Nein, diese Musik ist kein sinnfreies Gehopse, irgendwo zwischen European Song Contest und Lady Gaga. So klingt Protest auf Weißrussisch. Die Gruppe NRM meint es durchaus ernst. Und sie singt von einem anderen Weißrussland. NRM ist eine Stimme der Opposition. Sie hat die Regierung mit ihrer Musik mehr geärgert als manche oppositionelle Politiker. Der Sänger und Chef der Gruppe, Lawon Wolski:
"Eigentlich sind wir eine ganz normale Rockband. Aber wir singen über das echte Leben in Weißrussland. Und weil es hier jahrelang keine politische Opposition gab, haben wir Musiker die Rolle der Oppositionellen übernommen."
Als Präsident Lukaschenko zehn Jahre lang an der Macht war, haben wir ihm ein Geburtstagsgeschenk überreicht: das Lied "Zehn Jahre". Darin heißt es: Wir stehen alle auf einer schwarzen Liste. Wir sind sehr viele. Es reicht sogar kein Papier mehr, um uns aufzulisten. Wir sind Millionen.
Weißrusslands Kunstszene ist ganz auf sich allein gestellt, sie bekommt keine staatliche Unterstützung, nur ein paar auswärtige Kulturinstitute geben Geld für Kooperationen oder stellen ihre Räume zur Verfügung. Die Leiterin des Goethe-Instituts in Minsk, Kathrin Oswalt-Richter:
"Wir haben jetzt zum ersten Mal seit 17 Jahren einen eigenen Raum, in dem man frei sagen kann, was man möchte, auch experimentieren kann und wir sind wild entschlossen, das auch auszunutzen."
Das Goethe-Institut hilft dabei, Grenzen zu überwinden, es bildet zum Beispiel weißrussische Kulturmanager in Seminaren aus. Organisationen wie "European Borderlands" bringen Autoren aus Deutschland und aus der Region nach Belarus. Und doch:
Weißrusslands Kulturszene ist weitgehend strukturlos und muss sich erst einmal selbst organisieren. Seit Jahren war das Land zum Beispiel nicht mehr auf der Biennale von Venedig vertreten. Daraufhin beschlossen einige Künstler, ihren eigenen Biennale-Pavillon zu errichten - wenn schon nicht in Venedig, dann wenigstens in einer privaten Galerie in Minsk, - mit provokanter, politisch brisanter Kunst. Kunst, in der die Klischees des Staates, wonach alles sauber, ordentlich und niemals schmutzig oder gar obszön zu sein hat, über den Haufen geworfen werden.
Inzwischen ist die Kunst auch in der Zivilgesellschaft angekommen. Die Kulturmanagerin und Verlegerin Alexandra Dynko:
"Es gibt da diese Kampagne ‚Sag die Wahrheit!’ Eine Kampagne, die von dem ehemaligen Präsidenten des sowjetischen Schriftstellerverbandes angeführt wird, Uladzimir Nekliajev. In allen Haushalten Weißrusslands wurden Postkarten mit der Anschrift des Staatspräsidenten eingeworfen. Jeder Bürger war aufgefordert, dem Staatspräsidenten "die Wahrheit" zu schreiben. Viele dachten wohl, die Aufforderung stamme vom Präsidenten selbst, und haben die Karten abgeschickt. Dabei war es natürlich eine politische Kunstaktion. Die Anführer kamen für drei Tage ins Gefängnis und stehen jetzt vor Gericht."
Belarus hat zwei offizielle Sprachen. Russisch und Weißrussisch. Präsident Lukaschenko kann praktisch nur russisch, die Opposition dagegen spricht weißrussisch, die Sprache der Landbevölkerung – und der Intellektuellen. Der Schriftsteller Wladimir Arlov, der mehrfach für den europäischen Preis "Dichter der Freiheit" vorgeschlagen war.
"Camus hat gesagt: jeder Mensch hat eine Heimat, und das ist seine Sprache. Ich weiß dass meine Heimat da ist, wo die letzten zehn Generationen meiner Familie auch waren. Manche verspotten weißrussisch als zurückgeblieben, als primitiv und beschränkt. Ich weiß, dies ist meine Sprache."
Auf weißrussisch erscheint auch die einzige oppositionelle Zeitung des Landes, Nasha Niwa. Der bekannteste oppositionelle Journalist des Landes, Ales Kudrytski, betont, die Diktatur in Weißrussland sei nicht so, wie man sie sich vorstellt.
"Belarus nennt man im Westen gern die letzte Diktatur Europas. Ich würde Belarus lieber als schlaue oder smarte Diktatur bezeichnen. Diese Kraft basiert nicht auf der Kraft von Militär oder Polizei, sondern viel mehr auf der Kraft der Überzeugung, der Ideologie, Propaganda."
