Andreas Main: Dieses Buch ist ein Paukenschlag. Führende deutsche Theologen fordern, die Haltung zu homosexuellen Partnerschaften endlich zu ändern. Dass dieses Buch jetzt erscheint, ist selbstverständlich kein Zufall. Im Oktober bei der Synode im Vatikan diskutieren Bischöfe aus aller Welt das Familienbild der katholischen Kirche. Und wie die Debatte dort ausgehen wird, das ist ausgesprochen offen. Auch wenn Deutschland nicht der Nabel der Welt ist und die katholische Kirche hierzulande nur ein Mosaik ist in dieser weltumspannenden Kirche. So dürfte die Stimme der Theologen, die Stephan Goertz um sich versammelt hat, doch gehört werden. Er selbst ist Professor für Moraltheologie an der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Mainz und der hat das Buch herausgegeben "Wer bin ich, ihn zu verurteilen? Homosexualität und katholische Kirche". Mit Professor Stephan Goertz, mit dem wir das Gespräch vor der Sendung aufgezeichnet haben, sind wir in Mainz verbunden. Guten Morgen Herr Goertz.
Stephan Goertz: Guten Morgen.
Main: Sie wollen die Liebe von Homosexuellen positiv bewertet wissen. Ich zitiere Sie: "Die moralische Abwertung von Liebe ist die eigentliche Perversion, die einer christlichen Moral widerfahren kann." Starker Tobak. Sind die Vertreter des kirchlichen Lehramts also Perverse?
Goertz: Nein, aber Sie sind nicht konsequent. In der katholischen Ehe-Moral hat man seit 50 Jahren erkannt, auch offiziell, dass die Liebe zwischen Mann und Frau im Grunde das Sinnbestimmende auch für ihre Sexualität ist. Also, Sexualität im Kontext einer Liebesbeziehung zwischen Mann und Frau ist etwas Gutes und Schönes nach katholischer Lehre. Daraus ziehe ich den Schluss, dass auch im Kontext einer Liebesbeziehung zwischen zwei Männern oder zwischen zwei Frauen dann diese Sexualität nicht einfach Sünde sein kann oder etwas Schlechtes. Also, ich würde sagen, ich ziehe die Konsequenz daraus, was die katholische Lehre im Bereich Sexualität zwischen Mann und Frau formuliert hat und übertrage das nun auf Homosexualität.
Main: Sie betonen immer wieder, dass Sie eine offene theologische Debatte wünschen. Ist das Ihr primäres Kampfziel: vor der Synode, bei der Bischöfe aus aller Welt zusammenkommen, eben eine frühzeitige Festlegung zu verhindern?
Goertz: Ja. Ich würde das nicht als Kampf bezeichnen, sondern als Versuch, etwas Aufklärung in die Debatte zu bringen, auch Differenzierungen einzutragen. Viele denken ja, dass die Argumente gegen Homosexualität schon ewig bestehen und auch in der katholischen Kirche gar keine Änderung möglich ist. Da versuchen wir in dem Buch zu zeigen, dass die Argumente, wenn man sie sich genau anschaut, gar nicht so belastbar sind, wie viele meinen, sondern dass weder die Bibel noch die Natur von vornherein Homosexualität verbieten.
Main: Auf dem Weg zur Familiensynode – welche Indizien sehen Sie, dass es auch in der Lehrmeinung, also in der Meinung des kirchlichen Lehramtes, einen Wandel gibt?
Goertz: Ja, es gibt ja schon erste Texte der Synode aus dem letzten Jahr. Das gab es zum Beispiel einen Zwischenbericht, der sehr wohlwollend und positiv über Homosexuelle gesprochen hat und wo erstmals in einem kirchlichen Dokument von sexueller Orientierung die Rede war. Das ist ganz wichtig, weil man in der Vergangenheit häufig von tiefsitzenden homosexuellen Tendenzen, Neigungen gesprochen hat und damit schon im Grunde Homosexualität abgewertet hatte. Die Synodenväter im letzten Jahr haben doch gezeigt, dass sie dort eine andere Sprache benutzen wollen und dass die alten Verurteilungen nicht einfach wiederholt werden. Also diese positiven Signale stimmen mich doch optimistisch.
