In wenigen Tagen jährt sich das Coming-out von Thomas Hitzlsperger. Homosexuelle Profis aus der Bundesliga sind seinem Schritt an die Öffentlichkeit bislang nicht gefolgt. Doch darum ging es Hitzlsperger auch gar nicht. Der ehemalige Nationalspieler wollte eine Debatte anstoßen. An der Fußball-Basis, in den Medien, in der Wissenschaft. Aber wie nachhaltig wird die Debatte tatsächlich geführt? Und wer profitiert von der neuen Identifikationsfigur?
Manchmal hatte Christian Rudolph das Gefühl, gegen eine Wand zu laufen. Der Mitarbeiter des Lesben- und Schwulenverbandes Berlin-Brandenburg klärte Fußballer, Trainer und Funktionäre über Homophobie auf. Er gab Workshops, da saßen sie zu viert oder zu fünft im Raum. Kaum jemand interessierte sich für ihre Aufklärungsarbeit, kaum jemand nahm Homophobie als Problem wahr. Was hat sich durch Hitzlsperger getan?
Mehr Öffentlichkeit für das Thema generiert
"Da hat sich für uns was verändert, in dem wir noch öfter gefragt werden, unsere Expertise auch angefragt wird. Nicht nur für Interviews, sondern auch in der Beratung, bei Vereinen, die sagen: Hey, Mensch, wir müssen das eigentlich als Thema mit anbringen. Gibt es da nicht auch Unterstützung? Gibt es da Partner? Aber auch für Gesprächsrunden, für Veranstaltungen wurden wir noch öfter angefragt. Und das hilft uns natürlich in unserer Arbeit."
Jahrelang stand im Zentrum der Debatte die Suche nach einem Coming-out. Als Hitzlsperger an die Öffentlichkeit ging, war die mediale Resonanz enorm - für wenige Tage. Hitzlsperger wollte nicht in jeder Talkshow auftreten, und auch in den Monaten danach überlegte er sich seine Auftritte genau. Er hat unter anderem in der Niederländischen Botschaft und in der Universität Friedrichshafen an Diskussionen teilgenommen. Er trat im ZDF-Jahresrückblick auf und ließ sich bei seinem Praktikum in der 11-Freunde-Redaktion von der Moderatorin Katrin Bauerfeind begleiten.
Hitzlsperger hält sich zurück, es geht ihm um das Thema, nicht um Personenkult. Und so rücken auch Aktivisten in den Blickpunkt, die sich seit langem positionieren, aber selten gefragt wurden. Zum Beispiel Dirk Brüllau. Der Sprecher der 28 schwullesbischen Fußball-Fanklubs kann mit der Identifikationsfigur Hitzlsperger konkreter gegen Widerstände argumentieren. Allerdings geht der Wandel nur langsam voran, sagt Brüllau. In den ostdeutschen Bundesländern gibt es bis heute keinen schwul-lesbischen Fanklub.
Rückzug homosexueller Fanklubs in Ostdeutschland
"In Dresden hatten wir welche, die sich massiv engagiert hatten. Die hatten schon einen Namen für den Fanklub und eine Facebook-Seite angelegt. Und dann haben sie einen solchen Shitstorm abgekriegt, dass sie wieder zurückgezogen haben."
Die Spekulationen um ein Coming-out hatten regelmäßig Schlagzeilen gebracht - eine Reform in Verbänden und Vereinen hat es nicht gegeben. Das möchte die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld in Berlin ändern, die nach einem deutschen Sexualforscher benannt wurde. Die Hirschfeld-Stiftung erforscht die Lebenswelten von homo-, trans- und intersexuellen Menschen. Gemeinsam mit der Universität Vechta hat sie ein Bildungskonzept entwickelt, das sich an Trainer, Betreuer und Schiedsrichter richtet. Jörg Litwinschuh ist Geschäftsführender Vorstand der Stiftung:
"Man merkt ja schon verstärkt, dass sich im Amateurbereich doch verstärkt Menschen outen - und erstaunlicherweise vor allem Schiedsrichter und Trainer. Und da beziehen sich schon viele darauf, dass Hitzlsperger ein Klima geschaffen hat, dass es ihnen erleichtern würde, dass sie ein Vorbild haben."
