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"Hool" am Kölner Schauspielhaus
"Man wird nicht zum Schläger geboren"

Nuran David Calis hat den Roman "Hool" von Philipp Winkler für die Theaterbühne adaptiert. Darin geht es um die Brutalität der Hooligan-Welt, aber auch um die Mitverantwortung der Gesellschaft. "Man muss sich diesen Abgründen nähern, um zu wissen, was in unserer Gesellschaft vorgeht", sagte er im Dlf.

Nuran David Calis im Corsogespräch mit Juliane Reil |
    Der Regisseur Nuran David Calis im Deutschlandfunk
    Regisseur Nuran David Calis sieht in "Hool" eine lehrreiche Parabel für die gesamte Gesellschaft (Deutschlandradio / Adalbert Siniawski)
    Vor gut einem Jahr erschien der Debütroman "Hool" von Philipp Winkler. Ungewöhnlich für einen jungen Nachwuchsschriftsteller schaffte es sein Buch gleich auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises. Genauso ungewöhnlich die Geschichte: ein junger Mann - Kleinbürgertum, Vater Alkoholiker, Mutter von zuhause fortgelaufen - sucht in der Hooligan-Szene eine Ersatz-Familie. Dabei merkt er nicht, wie er in sinnloser Gewalt vollkommen den Halt verliert. Der deutsche Theaterregisseur Nuran David Calis hat den Roman für die Theaterbühne adaptiert und ist jetzt bei uns zu Gast.
    "Die haben mir eine Heidenangst eingejagt"
    Juliane Reil: Hallo zum Corsogespräch.
    Nuran David Calis: Ja, hallo.
    Reil: Der Roman, der ist ja fiktiv. Der Autor Philipp Winkler war nie in einer Hooligan-Szene selbst unterwegs – aber er mag Fußball. Wie sind Sie auf dieses Thema "Hooligans" gekommen, was fasziniert Sie daran?
    Calis: Also, ich bin auch Fußballfan, schon seit meiner Kindheit eingefleischter FC-Bayern-Fan - das darf man ja eigentlich hier nicht sagen, in Köln -, aber seitdem ich in der Grundschule war, habe ich wirklich Fußball geliebt; und habe auch in der Jugend gespielt, bis in die A-Jugend.
    Reil: Und Kontakt zu Hooligans gehabt?
    Calis: Nee. Zu den gewaltbereiten Leuten hatte ich keinen Kontakt, weil sie teilweise ... Gerade die Bielefelder, da, wo ich herkomme, gibt es ja eine unheimlich starke Ultra-Szene: Die hießen, glaube ich, die "Blue Devils", ich weiß es nicht. Auf jeden Fall waren sie sehr aktiv und sie haben mir eigentlich eine Heidenangst eingejagt.
    Reil: Okay. Auch als Türsteher, habe ich gelesen, dass Sie gearbeitet haben eine Zeit lang. Da ist Ihnen aber auch keine unangenehme Begegnung passiert?
    Calis: Doch. Die kamen natürlich auch abends mal zum Feiern und da natürlich in der Türsteher-Szene so einige Hooligans auch meine Mitarbeiter waren, hat man die eigentlich wohlwollend reingelassen.
    Klare Regeln und ein klarer Feind
    Reil: "Hool" ist ja die Geschichte eines wütenden, jungen Mannes, der von der Gesellschaft isoliert ist und einfach keine Perspektive für sich sieht. Und dann verabredet er sich mit seiner Clique und mit anderen Hooligans zu Matches, irgendwo an der Autobahnraststätte oder im Wald. Warum macht der das?
    Calis: Ja, die Herleitung ist jetzt eigentlich so auf den Punkt gebracht ziemlich einfach, aber diese Figur, die Philipp Winkler in dem Roman beschreibt, den Heiko, der ist vielschichtiger. Und das, was das Buch eigentlich sehr gut macht, ist, dass auch Philipp Winkler als Autor zeigt, dass man nicht als Schläger geboren wird, sondern man wird dazu gemacht - von seinem Umfeld, von seinen Eltern, von seinen Geschwistern, von seinen Freunden. Und wenn man sich dieses Leben von Heiko in dem Buch anschaut, sieht man einen Menschen, der eigentlich, wenn man denkt, man ist in der Familie oder mit seinen Geschwistern unterwegs: Er kann irgendwann Freund und Feind dort nicht mehr unterscheiden. Also, ihm gegenüber stehen unlösbare Konflikte, mit seiner Mutter, mit seinem Vater, mit seiner Schwester, sodass er gar nicht mehr genau weiß, von wo jetzt familiär gesehen der nächste Schlag kommt. Und da ist die Gegenwelt der Hooligans für ihn eigentlich sehr klar: Man hat klare Regeln, man hat ein klares Feld, wo man sich prügelt. Man hat einen klaren Feind gegenüber, dem man – auf gut Deutsch – in die Fresse hauen kann. Und er hat auch sozusagen eine Ersatz-Familie in dieser Hooligan-Szene. Und dieses Leben beschreibt Philipp Winkler auf eine sehr unkitschige Art und Weise sehr gut.