Main: Welche Strömungen gibt es, die Sie womöglich pessimistisch stimmen?
Goertz: Ja, es gibt schon im Moment Bemühungen des konservativen Lagers noch einmal die Unveränderbarkeit der bisherigen Positionen zu betonen. Man hat den Eindruck, es gibt dort große Ängste, dass eine Weiterentwicklung der Lehre im Grunde dem Gesamtansehen, der Gesamtlehre der katholischen Kirche schaden könne. Also, diese Sorgen und Ängste gibt es, die muss auch ernst nehmen. Die Hoffnung ist, dass man doch auch mit Argumenten in dieser Debatte vielleicht ein Stück weiter kommt.
Main: Was ist aus Ihrer Sicht der zentrale Punkt, warum die Lehrmeinung sich ändern sollte?
Goertz: Weil man sonst die Lebenswirklichkeit, die Erfahrung von Homosexuellen überhaupt nicht respektiert. Und vor allem signalisiert man Homosexuellen, dass man ihre Beziehungen, ihre Liebesbeziehungen nicht ernst nimmt. Man hat große Probleme bis heute, Homosexuellen einen Platz in der katholischen Kirche zu geben – etwa im Bereich des Arbeitsrechts als Religionslehrer, Religionslehrerin, Seelsorgerin. Da besteht enormer Handlungsbedarf.
Main: Sie und Ihre Autoren, sie hängen sich recht weit aus dem Fenster. Ihnen brauche ich das nicht zu sagen: So frei ist katholische Theologie dann auch nicht. Bischöfe haben Einfluss auf staatliche Universitäten, sie könnten Ihnen die kirchliche Lehrerlaubnis entziehen. Inwieweit bringen Sie sich in Gefahr mit Ihren Positionen?
Goertz: Na, ich hoffe – und die anderen Autoren des Bandes auch – dass es doch erkennbar wird, dass es uns nicht um eine polemische Auseinandersetzung geht, sondern dass wir wirklich sorgfältig und ruhig die Argumente prüfen und dass das auch die Aufgabe von Theologie ist, die auch das Lehramt sich wünscht. Es gibt zum Beispiel in Deutschland mehrfach Äußerungen von Kardinal Marx, dem Vorsitzenden der Bischofskonferenz, wo er die Theologie auffordert, zu den strittigen Fragen Stellung zu beziehen, die Argumente zu prüfen, sich neue Gedanken zu machen, wie man die Lehre weiterentwickelt und wie man auch in der Gegenwart glaubwürdig die christliche Botschaft verkündet. Also von daher glaube ich nicht, dass im Moment die Zeit ist, um Theologie zu sanktionieren, sondern im Moment ist die Zeit, um in einen Dialog einzutreten.
Main: Da hat sich doch womöglich einiges verändert, denn – wenn man mal vergleicht vor einem Vierteljahrhundert – wenn Theologen sich zu solchen Reizthemen wie Homosexualität so geäußert hätten und so offen ihre Position deutlich gemacht hätten, wie Sie das tun, das wäre nicht glimpflich ausgegangen. Teilen Sie diesen Eindruck?
Goertz: Diesen Eindruck teile ich. Da gibt es ja auch genug Beispiele, dass Kollegen sanktioniert worden sind in der Vergangenheit – in der Tat. Aber da haben wir unter dem neuen Papst ein neues Klima der Bereitschaft, sich theologisch auseinander zu setzen, die Argumente auszutauschen und auch die Lehre möglicherweise weiterzuentwickeln.
Main: Ihr Kollege, der evangelische Theologe Peter Dabrock hat vor wenigen Tagen ebenfalls eine sexualethische Studie vorgelegt. Wir haben darüber berichtet – nachzulesen und nachzuhören auf der Tag-für-Tag-Seite des Deutschlandfunks. Herr Professor Goertz, kennen Sie diese Studie, die zentralen Thesen – und wenn ja: Wo unterscheiden Sie sich? Oder wo gibt es den ökumenischen Schulterschluss?
