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Hormonell wirksame Chemikalien
Schweden klagt gegen die EU-Kommission

Nicht nur Umweltschützer verlangen, dass die EU-Kommission eine Definition für Chemikalien, die in Hormonsysteme von Mensch und Tier eingreifen, vorlegt. Schweden hat die EU-Kommission wegen Untätigkeit vor dem Europäischen Gerichtshof verklagt; das Europäische Parlament und der Ministerrat schlossen sich an. Doch die Kommission wird sich kaum drängeln lassen.

Von Ralph Ahrens |
    Nicht nur Umweltschützer verlangen, dass die EU-Kommission eine Definition für Chemikalien, die in Hormonsysteme von Mensch und Tier eingreifen, vorlegt. Schweden hat die EU-Kommission wegen Untätigkeit vor dem Europäischen Gerichtshof verklagt; das Europäische Parlament und der Ministerrat schlossen sich an. Doch die Kommission wird sich kaum drängeln lassen.
    Manche Chemikalien sind gefährlich: Es gibt brennbare Stoffe, ätzende, einige können Krebs auslösen. Das zu wissen ist sinnvoll: Denn nur wer weiß, wie gefährlich eine Substanz ist, kann sicher mit ihr umgehen. Die EU-Kommission wird auch festlegen, welche Chemikalien es sind, die in das Hormonsystem von Mensch oder Tier eingreifen können. Diese Definition hält Ann-Katrin Sporkmann vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, kurz BUND, für überfällig. Denn ..."wenn sie in das Hormonsystem eingreifen, können sie schädigen und zwar, indem sie dazu führen, dass später Gesundheitsschäden auftreten, wie bestimmte Krebsarten oder verfrühte Pubertät bei Mädchen, Diabetes, Verhaltensstörungen. Und von daher sind die am Ende tatsächlich hormonsystemschädigend."
    Hyperaktivität oder Fettleibigkeit bei Kindern und Erwachsenen
    Wissenschaftler machen solche Substanzen auch für niedrige Intelligenzquotienten verantwortlich sowie für Hyperaktivität oder Fettleibigkeit bei Kindern und Erwachsenen. Diese Erkrankungen und Verhaltensstörungen würden in der EU jährlich Kosten von mehr als 100 Milliarden Euro verursachen. Diese Schätzung gaben renommierte Wissenschaftler gestern am frühen Abend in Brüssel bekannt.
    Noch kann die EU aber den Einsatz solcher Chemikalien nicht einfach begrenzen. Dazu fehlt die entsprechende Definition.
    "Sie ist die Voraussetzung für eine wirksame Regulierung. Hiermit könnte erreicht werden, dass zum Beispiel aktuell noch verwendete hormonell wirksame Chemikalien zukünftig dann vom Markt verschwinden."
    Ursprünglich sollte die EU-Kommission bis Ende 2013 Kriterien festlegen, nach denen beurteilt werden kann, welche Chemikalien tatsächlich bei Mensch und Tier hormonell wirksam sind. Doch die Brüsseler Behörde lässt sich Zeit. Die BUND-Fachfrau macht dafür auch die Chemieindustrie verantwortlich.
    "Hierbei ist die Industrie natürlich anderer Meinung und möchte gerne diese Stoffe weiter einsetzen und nicht so stark reguliert sehen und verzögert daher den Prozess, indem sie zum Beispiel auf einen Bericht zur Folgenabschätzung drängt, der dann erst mal durchgeführt werden musste. Und dadurch verzögert sich der ganze Prozess."
    Hormonell schädliche Substanzen
    Gerd Romanowski, Geschäftsführer des Verbands der Chemischen Industrie, wehrt sich. Nicht nur Chemikalien würden Hormone beeinflussen, sondern auch der seelische Zustand oder ob jemand fettreich isst oder raucht.
    "Man muss eben sehen, dass das Hormonsystem von vielen Faktoren beeinflusst wird – und eine Definition und sichere Kriterien für die Festlegung von hormonell schädlichen Substanzen zu finden, ist nicht ganz einfach, wissenschaftlich sehr anspruchsvoll. Und deswegen sind wir der Meinung, hier geht auch Sorgfalt vor Schnelligkeit."
    Prinzipiell hat er nichts dagegen, den Einsatz solcher Substanzen zu beschränken.
    "Wenn ein Stoff wirklich hormonell schädigend ist – in relevanten Konzentrationen, die bei der korrekten Verwendung des Stoffes möglich wären – dann muss auch eine Regulierung erfolgen. Aber eben auch nur in diesem Fall – und nicht für jede hormonelle Wirksamkeit."
    Doch er warnt davor, Chemikalien unnötig zu stigmatisieren.
    "Also: Es gibt viele hormonell wirksame Stoffe. Aber ob ein Stoff ein hormonell schädlicher Stoff ist, hängt davon ab, ob er wirklich in einem lebenden Organismus einen nachweisbaren Schaden verursacht."
    Ziel, die Gesundheit zu schützen
    Es müsse also jede Chemikalie neu untersucht werden. Das ist Ann-Katrin Sporkmann zu wenig. Sie will, dass die Definition alle Chemikalien, die in das Hormonsystem eingreifen, erfasst.
    "Das dient dann dem Ziel, die Gesundheit zu schützen und weiterhin schafft es auch Anreize für die Industrie, nach sicheren Alternativen zu suchen."
    Nicht nur Umweltschützer verlangen, dass die EU-Kommission eine Definition für Chemikalien, die in Hormonsysteme eingreifen, vorlegt. Schweden hat die EU-Kommission wegen Untätigkeit vor dem Europäischen Gerichtshof verklagt; das Europäische Parlament und der Ministerrat schlossen sich an. Doch die Kommission wird sich kaum drängeln lassen. Es wird noch dauern, bis sie eine solche Definition vorlegt. Bis dahin können aber weiterhin einzelne Staaten vorangehen – so wie Frankreich. Dort darf keine Getränkedose mehr die hormonell wirksame Substanz Bisphenol A enthalten.