    Reil: Das hört sich aber auch schon nach Empathie bei Ihnen an – haben Sie Verständnis für diese Romanfigur?
    Calis: Also, man hat schon ein gewisses Mitgefühl, weil man ihn auch als ein Opfer seiner Umwelt dann auch sieht und auch einen großen Vorwurf den Vorbildern, die eigentlich ein heranwachsendes Kind oder ein Jugendlicher haben müsste … einen Mangel an diesen Vorbildern sieht. Der Vater, der eigentlich seinen Sohn dafür missbraucht und seine Trinksucht dadurch rechtfertig, dass die Mutter ihn verraten hätte – also, das sind alles Probleme, die dem Jungen so aufgedrängt werden, die er als heranwachsender Teenager eigentlich gar nicht alleine lösen kann.
    "Der Mensch ist ein Abgrund"
    Reil: Und das ist ja auch Wut, Einsamkeit, Verblendung – der Typus von einem jungen Mann, den man vielleicht auch nicht nur in der Hooligan-Szene findet, sondern der vielleicht darüber hinaus in ganz anderen gesellschaftlichen Kontexten zu finden ist zur Zeit. Was denken Sie?
    Calis: Na ja, man kann schon so eine Art Gewaltbereitschaft erkennen, wenn man an die falschen Vorbilder gerät. Und das ist natürlich auch in der Islamisten-Szene so ähnlich. Die Parabelhaftigkeit in dieser Erzählung ist, dass wir als Gesellschaft, wir als Eltern, wir als Geschwister, alle miteinander in der Verantwortung sind, wenn ein Mensch abdriftet in eine Gewaltszene. Und natürlich ist dieser Roman auch eine Fiktion und es ist Kunst und es ist auch gut durchkomponiert – aber trotzdem ist diese Parabel da drin.
    Reil: Ich weiß von Ihnen, Herr Calis, dass Sie sich eigentlich immer mit sehr brisanten Themen auseinandersetzen – also zum Beispiel "Die Lücke", die Nagelbomben in der Keupstraße durch den NSU, "Glaubenskämpfer" war ein anderes Stück von Ihnen, da ging es um religiöse Vielfalt, "Istanbul", das letzte Stück, die aktuelle Situation in Istanbul. Sehen Sie sich denn selbst als politischen Theaterregisseur?
    Calis: Ich sehe mich in erster Linie als Regisseur. Und natürlich interessieren mich die Sachen, wenn man das hört, wie bei Woyzeck zum Beispiel von Büchner: "Der Mensch ist ein Abgrund". Dieser Satz, der hat mich eigentlich immer geprägt, auch in meiner Theaterarbeit. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass man sich diesen Abgründen nähern muss in unserer Gesellschaft, um zu wissen, was eigentlich gerade auch vorgeht in unserer Gesellschaft, die Konflikte. Und ja, ich habe eine Affinität zu diesen Konflikten, aber ich gehe nicht mit dem Ansatz politisch das zu machen rein, sondern die Arbeiten werden von sich aus dann politisch.
    Reil: Weil Sie nicht werten, sondern darstellen und etwas abbilden?
    Calis: Genau. Als Theaterregisseur oder als Autor bin ich erst mal nur von der Neugier getrieben – und auch von diesem Abgrund, der uns Menschen sozusagen auch immer wieder vor Augen führt, wie zerbrechlich doch auch unsere Gesellschaft ist. Und dem gehe ich nach und den spüre ich auf – und dann werden natürlich auch zwangsläufig die Arbeiten politisch bewertet.
    Reil: Der Regisseur Nuran David Calis – er hat das Buch "Hool" von Philipp Winkler für die Bühne inszeniert. Morgen Abend hat das Stück Premiere hier in Köln, am Schauspiel Köln. Danke Ihnen für das Gespräch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.