Goertz: Ich habe bisher nur über die Medien davon Kenntnis genommen, ich habe das Buch noch nicht in der Hand gehabt, habe aber den Eindruck, dass es in Grundwerten von Sexualität einen Konsens zwischen den Konfessionen gibt. Dass man ganz eindeutig sagt, Sexualität muss humanisiert werden. Es geht um den Respekt vor der Person des Anderen. Ich denke, das sind Formulierungen, wo sich doch ein Konsens zwischen den Konfessionen finden lässt.
Main: Und vorausgesetzt, es handelt sich um humanisierte Sexualität, wie Sie es formuliert haben, dann ist es egal, ob Männer Männer lieben, Frauen Frauen lieben oder Männer Frauen lieben.
Goertz: Das wäre die These, die wir versuchen in diesem Buch plausibel zu machen, weil sozusagen das Grundprinzip von Liebe doch stärker ist, als jetzt die Frage, wie vermeintlich natürlich oder nicht natürlich sind einzelne sexuelle Akte.
Main: Alle Bischöfe sagen konsequent: Gleichgeschlechtlich Liebende dürfen nicht diskriminiert werden. Das ist womöglich ein richtiger Schritt in die richtige Richtung, aber dennoch fehlt da etwas aus Ihrer Sicht?
Goertz: Genau. Das ist ein wichtiger Schritt. Das ist auch ganz positiv festzuhalten, dass die katholische Kirche seit Jahrzehnten gegen Diskriminierung und gegen Kriminalisierung sich ausspricht. Nur meinen wir, meine ich in diesem Buch – und wir versuchen das auch argumentativ zu untermauern, dass es auch eine Diskriminierung ist, wenn nur Heterosexuellen zugestanden wird, ihre Sexualität verantwortlich zu leben und Homosexuellen nur die Antwort gegeben wird, dass sie komplett enthaltsam zu leben haben. Also: Das ist im Grunde eine Diskriminierung auf der Ebene der Moral. Und wenn man gegen Diskriminierung ist, meine ich, kann man auch den zweiten Schritt gehen und auch die strikte, schroffe Verurteilung von sexuellen Handlungen noch einmal überdenken.
Main: Wenn die Familiensynode nun einen weiteren Schritt auf Homosexuelle zumachen würde, ich behaupte die Reaktion wäre doch immer die gleiche. Die einen sagen: ein zu kleiner Schritt. Die anderen sagen: Das geht gar nicht, die Reform geht zu weit. Also die Schlagzeilen nach der Familiensynode Ende Oktober, die lassen sich quasi schon jetzt schreiben. Wie gehen Sie damit um?
Goertz: Ja, das befürchte ich auch. Es gibt den – wie ich finde – ganz klugen Vorschlag von Michael Brinkschröder in unserem Buch, der sagt, es wäre vielleicht ein positives Signal, wenn die Synode so etwas wie eine Dekade des Dialogs ausrufen würde. Dass man sagt, wir müssen vielleicht noch nicht im Jahr 2015, 2016 zu einer Position kommen, die einen Konsens findet, aber wir fangen an, einen Dialog zu führen mit den Betroffenen und auch zwischen den unterschiedlichen nationalen Kulturen. Also, ein Dialog mit den Betroffenen und ein Dialog zwischen den unterschiedlichen Ortskirchen. Und dass man dann Schritt für Schritt nach einer Phase des Dialogs vielleicht dann auch zu einer Haltung kommt, die einen Konsens findet.
Main: Stephan Goertz, Professor für Moraltheologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Mainz. Das von ihm herausgegebene Buch hat den Titel "Wer bin ich, ihn zu verurteilen? Homosexualität und katholische Kirche". Es ist im Verlag Herder erschienen. Die rund 450 Seiten kosten 39 Euro. Danke Ihnen ganz herzlich, Herr Goertz.
Goertz: Ja, gerne.