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Homo- und transsexuelle Flüchtlinge
Auf der Flucht von der Flucht

Für einige Flüchtlinge ist ihre Flucht mit der Ankunft in einem Heim in Deutschland nicht vorbei. Vor allem Homo- und Transsexuelle werden auch dort weiter diskriminiert. In Nürnberg hat deswegen jetzt ein Verein eine Unterkunft speziell für diese Zielgruppe eröffnet.

Von Judith Dauwalter |
    Die transsexuelle Sofia steht in der Küche der Wohnung in Nürnberg, die der Verein Fliederlich speziell für homo- und transsexuelle Flüchtlinge bereitstellt.
    Die transsexuelle Sofia steht in der Küche der Wohnung in Nürnberg, die der Verein Fliederlich speziell für homo- und transsexuelle Flüchtlinge bereitstellt. (Deutschlandradio / Judith Dauwalter)
    "Dann holen wir mal die Post raus! Da haben wir gleich Stadtführer von Nürnberg, in Englisch und Russisch. Und den Szeneführer für Lesben und Schwule."
    Ralph Hoffmann ist Vorsitzender von Fliederlich, dem schwul-lesbischen Nürnberger Verein, der die deutschlandweit erste Unterkunft für homosexuelle Flüchtlinge betreibt. Heute besucht er die ersten vier Bewohner, die erst vor Kurzem in zwei Wohnungen im Nürnberger Stadtteil Gostenhof eingezogen sind.
    "Hallo Sofia. Hallo…"
    In der Wohnung im zweiten Stock sitzen Sofia, Mark und Hamid zusammen. Ein großer Esstisch steht in einem lichtdurchfluteten Raum, mittendrin führt eine Wendeltreppe auf eine Art Galerie, der Durchgang zur Gemeinschaftsküche ist offen. Hamid kocht gerade für seine Mitbewohner. Er ist - klein, drahtig, trägt Sportklamotten. Die dunklen Haare hat er grünlich gefärbt.
    Hamid ist seit vier Monaten in Deutschland. Er ist schwul, floh deswegen aus dem Iran. Amnesty International berichtet immer wieder von Prügel- oder sogar Todesstrafen für Homosexuelle im Iran. Systematisch schikaniert werden Homosexuelle auch in Russland. Das berichtet der 34-jährige Mark, der seinen echten Namen nicht nennen will, aus eigener Erfahrung.
    "Ich habe ständig Angst, weil ich in Russland mehrfach geschlagen wurde. Ich bin in einem Land aufgewachsen, wo du einfach nicht schwul sein kannst, weil es unnormal ist. Und wenn du schwul bist und denkst, das ist unnormal - dann ist das ziemlich hart."
    In der Flüchtlingsunterkunft diskriminiert
    Mark und sein Freund sind zusammen aus Sankt Petersburg geflohen und die neuesten Bewohner dieser besonderen Unterkunft. Wenn Mark sich umsieht im neuen Zuhause wirkt er immer noch ein bisschen ungläubig. Doch aus den hübschen, dunklen Augen spricht auch Dankbarkeit. Mark und sein Freund waren glücklich als ihnen die Flucht gelang, hofften darauf, in Deutschland endlich sicher zu sein. Doch Angst hatten sie in den ersten Monaten hier immer noch. Diskriminierung erfuhren sie auch in ihrer ersten Flüchtlingsunterkunft in Parsberg, in der bayerischen Oberpfalz.
    "Wir waren in einem Zimmer untergebracht im gleichen Stockwerk mit Leuten aus Armenien. Die waren sehr, sehr brutal. Sie haben herausgefunden, dass wir schwul sind und uns Schwuchtel genannt. Einer von ihnen war sehr aggressiv. Sie fingen an uns zu bedrohen, weil sie herausgefunden haben, dass wir einmal die Polizei gerufen haben."
    Das, was Mark und sein Freund in der klassischen Flüchtlingsunterkunft erlebt haben, ist kein Einzelfall. Zur Beratung beim Nürnberger Verein Fliederlich kamen Ende vergangenen Jahres immer mehr homosexuelle Flüchtlinge mit ähnlichen Geschichten, erzählt Vorstand Ralph Hofmann.
    "Da hat es einfach nicht mehr gereicht, Kaffee zu trinken, Tee zu trinken, sich auszuquatschen, vielleicht auch mal ein paar Tipps zu geben, wo man hingehen kann. Sondern wir haben auch die konkreten Nöte erfahren, was die Leute in den Unterkünften erlebt haben. Wo sie selber diskriminiert, geschlagen und verfolgt wurden. Es ist eine Flucht von der Flucht."
    Zwei Wohnungen für acht Personen
    Und so entstand im Nürnberger Verein Fliederlich die Idee, eine eigene Unterkunft für Homosexuelle zu eröffnen. Die zwei Wohnungen mit Zimmern für acht Personen wurden schon Anfang Februar bezugsfertig. Doch die Behörden ließen sich Zeit mit den Formalitäten, erzählt Fliederlich-Vorstand Hoffmann. Vier Umzugsanträge laufen noch, vier Bewohner sind bereits eingezogen. Unter ihnen ist auch die transsexuelle Sofia aus Armenien. Die kurzen Haare hat sie rosa gefärbt und zum Zopf gebunden, ihre Augen hat sie mit schwarzem Lidstrich eingerahmt, die Augenbrauen sind sorgfältig nachgezogen.
    "Ich kann jetzt ganz frei Makeup tragen. Ich beginne jetzt mein transsexuelles Leben."
    An ihrer Stimme möchte Sofia nicht erkannt werden. Etwas ungewohnt sind die neuen Freiheiten eben doch noch, die sie weder zuhause in Armenien, noch in einer normalen deutschen Flüchtlingsunterkunft hatte. Sofia zeigt mir ihr Zimmer in der WG.
    Ein Schrank, ein Spiegel, ein einfaches Bett - viel mehr gibt es in dem kleinen Raum, ihrem Zimmer, nicht. Aber Sofia ist glücklich, dankbar - und fühlt sich endlich frei. Sie nimmt ein schwarzes Jäckchen mit silbernen Glitzerpailletten, zieht es an und stöckelt in High Heels zurück zu ihren Mitbewohnern.
    "Das ist meine Jacke für die Disko. Heute will ich in die Disko gehen!"