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Hongkong-Aktivist Wong Yik Mo
"Ich erwarte, dass Frau Merkel für Hongkong spricht"

Die Protestbewegung in Hongkong hofft, dass sich Bundeskanzlerin Angela Merkel bei ihrem China-Besuch für Hongkong einsetzen wird, sagte der Aktivist Wong Yik Mo im Dlf. Deutschland müsse gegenüber China konsequent und stark auftreten, sonst drohe es selbst in eine gefährliche Abhängigkeit zu geraten.

Wong Yik Mo im Gespräch mit Christoph Heinemann |
05.09.2019, Berlin: Demonstranten stehen bei einer Mahnwache für mehr Menschenrechte in Hongkong vor dem Bundeskanzleramt.
Freie Wahlen für Hongkong seien ganz wichtig, so der Aktivist Wong Yik Mo im Dlf. Aber eine unabhängige Untersuchung der Polizeigewalt sei noch wichtiger. (dpa / Paul Zinken)
Christoph Heinemann: Herr Wong, was erwarten Sie von Angela Merkels Besuch in China?
Wong Yik Mo: Ich erwarte, dass Frau Merkel für Hongkong spricht. Weil, als Sie damals in der DDR gelebt hat, kann sie sich sehr gut vorstellen, was ist ein Leben in der Stadt mit Polizeigewalt und keine Freiheit. In Hongkong hatten wir doch früher Freiheit und heute sind die Freiheiten immer beschränkt. Deswegen möchten wir, dass Frau Merkel Präsident Xi überzeugt, Hongkong nicht kaputt zu machen, weil es schädlich wäre für Hongkong, für China, für Deutschland und für die ganze Welt.
"Frau Merkel könnte nach Hongkong kommen"
Heinemann: Kann man Präsident Xi überzeugen?
Wong: Ich denke schon, weil China braucht kein Face Losing.
Heinemann: Gesichtsverlust.
Aktivist Wong Yik Mo
Aktivist Wong Yik Mo (screenshot zdf.de)
Wong: Ich denke, ein Mensch wie Frau Merkel, sie hat so viel Einfluss in dieser Welt. Ich glaube, nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich müssen China und Deutschland zusammenarbeiten. Deswegen hat Frau Merkel ein Gewicht und ich hoffe, dass Präsident Xi wirklich einen Kompromiss macht.
Heinemann: Wünschten Sie sich, dass Frau Merkel auch nach Hongkong reist?
Wong: Ja, klar! In Hongkong diskutieren wir schon. Frau Merkel bleibt drei Tage in China und wir hoffen, am dritten Tag könnte sie nach Hongkong kommen, um mit uns zu reden, uns zu treffen und zu sehen, was ist in Hongkong los, wie gewalttätig wir sind. Wir sind eigentlich gar nicht gewalttätig. Wir möchten ganz gerne, dass sie nach Hongkong kommt und die Situation in Hongkong sieht.
Wirtschaftliche Abhängigkeit von China ist gefährlich
Heinemann: Herr Wong, China ist Deutschlands größter Handelspartner mit zirka 200 Milliarden Euro pro Jahr. Verstehen Sie, dass die Bundeskanzlerin auf Wirtschaft und auf Arbeitsplätze Rücksicht nehmen muss?
Wong: Ja, klar. Ich meine, Wirtschaft ist auch immer beiderseitig. China braucht auch Deutschland. Nicht Deutschland braucht China. Wenn Deutschland wirtschaftlich wirklich so abhängig von China ist, dann ist es auch eine Gefahr. Wenn China wirklich gegen Menschenrechte ist, dann hat Deutschland wahrscheinlich in der Zukunft auch Probleme. Deswegen denken wir: Wenn die Wirtschaft so bleibt wie jetzt und wenn China wirklich keine Kompromisse macht, dann wird Deutschland eines Tages wahrscheinlich genauso wie Hongkong oder die anderen Länder. Sie müssen alle China folgen oder auf China hören, egal was China sagt, und das ist gefährlich für Deutschland.
Heinemann: Ist das die Absicht der Regierung in Peking?
Wong: Keine Ahnung! Ich denke, natürlich. Sie möchten immer mehr Einfluss haben. Aber die Frage ist, ob China das machen kann. Ich meine, Deutschland ist sehr stark, politisch, wirtschaftlich, und es ist sehr wichtig, dass Deutschland – Germany hast o be very firm on this.
Heinemann: Stark sein und konsequent auf der eigenen Position bestehen.
Wong: Genau.
