Homöopathie
Was das Ende der Finanzierung durch Krankenkassen bedeuten würde

Krankenkassen sollen keine Homöopathie mehr bezahlen: Sie wirke nicht, sagt Gesundheitsminister Karl Lauterbach. Doch trotz fehlender Wirkungsnachweise schwören viele Menschen auf Globuli, darunter auch Ärzte. Wie stark gerät Homöopathie unter Druck?

    Kleine weiße Kügelchen sind aus einer braunen kleinen Medizinflasche ausgekippt.
    Globuli und Co. wirken nicht über den Placebo-Effekt hinaus, sagt Gesundheitsminister Lauterbach. Homöopathen widersprechen entschieden. (picture alliance / M.i.S. / Cathrin Mueller)
    Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sorgte im Januar 2024 für das Auflodern einer alten Kontroverse zwischen Befürwortern und Gegnern von Globuli. „Die Homöopathie ist eine Leistung, die keinen medizinischen Nutzen auf der Grundlage des wissenschaftlichen Sachstandes erbringt“, sagte er. Die gesetzlichen Krankenkassen sollten nicht mehr die Möglichkeit haben, homöopathische und anthroposophische Leistungen zu finanzieren. In „Kürze“ werde das gesetzlich geregelt.
    Zustimmung kam vonseiten der FDP, Widerspruch aus den Reihen von Grünen und Union. Eine Petition gegen Lauterbachs Pläne erhielt mehr als 200.000 Unterschriften. Denn Homöopathie hat viele Anhänger: Laut einer Allensbach-Studie haben 60 Prozent der Bevölkerung ab 16 Jahren bereits homöopathische Arzneimittel genutzt.
    Im Gesetzentwurf ist die ursprüngliche Passage mittlerweile entfallen. Doch die Debatte ist damit nicht zu Ende, der Bundestag soll das Thema weiter beraten. Wie gehen Krankenkassen mit Homöopathie um? Und welche Folgen hätte es, wenn Lauterbach sich durchsetzt?

    Übersicht

    Was zahlen Krankenkassen für homöopathische Mittel?

    Homöopathie gehört in Deutschland zu den so genannten besonderen Therapierichtungen. Gesetzliche Krankenkassen können sie zusätzlich zu den vorgeschriebenen Leistungen anbieten. Die miteinander konkurrierenden Kassen können so auch für sich werben – was sie mehrheitlich tun.
    Bei der Barmer heißt es beispielsweise: „Homöopathische Behandlungen bieten eine sanfte und ganzheitliche Therapie im Hinblick auf Körper, Geist und Seele.“ Homöopathie sei eine „beliebte und verbreitete Form der alternativen Medizin, auch wenn ihre Wirkung wissenschaftlich nicht belegt ist“. Die Kasse übernimmt unter bestimmten Voraussetzungen die Kosten der Behandlung über 24 Monate. Ähnlich hält es die TK.
    Wie unterschiedlich das Krankenkassen aber handhaben, zeigt sich innerhalb der AOK. Im grün regierten Baden-Württemberg kann man sich jährlich bis zu 200 Euro für „alternative Arzneimittel“ erstatten lassen. Bei der AOK Nordost sind es dagegen nur 50 Euro für „Naturarzneimittel aus der Apotheke“.

    Wäre das Ende der Finanzierung durch Krankenkassen das Ende der Homöopathie?

