Christoph Schmitz: Auf dem Dach des Museums in München stand "Allianz Arena". Das Museum war das renommierte Haus der Kunst. Es war das Jahr der Fußball-WM in Deutschland, 2006. Der Sponsoren-Schriftzug musste an der gleichnamigen Arena abmontiert werden und wurde zur Kunst am Bau. Im Haus der Kunst hat es in den letzten Jahren zahlreiche bedeutende Ausstellungen geben. Bernd und Hilla Becher zeigten ihre Arbeiten, Andreas Gursky, Gilbert and George, Anushka Pur und der chinesische Künstler und Regimekritiker Ai Weiwei, um nur wenige Namen zu nennen. Verantwortlich für das alles war und ist noch der Belgier Chris Dercon. Der tritt aber in diesem Jahr ab, geht als Direktor zur Tate Modern nach London. Der Name seines Nachfolgers als Leiter des Hauses der Kunst in München wurde heute bekannt gegeben. Es ist der Documenta-Leiter von 2002, Okwoi Enwezor. Eine internationale Karriere zwischen Afrika, Amerika und Europa hat Okwoi Enwezor gemacht, _63 wurde er in Nigeria geboren, in New York studierte er Literatur und Politikwissenschaft. Seine Documenta 2002 hat Enwezor nicht nur als Kunstschau, sondern auch als Wissensschau präsentiert. Es ging um einen theoretischen Diskurs, um postkoloniale und transnationale Prozesse in einer globalisierten Welt. - Ist Enwezor vor allem ein gesellschaftstheoretischer Kopf? Das habe ich Elke Buhr in Berlin gefragt.
Elke Buhr: Er ist auf jeden Fall ein theoretischer Kopf. Das ist klar. Er ist Philosoph, es geht viel bei ihm um postkoloniale Theorie und damals, als er die Documenta in Deutschland gemacht hat, waren auch viele erst mal schockiert und haben gesagt, das ist kopflastig und unsinnlich. Am Ende die Ausstellung war dann gar nicht so kopflastig und unsinnig, wie es alle befürchtet haben. Aber es ist auf jeden Fall so, dass er ein Intellektueller ist unter den Kuratoren.
Schmitz: Welchen Blick hat er denn auf die Weltkunst geöffnet, der vorher verschlossen war?
Buhr: Es ist auf jeden Fall so, dass er ganz vehement darauf hingewiesen hat, dass wir eben immer noch den eurozentrischen Blick haben - das heißt, dass die nordamerikanische und europäische Kunst vorherrscht bei diesen Großausstellungen -, und er hat viele Namen dann ins Gespräch gebracht, die man vorher wirklich noch nicht kannte, und ich denke, das hat auch sehr gut funktioniert. Er hat da wirklich den Radius deutlich erweitert mit dieser Ausstellung.
Schmitz: Sollten denn dann die Kunstobjekte, die er ausgestellt hatte, nicht nur die theoretisch diskutierten Themen dokumentieren und belegen, also Kunst als Mittel zum Zweck?
Buhr: Ach das glaube ich nicht. Er kann das ganz gut trennen. Er macht die Theorie, die macht er sehr ernsthaft. Auf der anderen Seite weiß er aber, dass eine Ausstellung auch ihren eigenen Wert hat und dass sie ihre eigene Ästhetik haben muss, und es ist nicht so, dass das nur illustrativ funktioniert hat. Das kann man auf keinen Fall sagen.
Schmitz: Ich möchte an dem Punkt noch mal nachhaken. "Handelswege: Geschichte und Geografie" hieß eine Ausstellung, die Enwezor kuratiert hatte für das New Yorker Guggenheim und die Biennale von Johannesburg. Da ging es um die Folgen von Migrationsströmen und des globalen Warenverkehrs, also auch hier wieder ein großes, weltweit wichtiges Thema, aber ein theoretisches Thema, ein theoretischer Zugang. Ist für Enwezor die Kunst nicht dann doch Mittel zum Zweck eines soziologischen Erkenntnisprozesses?
Buhr: Ich denke wie gesagt, dass er das auf verschiedenen Ebenen sehen kann. Auf der einen Seite weiß er, was ein Kunstwerk für sich wert ist, auf der anderen Seite wird er natürlich aber auch, da er dieses Profil hat, soziologisch und theoretisch zu denken, viel für solche Art Ausstellung angefragt. Man weiß halt, wenn man Enwezor jetzt für eine Einzelausstellung anfragt, dann wird man ihm eher so ein Thema vorschlagen als ein anderes. Ich traue ihm aber auf jeden Fall zu, wenn er ein ganzes Haus führt, dass er dann nicht nur solche Ausstellungen machen wird.
Schmitz: Also er will grundsätzlich weg von diesem, wie Sie sagten, euro-amerikanischen Zentrismus in der Kunst. Er bringt vor allem Afrika mit ins Spiel, aber nicht nur. Was halten Sie denn jetzt konkret gefragt, Frau Buhr, von dieser Neubesetzung mit Enwezor am Haus der Kunst in München?
Buhr: Ich war überrascht, muss ich sagen, weil bislang das Profil des Hauses der Kunst unter Chris Dercon deutlich, ich sage mal, publikumsnäher war. Chris Dercon ist experimentell, insofern, dass er sich der zeitgenössischen Kunst wirklich widmet und da auch neue Sachen reingebracht hat, aber er ist nicht so reserviert. Enwezor ist auch als Mensch sehr reserviert und die Frage ist, ob er sich in München da auch so in die Kunstszene so einbringen kann, oder ob er dazu überhaupt Lust hat, und ich bin gespannt, wie er das hinkriegt. Ich denke, dass er es natürlich, vom intellektuellen Format finde ich das auf jeden Fall spannend, mal zu sehen, wie er so ein Haus leitet und eben nicht nur Einzelausstellungen macht. Aber ich finde es, sagen wir mal, eine mutige Entscheidung.
