Vor 25 Jahren - am 1. Juli 1997 - wurde die frühere britische Kronkolonie Hongkong an China übergeben. In einer gemeinsamen Erklärung hatten sich Peking und London darauf verständigt, unter der Formel "Ein Land, zwei Systeme" die Freiheiten für die Menschen in Hongkong weitgehend zu erhalten. Doch Peking höhlte die Menschen- und Bürgerrechte nach und nach aus. Proteste wurden teils brutal niedergeschlagen. Und gilt die Formel auch im Sport?
Ein Land, zwei Sportsysteme
"Wenn man jetzt nur auf den Sport schaut, dann bleibt dieses Prinzip 'ein Land zwei Systeme' im Sportbereich am ehesten gegeben. In dem Sinn, dass die Verbände und auch die ganze Sportentwicklung, aber auch dieses ganze Investment und die Infrastruktur, die für den Sport zur Verfügung gestellt wird, rein von Hongkong und unter der Kontrolle der Regierung von Hongkong ist", sagt der Soziologe und Kulturwissenschaftler Tobias Zuser.
Hongkong - seit 1950 Mitglied des IOC
Zwar werde bei Olympischen Spielen oder Fußball-Nationalspielen die chinesische Nationalhymne gespielt, wenn Athleten oder Teams aus Hongkong antreten. Historisch interessant sei aber, dass Hongkong kurz nach dem Zweiten Weltkrieg Anfang der 1950er-Jahre ins IOC und die FIFA aufgenommen wurde. Zudem sei Hongkong Mitbegründer des asiatischen Fußball-Verbandes.
"Es gab eigentlich nicht wirklich eine lokale chinesische Identität. Zu der Zeit war Hongkong noch eine Kolonie, und viele lokale Hongkong-Chinesen waren dem eigentlich sehr kritisch gegenübergestellt. Man hat sich eigentlich mehr mit Taiwan, also der Republik China, wie es offiziell heißt, identifiziert", sagte Tobias Zuser.
Hongkonger-Identität entwickelte sich in den 70er-Jahren
Nach Angaben des Sportsoziologen hat sich sich eine "wirkliche Hongkonger Identität, die sich dann auch im Sport verfestigt hat" erst in den 1970er-Jahren gezeigt. Dazu beigetragen habe auch der alltägliche Austausch zwischen Hongkongern und Chinesen. Zudem sei der unterschiedliche Entwicklungsstand von Hongkong und Festlandchina dabei mehr in den Vordergrund gerückt. Vor allem die zweite Generation von Hongkongern, hätten eine eigenen Identität für sich gesehen, die vielmehr auf ein kapitalistisches Weltbild und auf die Werte, die auch unter der britischen Kolonialherrschaft verbreitet wurden, gesetzt habe, sagte der Sportsoziologe, der seit Jahren in Hongkong und beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit der Sportkultur in der Region China. Derzeit ist er Gastdozent
an der Universität Hongkong.
an der Universität Hongkong.
Die anfängliche Skepsis Hongkongs mit der Übergabe an China habe sich mit den Olympischen Spielen 2008 ins Positive gewandelt. Vor allem auch, weil in Hongkong die Reitwettbewerbe ausgetragen wurden. "Viele Hongkonger haben sich damals sehr stark interessiert und auch generell chinesische Athleten und Teams sehr stark unterstützt", sagte Zuser.
Jährliche Befragung zur Identität
Der Soziologe verweist in diesem Zusammenhang auf eine Umfrage, in der Hongkonger sei Jahrzehnten befragt werden, wie sie ihrer eigenen Identität sehen. "Vor allem in den Jahren um die Olympischen Spiele herum haben sich vermehrt auch mehr Chinesisch gefühlt. Sie haben sich eher als entweder Chinesen oder Chinesisch-Hongkong gesehen - und quasi die chinesische Identität dann in den Vordergrund gerückt ist", sagte Zuser. Dies habe sich nach den Spielen aber sehr schnell wieder geändert.
Als Grund nannte er "größere Veränderungen im politischen Bereich" wie beispielsweise die Proteste 2014 oder den Beschluss des Sicherheitsgesetzes 2020. Plötzlich wurde in Fußballstadien gebuht, wenn die chinesische Nationalhymne gespielt wurde.
Viele Protestbewegungen haben um das Jahr 2012 begonnen, sagt Zuser: "Da gab es zunächst den Protest gegen nationale Bildung und ein nationales Curriculum im Unterricht. Viele dieser Anführer der Massenproteste haben sich dann auch in der Regenschirm-Bewegung 2014 sehr profiliert". Auch hätten viele junge Hongkong-Chinesen damals den lokalen Fußball entdeckt, "als ein Bereich, wo man seine eigene Identität sehr symbolisch zum Ausdruck bringen kann", sagte Zuser.
Bis 2047 wird der Sport von Hongkong kontrolliert
Und heute? Bis zum Jahr 2047 sei festgeschrieben, dass Hongkong eine eigene Sportentwicklung, eine eigene Sportpolitik und eigene Sportverbände auch kontrolliert. "Wie es danach aussieht, wird dann wirklich auch davon abhängen, wie sehr sich jetzt vor allem der Hongkonger Sport auch profiliert", sagte Zuser. Der Sport sei noch einer der ganz wenigen Bereiche, für den sich viele Hongkonger vermehrt interessierten und wo man seine eigenen Idee noch sehr unberührt ausdrücken können.
Chinas Stimmen im IOC und der FIFA
Dennoch sieht Zuser im Moment einen institutionellen Vorteil für China, denn das Land hat in Verbänden wie dem IOC oder auch der FIFA mehr Stimmen. Hinzu komme, dass Hongkong bisher nicht wirklich ein Herausforderer für China gewesen sei.
Das habe sich in den letzten Jahren mit den vermehrten Aufeinandertreffen im Fußball ein wenig geändert. "Interessanterweise auch bei den letzten Olympischen Spielen in Tokio. Da hat Hongkong mit dem historisch besten Ergebnis abgeschlossen. Und dadurch hat der Sport generell wieder sehr viel Bewunderer in Hongkong hinzu gewonnen. Und das könnte natürlich zuwider gehen, wenn jetzt vor allem eine Agenda im Raum steht, die nationale Identität von Hongkong an stärker zu fördern", sagte Zuser.