    Dass Kassen Leistungen bezahlten, die medizinisch nichts brächten, „können wir uns nicht leisten“, so Gesundheitsminister Lauterbach. Es gehe auch ums Prinzip, da ein „falsches Bild“ entstehe: „Es kann keine vernünftige Politik geben, die die Wissenschaft ignoriert – im Bereich der Homöopathie haben wir das bisher gemacht.“
    Der Minister hofft auf eine Ersparnis von 20 bis 50 Millionen Euro jährlich. Eine relativ geringe Summe angesichts einer für 2024 geschätzten Finanzierungslücke bei den gesetzlichen Krankenkassen in Höhe von 3,2 Milliarden Euro. Im Jahr 2022 haben die Krankenkassen insgesamt 260 Milliarden Euro ausgegeben.
    Nach dem Willen Lauterbachs soll es Homöopathie künftig nur noch im Rahmen eigenfinanzierter Zusatzversicherungen geben. Doch auch jetzt schon wird der Großteil der homöopathischen Medikamente privat bezahlt. 600 Millionen Euro Umsatz machten die Apotheken 2022 mit homöopathischen Arzneimitteln, 74 Millionen Euro davon wurden verordnet – nur gut zehn Prozent.
    Die Statistik zeigt in einem Balkendiagramm, wie hoch die Umsätze in Apotheken bei Phytopharmaka und Homöopathika 2022 war.
    2022 machten Apotheken rund 600 Millionen Euro Umsatz mit Homöopathika. Den Großteil zahlten die Deutschen selbst. Insgesamt lag der Umsatz der Apotheken bei über 63 Milliarden Euro. (statista/IQVIA)
    Doch obwohl die gesetzlichen Kassen nur einen vergleichsweise kleinen Teil zahlen, wäre die Streichung wohl ein großer Imageverlust. Die homöopathisch praktizierende Hausärztin Michaela Geiger bewertet das Ansinnen als „schweren Schlag“. Die Vorsitzende des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte (DZVhÄ) sieht die Therapievielfalt gefährdet. Es sei wichtig, konventionelle Medizin mit Homöopathie zu ergänzen. Diese habe sich bewährt – „vor allem bei den sozial Schwachen, die chronisch krank sind“.
    Die Allensbach-Studie ergab indes, dass die schwächeren sozialen Schichten „unterdurchschnittlich“ Erfahrungen mit homöopathischen Arzneimitteln gemacht haben. Ein weiteres Ergebnis war, dass trotz des insgesamt „großen Nutzerkreises“ von Homöopathie die Vorbehalte in den letzten 20 Jahren „signifikant zugenommen“ haben: So stieg der Anteil jener Menschen, die die Wirkung der Heilmittel generell anzweifeln, von 28 auf 46 Prozent.

    Wie gerät die Homöopathie noch unter Druck?

    Auch innerhalb der Ärzteschaft gerät die Homöopathie zunehmend unter Druck. Zuletzt strich die Landesärztekammer Baden-Württemberg die Homöopathie-Weiterbildung für Ärzte. Diese gab es bisher außer in diesem Bundesland nur noch in Sachsen und Rheinland-Pfalz. Die Bundesärztekammer hatte sich bereits 2022 für die Streichung ausgesprochen.
    Im Mai 2024 forderte der Deutsche Ärztetag, Homöopathie aus der Gebührenordnung für Ärzte und als Kassenleistung zu streichen. Die Anwendung der Homöopathie sei nicht mit den Grundsätzen der evidenzbasierten Medizin vereinbar und könne keine erstattungsfähige ärztliche Leistung sein.
    Andere Länder haben das schon umgesetzt: In Frankreich werden seit 2021 homöopathische Mittel nicht mehr von den Krankenkassen bezahlt, in Großbritannien seit 2017. In der Schweiz läuft eine Prüfung, an deren Ende die Kostenerstattung abgeschafft werden könnte.

    Was ist Homöopathie?