Mit Ideologie, Propaganda und Überzeugung kann sich aber die Kultur bestens auseinandersetzen. Und das tut sie – auch wenn niemand genau weiß, wo die Reise in Weißrussland hingeht.
"Eigentlich sind wir eine ganz normale Rockband. Aber wir singen über das echte Leben in Weißrussland. Und weil es hier jahrelang keine politische Opposition gab, haben wir Musiker die Rolle der Oppositionellen übernommen."
Als Präsident Lukaschenko zehn Jahre lang an der Macht war, haben wir ihm ein Geburtstagsgeschenk überreicht: das Lied "Zehn Jahre". Darin heißt es: Wir stehen alle auf einer schwarzen Liste. Wir sind sehr viele. Es reicht sogar kein Papier mehr, um uns aufzulisten. Wir sind Millionen.
Weißrusslands Kunstszene ist ganz auf sich allein gestellt, sie bekommt keine staatliche Unterstützung, nur ein paar auswärtige Kulturinstitute geben Geld für Kooperationen oder stellen ihre Räume zur Verfügung. Die Leiterin des Goethe-Instituts in Minsk, Kathrin Oswalt-Richter:
"Wir haben jetzt zum ersten Mal seit 17 Jahren einen eigenen Raum, in dem man frei sagen kann, was man möchte, auch experimentieren kann und wir sind wild entschlossen, das auch auszunutzen."
Das Goethe-Institut hilft dabei, Grenzen zu überwinden, es bildet zum Beispiel weißrussische Kulturmanager in Seminaren aus. Organisationen wie "European Borderlands" bringen Autoren aus Deutschland und aus der Region nach Belarus. Und doch:
Weißrusslands Kulturszene ist weitgehend strukturlos und muss sich erst einmal selbst organisieren. Seit Jahren war das Land zum Beispiel nicht mehr auf der Biennale von Venedig vertreten. Daraufhin beschlossen einige Künstler, ihren eigenen Biennale-Pavillon zu errichten - wenn schon nicht in Venedig, dann wenigstens in einer privaten Galerie in Minsk, - mit provokanter, politisch brisanter Kunst. Kunst, in der die Klischees des Staates, wonach alles sauber, ordentlich und niemals schmutzig oder gar obszön zu sein hat, über den Haufen geworfen werden.
Inzwischen ist die Kunst auch in der Zivilgesellschaft angekommen. Die Kulturmanagerin und Verlegerin Alexandra Dynko:
"Es gibt da diese Kampagne ‚Sag die Wahrheit!’ Eine Kampagne, die von dem ehemaligen Präsidenten des sowjetischen Schriftstellerverbandes angeführt wird, Uladzimir Nekliajev. In allen Haushalten Weißrusslands wurden Postkarten mit der Anschrift des Staatspräsidenten eingeworfen. Jeder Bürger war aufgefordert, dem Staatspräsidenten "die Wahrheit" zu schreiben. Viele dachten wohl, die Aufforderung stamme vom Präsidenten selbst, und haben die Karten abgeschickt. Dabei war es natürlich eine politische Kunstaktion. Die Anführer kamen für drei Tage ins Gefängnis und stehen jetzt vor Gericht."
Belarus hat zwei offizielle Sprachen. Russisch und Weißrussisch. Präsident Lukaschenko kann praktisch nur russisch, die Opposition dagegen spricht weißrussisch, die Sprache der Landbevölkerung – und der Intellektuellen. Der Schriftsteller Wladimir Arlov, der mehrfach für den europäischen Preis "Dichter der Freiheit" vorgeschlagen war.
"Camus hat gesagt: jeder Mensch hat eine Heimat, und das ist seine Sprache. Ich weiß dass meine Heimat da ist, wo die letzten zehn Generationen meiner Familie auch waren. Manche verspotten weißrussisch als zurückgeblieben, als primitiv und beschränkt. Ich weiß, dies ist meine Sprache."
Auf weißrussisch erscheint auch die einzige oppositionelle Zeitung des Landes, Nasha Niwa. Der bekannteste oppositionelle Journalist des Landes, Ales Kudrytski, betont, die Diktatur in Weißrussland sei nicht so, wie man sie sich vorstellt.
"Belarus nennt man im Westen gern die letzte Diktatur Europas. Ich würde Belarus lieber als schlaue oder smarte Diktatur bezeichnen. Diese Kraft basiert nicht auf der Kraft von Militär oder Polizei, sondern viel mehr auf der Kraft der Überzeugung, der Ideologie, Propaganda."
Mit Ideologie, Propaganda und Überzeugung kann sich aber die Kultur bestens auseinandersetzen. Und das tut sie – auch wenn niemand genau weiß, wo die Reise in Weißrussland hingeht.