen, wie etwa von Homo rudolfensis, Homo habilis oder Homo erectus, also Dinge, die es vor zwei Millionen Jahren gab
Dahingegen ist der Schädel sehr klein, hat eine geringe Hirnkapazität, die Form des Schädels jedoch, ebenso Kiefer und Zähne sind wieder modern. Kurz: Hier liegt ein anatomisches Mosaik vor, und wenn die Forscher nur die Handknochen gefunden hätten, würde die Interpretation ganz anders lauten, als wenn sie für ihre Analyse nur das Becken vorliegen gehabt hätten
Schaut man sich hingegen den Brustkorb an, den Schultergürtel oder das Becken, dann ist es etwas, was die Wissenschaftler nur von sehr frühen Homo Vertretern kennen, wie etwa von Homo rudolfensis, Homo habilis oder Homo erectus, also Dinge, die es vor zwei Millionen Jahren gab
Dahingegen ist der Schädel sehr klein, hat eine geringe Hirnkapazität, die Form des Schädels jedoch, ebenso Kiefer und Zähne sind wieder modern. Kurz: Hier liegt ein anatomisches Mosaik vor, und wenn die Forscher nur die Handknochen gefunden hätten, würde die Interpretation ganz anders lauten, als wenn sie für ihre Analyse nur das Becken vorliegen gehabt hätten
Zeitliche Einordnung der Art bisher noch nicht eindeutig geglückt
Reuning: Und wo gliedern die Forscher die Frühmenschenart Homo naledi im Stammbaum des Menschen ein?
Stang: Das ist eine sehr schwierige Frage, denn die Fundstätte konnten die Wissenschaftler bislang nicht datieren. Es gibt keine Tropfsteine oder ähnliche Materialen, die eine verlässliche Zeitangabe ermöglichen. Schwierig macht es auch die eben erwähnte mosaikhafte Anatomie: solche geringen Hirnschädelkapazitäten gab es vor zwei bis vier Millionen Jahren, die Hand dagegen könnte noch vor wenigen zehntausend Jahren existiert haben. Auch sind die Knochen weich, also nicht versteinert, was chemisch-geologisch recht schwierig zu deuten ist.
Solange die Datierung unklar ist, wird es keine eindeutige Zuordnung im Stammbaum des Menschen geben. Klar ist nur, dass es ein sehr primitiver, also ursprünglicher Vertreter der Gattung Homo ist.
Reuning: Wie deuten denn andere Experten diese Funde? Werden diese Funde den Blick auf die Menschwerdung verändern?
Stang: Das Interesse ist natürlich riesig und die Forscher in Südafrika sagen, dass die Tür für jeden Experten offen steht, die Funde zu studieren. Ich habe auch mit einem der Gutachter der Veröffentlichungen gesprochen und er sagte, dass es ein einzigartiger Fund ist, der zeigt, wie lückenhaft doch das Verständnis bislang ist. Die Menschheitsentwicklung lässt sich eben nicht auf eine kleine Skizze reduzieren, sondern hier geht es um biologische Entwicklungsschritte über sieben Millionen Jahren hinweg - in mehreren Teilen der Erde. Sicher ist lediglich, dass Südafrika ein wichtiger Ort für die Menschwerdung war. Ob Homo naledi jetzt als direkter Vorfahre aller heute lebenden Menschen zu betrachten ist oder nicht, kann erst geklärt werden, wenn vielleicht doch noch irgendwann eine Datierung gelingt.