    Der deutsche Arzt Samuel Hahnemann (1755-1843) hat die Homöopathie erfunden, wonach Ähnliches mit Ähnlichem zu behandeln sei. Die Selbstheilungskräfte sollen mit Präparaten aktiviert werden, die bei einem Gesunden zu genau den Symptomen führen können, unter denen der Kranke leidet. 
    Homöopathische Arzneimittel werden zum Beispiel als Zuckerkügelchen – Globuli – oder Flüssigkeiten verabreicht. Ihre Grundlage sind meist pflanzliche, mineralische oder tierische Substanzen. Diese werden stark verdünnt. Mitunter enthalten die Präparate dann keinen nachweisbaren Wirkstoff mehr.
    Je höher die so genannte Potenz, desto weniger Wirkstoff ist enthalten – desto wirksamer aber ist nach der homöopathischen Lehre das Mittel. Bei den D-Potenzen wird im Verhältnis 1:10 verdünnt, bei C-Potenzen 1:100. C200 bedeutet dann: Der Stoff wurde 200 Mal um das Hundertfache verdünnt.

    Was sagen Befürworter der Homöopathie?

    Die Vorsitzende des Vereins homöopathischer Ärzte (DZVhÄ), Michaela Geiger, beispielsweise sagt, dass man sich bei evidenzbasierter Medizin – also nachgewiesener Wirksamkeit – nicht nur auf klinische Studien stützen dürfe. Evidenz beruhe auch auf ärztlicher Expertise und den Erfahrungen der Patienten „über Jahre und Jahrzehnte“. Eine solche Auslegung von „Evidenz“ geht allerdings am gängigen wissenschaftlichen Verständnis des Begriffes vorbei. Denn geeignete Studien sind beim Konzept der evidenzbasierten Medizin wesentlicher Kern, um die Wirksamkeit eines Medikaments oder Therapieverfahrens zu belegen.
    Was ist evidenzbasierte Medizin?
    Das Bundesgesundheitsministerium definiert evidenzbasierte Medizin so, dass bei dieser die Wirksamkeit eines Arzneimittels oder einer Therapieform in Form von wissenschaftlichen Untersuchungen nachgewiesen sein muss. „Es sollen also in erster Linie solche Arzneimittel und Therapien angewendet werden, deren Wirksamkeit und Nutzen durch geeignete Studien nachvollziehbar belegt sind.“ Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) erläutert: „In der Praxis heißt das, Ärztinnen und Ärzte verlassen sich nicht allein auf individuelle praktische Erfahrungen, sondern beziehen auch die Ergebnisse der aktuellen wissenschaftlichen Forschung in ihre Therapie-Empfehlungen mit ein.“

    Was sagen Kritiker der Homöopathie?

    Das Prinzip des Potenzierens, bei dem eine Substanz angeblich stärker wirkt, wenn man weniger von ihr verwendet, widerspricht naturwissenschaftlichen Erkenntnissen. Edzard Ernst, der 1993 in Exeter zum weltweit ersten Professor für komplementäre Medizin ernannt wurde, zeigte mit seinen Forschungen: Homöopathie, Anthroposophie, Akkupunktur und Naturheilverfahren wirken fast alle nicht besser als eine Scheinbehandlung. Homöopathische Mittel wirken nur als Placebo.
    Kritiker aus Wissenschaft und Medizin können sich auf zahlreiche weitere Studien berufen, die genau das zeigten.

    Mangel an wissenschaftlichen Standards

    Ein Review brachte 2022 einen „bedenklichen Mangel an wissenschaftlichen und ethischen Standards im Bereich der Forschung zu Homöopathie“ zutage. Die Forschenden hatten sich Daten zwischen 2002 und April 2021 angeschaut. Demnach wurden die Ergebnisse von 38 Prozent aller klinischen Homöopathie-Studien nicht veröffentlicht. Gleichzeitig wurden 53 Prozent der Studien nicht offiziell registriert. Bei einem Viertel wurde hinterher das Hauptziel verändert.
    Studienleiter Gerald Gartlehner hielt fest: „Publizierte Homöopathie-Studien berichten wahrscheinlich nur die attraktiven Ergebnisse und bieten daher ein verzerrtes Bild der Wirksamkeit von Homöopathie.“
    Auf eines allerdings können sich Gegner und Befürworter von Homöopathie meist einigen: Zuwendung und Zeit für den Patienten spielen eine wichtige Rolle beim Gesundwerden.

    bth