Schmitz: Wobei München ja auch wirklich reich gesegnet ist mit Kunsträumen für aktuelle, für Gegenwartskunst. Insofern könnte ich mir vorstellen, dass Enwezor da wirklich etwas Neues hinzubringt.
Buhr: Ich denke, was er anders machen wird, natürlich ist, dass er wie gesagt von diesem eurozentristischen Blickpunkt wegkommt, wobei man auch sagen muss, auf seiner Documenta waren natürlich die Afrikaner immer noch in der Minderzahl. Es ist jetzt nicht so, dass er nur sich für afrikanische Kunst interessieren würde, dafür ist er ja auch lange genug in New York gewesen.
Elke Buhr: Er ist auf jeden Fall ein theoretischer Kopf. Das ist klar. Er ist Philosoph, es geht viel bei ihm um postkoloniale Theorie und damals, als er die Documenta in Deutschland gemacht hat, waren auch viele erst mal schockiert und haben gesagt, das ist kopflastig und unsinnlich. Am Ende die Ausstellung war dann gar nicht so kopflastig und unsinnig, wie es alle befürchtet haben. Aber es ist auf jeden Fall so, dass er ein Intellektueller ist unter den Kuratoren.
Schmitz: Welchen Blick hat er denn auf die Weltkunst geöffnet, der vorher verschlossen war?
Buhr: Es ist auf jeden Fall so, dass er ganz vehement darauf hingewiesen hat, dass wir eben immer noch den eurozentrischen Blick haben - das heißt, dass die nordamerikanische und europäische Kunst vorherrscht bei diesen Großausstellungen -, und er hat viele Namen dann ins Gespräch gebracht, die man vorher wirklich noch nicht kannte, und ich denke, das hat auch sehr gut funktioniert. Er hat da wirklich den Radius deutlich erweitert mit dieser Ausstellung.
Schmitz: Sollten denn dann die Kunstobjekte, die er ausgestellt hatte, nicht nur die theoretisch diskutierten Themen dokumentieren und belegen, also Kunst als Mittel zum Zweck?
Buhr: Ach das glaube ich nicht. Er kann das ganz gut trennen. Er macht die Theorie, die macht er sehr ernsthaft. Auf der anderen Seite weiß er aber, dass eine Ausstellung auch ihren eigenen Wert hat und dass sie ihre eigene Ästhetik haben muss, und es ist nicht so, dass das nur illustrativ funktioniert hat. Das kann man auf keinen Fall sagen.
Schmitz: Ich möchte an dem Punkt noch mal nachhaken. "Handelswege: Geschichte und Geografie" hieß eine Ausstellung, die Enwezor kuratiert hatte für das New Yorker Guggenheim und die Biennale von Johannesburg. Da ging es um die Folgen von Migrationsströmen und des globalen Warenverkehrs, also auch hier wieder ein großes, weltweit wichtiges Thema, aber ein theoretisches Thema, ein theoretischer Zugang. Ist für Enwezor die Kunst nicht dann doch Mittel zum Zweck eines soziologischen Erkenntnisprozesses?
Buhr: Ich denke wie gesagt, dass er das auf verschiedenen Ebenen sehen kann. Auf der einen Seite weiß er, was ein Kunstwerk für sich wert ist, auf der anderen Seite wird er natürlich aber auch, da er dieses Profil hat, soziologisch und theoretisch zu denken, viel für solche Art Ausstellung angefragt. Man weiß halt, wenn man Enwezor jetzt für eine Einzelausstellung anfragt, dann wird man ihm eher so ein Thema vorschlagen als ein anderes. Ich traue ihm aber auf jeden Fall zu, wenn er ein ganzes Haus führt, dass er dann nicht nur solche Ausstellungen machen wird.
Schmitz: Also er will grundsätzlich weg von diesem, wie Sie sagten, euro-amerikanischen Zentrismus in der Kunst. Er bringt vor allem Afrika mit ins Spiel, aber nicht nur. Was halten Sie denn jetzt konkret gefragt, Frau Buhr, von dieser Neubesetzung mit Enwezor am Haus der Kunst in München?
Buhr: Ich war überrascht, muss ich sagen, weil bislang das Profil des Hauses der Kunst unter Chris Dercon deutlich, ich sage mal, publikumsnäher war. Chris Dercon ist experimentell, insofern, dass er sich der zeitgenössischen Kunst wirklich widmet und da auch neue Sachen reingebracht hat, aber er ist nicht so reserviert. Enwezor ist auch als Mensch sehr reserviert und die Frage ist, ob er sich in München da auch so in die Kunstszene so einbringen kann, oder ob er dazu überhaupt Lust hat, und ich bin gespannt, wie er das hinkriegt. Ich denke, dass er es natürlich, vom intellektuellen Format finde ich das auf jeden Fall spannend, mal zu sehen, wie er so ein Haus leitet und eben nicht nur Einzelausstellungen macht. Aber ich finde es, sagen wir mal, eine mutige Entscheidung.
Schmitz: Wobei München ja auch wirklich reich gesegnet ist mit Kunsträumen für aktuelle, für Gegenwartskunst. Insofern könnte ich mir vorstellen, dass Enwezor da wirklich etwas Neues hinzubringt.
Buhr: Ich denke, was er anders machen wird, natürlich ist, dass er wie gesagt von diesem eurozentristischen Blickpunkt wegkommt, wobei man auch sagen muss, auf seiner Documenta waren natürlich die Afrikaner immer noch in der Minderzahl. Es ist jetzt nicht so, dass er nur sich für afrikanische Kunst interessieren würde, dafür ist er ja auch lange genug in New York gewesen.