Thomas Hitzlsperger war im September Ehrengast auf der Spendengala der Hirschfeld-Stiftung. Ebenfalls dabei: DFB-Präsident Wolfgang Niersbach und Ligapräsident Reinhard Rauball. Beide standen dem Bildungskonzept zunächst verhalten gegenüber, doch auf der Gala überreichten sie einen Scheck von 20.000 Euro. Die Stiftung will das Konzept in den kommenden drei Jahren in Niedersachsen testen. Jörg Litwinschuh:
"Und wir werben in diesem Zusammenhang gerade auch bei vielen Playern, bei den großen Verbänden und auch in der Politik, dass vielleicht bundesweit eine Anlaufstelle entstehen könnte, wo es für die nächsten Jahre eine Art festen Ansprechpartner gibt für das Thema Homosexualität im Sport."
Der DFB scheint unentschlossen
Eine Anlaufstelle würde helfen, um Initiativen besser zu vernetzen und um bestehendes Infomaterial effektiver zu nutzen. Der ehemalige DFB-Präsident Theo Zwanziger hatte das Thema immer wieder auf die Agenda gesetzt. Sein Nachfolger Niersbach äußere sich viel zu selten, so formulieren es namhafte Aktivisten aus der Antidiskriminierungsarbeit, die seit Zwanzigers Rücktritt vom DFB nicht mehr um Rat gebeten werden. So entwarf die ehemalige Bundesligaspielerin Tanja Walther-Ahrens mit anderen Experten für den DFB eine Broschüre über Homosexualität. Was ist daraus geworden?
"Es müsste einfach breiter Aktionen geben. Damals, als wir die mit entworfen haben, da haben wir natürlich gesagt: Die kann nicht einfach rauskommen, die kann nicht einfach gedruckt werden. Und die muss begleitet werden: von Pressemitteilungen über Workshops und: Wir binden das jetzt in die Aus- und Weiter- und Fortbildung von Trainerinnen und Trainern, von Betreuerinnen und Betreuern ein. Wir thematisieren das, wir machen eine Plakatkampagne dazu. Da muss noch was folgen, sonst kann ich es nicht wirklich ernst nehmen. Sonst ist es für mich nur: Wir müssen uns so darstellen in 2014, weil wir in einer offenen Gesellschaft leben und das einfach politisch korrekt ist."
Thema von der Medienagenda verschwunden
Große Medien haben zuletzt kaum über Homosexualität im Fußball berichtet. Glauben sie, dass nach dem Coming-out die Homophobie verschwunden ist? Das Thema hat neue Formen erreicht: Der Sänger Marcus Wiebusch wirbt mit dem Lied "Der Tag wird kommen" um Akzeptanz, sein Clip wurde im Internet mehr als 800.000 Mal abgerufen. Der Kurzfilm "Zwei Gesichter" beleuchtet das unfreiwillige Outing eines Juniorenspielers. Die Zeichnerin Panagiota Giannakidou lässt schwule Kicker in ihre Manga-Comics einfließen. Im Kinderkanal hat der 12-jährige William den ehemaligen DDR-Jugendnationalspieler Marcus Urban befragt. Der schwule Aktivist Urban hat den "Verein für Vielfalt" ins Leben gerufen und möchte ein Beraternetzwerk aufbauen.
"Wenn ich auf der Straße Hand in Hand mit meinem Freund gehe, auf dem Ku'damm in Berlin, darf ich mir anhören: Schwuchtel. Also du kannst nicht durchgängig normal leben. Vielleicht inselhaft in einigen Straßen in Berlin-Mitte oder Schöneberg. Also da sind wir noch weit von Normalität entfernt."