"Unsere Zukunft sieht sehr düster aus. Es wird uns sehr schwer fallen, unsere relative politische Unabhängigkeit zu erhalten, solange wir Teil Chinas sind."
Es sind dunkle Zeiten, die der Buchhändler Daniel Lee über Hongkong aufziehen sieht. Und das im quirligsten und hellsten Viertel der 7,3 Millionen Einwohner Metropole. Mong Kok ist abends ein Meer aus Leuchtreklamen, hupenden Lastwagen, Kosmetik- und Handygeschäften, Imbissbuden und billigen Boutiquen.
Hier liegt Lees Buchladen "Hong Kong Reader", 50 Quadratmeter "Freiheit des Wortes", wie ihn der schlanke Geisteswissenschaftler mit der hohen Stirn nennt.
"Es gibt zwar keine Liste von verbotenen Büchern. Man darf alles lesen, was man will. Das Internet ist unzensiert. Facebook und Google lassen sich aufrufen - Seiten, die in Festlandchina nicht verfügbar sind. Hongkong ist also von der 'großen Chinesischen Firewall' ausgenommen. Aber viele Dinge werden schwieriger: Verleger werden verhaftet, nicht durch die Behörden aus Hongkong, sondern weil die CCP dies veranlasst hat, die Chinesische Kommunistische Partei. Das geschieht auf sehr obskuren Wegen. Leute werden festgenommen, von denen es dann heißt, sie seien 'zurück nach China' gegangen. Aber eben nicht auf normalem Weg, nicht durch den Zoll. Da ist natürlich etwas oberfaul."
Ende 2015 verschwand der Hongkonger Buchhändler Bo Lee spurlos. Ähnliches widerfuhr Lam Wing-kee und drei weiteren Kollegen. Schnell wurde klar, dass man sie genötigt hatte, nach Festlandchina einzureisen. Daraufhin gingen in Hongkong Tausende auf die Straße, um gegen Pekings Vorgehen zu demonstrieren. Nach seiner Freilassung im Juni 2016 berichtete Lam Wing-kee davon, was ihm während seiner Internierung widerfahren war: Isolation, Verhöre, Androhung von Haft – und das über Monate.
Veränderungen subtiler Art
"Ich fühle mich viel weniger bedroht. Diese Männer wurden verhaftet, weil sie nicht nur Bücher verkaufen, sondern auch Verleger sind. Sie bringen Bücher über chinesische Politik heraus, über Auseinandersetzungen in Peking. Das sind sehr sensible Themen. Wenn Leute wie Lam Wing-Kee oder Lee Bo solche Bücher verlegen, dann ist eines klar: Sie sind einem höherem Risiko, einem höherem Druck ausgesetzt."
Bei "Hong Kong Reader" sieht es aus wie in einem alternativen Buchladen der 1970er-Jahre. Dicht an dicht stehen Werke von Camus bis Nietzsche, ein wenig Belletristik, Geographie, Geschichte. Gegenüber lange Reihen chinesischer Titel. Dazwischen Second-Hand-Bücher. Einige Kunden blättern still in dem, was sie gerade interessiert. Kater Ai Weiwei schaut aus dem Fenster.
"Es ist nicht so, dass wir einen abrupten, offensichtlichen Umschwung spüren. Im Prinzip kann hier in Hongkong jeder sagen, was er will. Wir genießen Redefreiheit. Die Veränderungen sind subtiler. Zum Beispiel: Die meisten unserer Zeitungen sind von Investoren aus Festlandchina aufgekauft worden. Das Gleiche gilt für Fernsehen und Radio - das 'Nationale Radio-TV' von Hongkong hat sich lange Zeit eine gewisse Unabhängigkeit bewahrt und die Regierung kritisiert. Doch viele glauben, Zeitungen und Fernsehen übten inzwischen eine Art Selbstzensur aus. Sie behandeln heikle Themen weniger, berichten bei Demonstrationen nicht über deren Hintergründe. Stattdessen werden vor allem die Gewalttätigkeiten in den Mittelpunkt gestellt. So ist es für die Leute viel schwieriger zu erfahren, warum etwas passiert. Ich halte das für eine subtile Form der Selbstzensur."