"Gewalt passiert nur, wenn die Polizei da ist"
Heinemann: Herr Wong, Sie haben eben gesagt, wir sind nicht gewalttätig. Die chinesischen Behörden werfen der Protestbewegung genau das vor: Gewalttätigkeit. Auf dem Flughafen von Hongkong wurde Gewalt gegen Festlandschinesen ausgeübt. Wie kam es dazu?
Wong: Dieser Fall ist ganz interessant, weil die Leute, die da waren, haben alle so gesagt, dass der Mann ein "under cover" war. Der andere Mann, der diesen chinesischen Journalist rausgefunden hat, war in fünf Minuten auch losgefahren. Wir haben gedacht, dass die beiden "under cover chinese" waren. Und das war eine Propaganda, damit Peking sagen kann, dass Hongkonger sehr gewalttätig waren. In Wahrheit sind wir zu 99 Prozent friedlich. Wir verletzen keinen Polizisten. Auch wenn wir ein bisschen Gewalt anwenden, ist die Gewalt zwischen uns und der Polizei unverhältnismäßig.
Heinemann: Wie haben Sie das erlebt? Wie haben Sie die Demonstrationen auf den Straßen erlebt?
Wong: Meistens sind wir friedlich. Gewalt passiert nur, wenn die Polizei da ist. Einmal am Flughafen war es hundert Prozent friedlich, weil da war keine Polizei. Und einmal im August, am 18., da waren 1,7 Millionen Leute auf der Straße. Keine Gewalt! – Gar keine Gewalt, weil keine Polizei da war.
Ich habe auch Gewalt mit der Polizei erfahren und die Demonstranten haben alle Angst. Die Polizei kommt ganz schnell, sehr plötzlich. Sie schlagen einfach die Protestler. Manchmal nehmen sie auch Protestler fest, manchmal ohne. Und ich würde sagen, die Polizei ist sehr schrecklich und viele, nicht nur Protestler, sondern auch normale Bürger, die haben auch viel Angst vor der Polizei. Zum Beispiel die Läden in den Straßen, wenn da ein Protest ist, dann machen viele Läden zu. Aber wenn man wirklich die Leute fragt: Warum haben Sie Angst? Dann sagen sie, wir haben Angst vor der Polizei. Sie sind so schrecklich. Sie feuern einfach Tränengas, wir können nicht atmen. Die Polizei kommt einfach rein, um die Leute zu schlagen. Wir als Demonstranten, wir haben immer Angst, in den Straßen zu gehen. Aber trotzdem müssen wir für Hongkong, für die Freiheit kämpfen.
"Wir haben kein Vertrauen in Carrie Lam"
Heinemann: Regierungschefin Carrie Lam hat das Auslieferungsgesetz zurückgezogen. Haben Sie Ihr Ziel damit erreicht?
Wong: Ja. Technisch hat sie es noch nicht zurückgenommen. Sie hat das nur entworfen und es wird im Oktober passieren. Aber trotzdem haben wir kein Vertrauen in Carrie Lam. Das könnte eine politische Geste sein, damit sie sagen könnte: Okay, die Regierung, wir haben schon einen Kompromiss gemacht, warum gehen die Protestler immer noch auf die Straße, und jetzt müssen wir unsere Gewalt eskalieren. Es könnte sein, dass sie es so sagt.
Wir haben fünf Forderungen, nicht nur eine. Wir möchten, dass die Regierung alle unsere fünf Forderungen akzeptiert, sondern nicht nur eine. Freie Wahlen sind ganz wichtig, aber im Moment ist eine unabhängige Untersuchung der Polizeigewalt noch wichtiger, weil mit der Polizeigewalt haben wir hier in Hongkong keine Freiheit. Auch sind wir nicht sicher, wir haben keine Sicherheit. Viele Hongkonger, die nicht in Hongkong wohnen, sie haben Angst, nach Hongkong zurückzufahren mit ihren Kindern, weil sie wissen sehr genau, dass es in Hongkong gefährlich ist - und zwar nicht mit der Mafia, sondern mit der Polizei. Deswegen brauchen wir eine Untersuchung, damit die Polizei ihre Gewalt nicht weitermacht.
Heinemann: Herr Wong, bis 2047 ist Peking vertraglich verpflichtet, Hongkong ein hohes Maß an Autonomie zu gewähren. Was erwarten Sie danach?
Wong: So weit weg können wir nichts erwarten. Wir können nur unser Bestes versuchen, um unsere Freiheit zu kämpfen. Man braucht immer Hoffnung. Damals hat niemand gewusst, dass die Berliner Mauer fallen wird. Wir können nur unser Bestes versuchen und auch das Beste zu erwarten.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.