Das Robert-Koch-Institut veröffentlicht die Hospitalisierungsinzidenz jeden Donnerstag in einer Tabelle. Doch diese Zahlen sind nicht zuverlässig. Ein Beispiel: Schaut man sich etwa die 31. Kalenderwoche an, liegt der Wert für die Über-80-Jährigen in der aktuellen Tabelle bei 2,1 Krankenhauseinweisungen pro 100 000 Einwohner. Ok. Aber ruft man die vor drei Wochen veröffentlichte Tabelle auf, lag der gleiche Wert bei 1,6 – deutlich niedriger.
Nachmeldungen sind das Problem
Dahinter steckt ein Problem, auf das unter anderem der Wissenschaftsjournalist Jan-Martin Wiarda hingewiesen hat. Über die Wochen werden immer weitere Fälle nachgemeldet. So steht es auch im wöchentlichen RKI-Bericht: "Alle Daten sind bezogen auf das Meldedatum, für die vergangenen drei Wochen [...] sind insbesondere Nachmeldungen für [...] Hospitalisierung zu erwarten."
Im Klartext: Die Zahl der Covid-Neueinweisungen in die Klinik ist erst drei Wochen im Nachhinein wirklich belastbar. Vorher unterschätzt dieser Kennwert systematisch die Realität. Eigentlich müssten aber aktuelle Daten vorliegen. Seit dem 13. Juli sind Kliniken in Deutschland per Gesetz verpflichtet, neu aufgenommene Corona-Fälle binnen eines Tages zu melden. Doch das ist nicht so einfach.
"Das Problem besteht darin, die Informationen zusammenzutragen", erklärt der Internist und Intensivmediziner Christian Karagiannidis von der Lungenklinik Köln-Merheim. Das geht bei der Diagnose los. Als erstes kommt ein PCR-Schnelltest.
Krankenhäuser müssen hinterhertelefonieren
"Das heißt, wir wissen dann schon, dass der Patient positiv ist, wir wissen aber noch nicht, welche Mutation er hat. Das heißt, dann wird die Probe nochmal weggeschickt für die Mutationsanalyse", sagt Karagiannidis. Laut Gesetz muss die Klinik auch melden, ob der Patient gegen Corona geimpft ist – und mit welchem Impfstoff. Der Arzt beschreibt den Prozess so: "Wenn die Patienten eingeschränkt sind – und das ist nicht zu unterschätzen im Klinik-Alltag, davon gibt es eine Menge – dann können die nicht so richtig antworten. Das ist etwas, das das schwierig macht, wo wir wieder rumtelefonieren müssen mit Hausärzten, mit Angehörigen. Da hängt schon ein Rattenschwanz dran, an die Informationen zu kommen."
Wichtige Informationen müssen abgetippt werden
Diese Information könnte man auch einfach aus einer digitalen elektronischen Gesundheitskarte auslesen – doch die ist in Deutschland noch nicht in vollem Umfang ausgerollt. Am Ende landen die relevanten Daten in einem Krankenhausinformationssystem. Sie liegen jetzt alle digital an einem Ort – und doch muss sich in vielen Fällen jetzt ein Arzt hinsetzen und sie für die Meldung an das Gesundheitsamt abtippen. "Man merkt schon, dass es viel einfacher wäre, man hätte die Daten alle in diesem Krankenhausinformationssystem und würde alle automatisch versenden - das würde uns eine Menge Arbeit ersparen", sagt Karagiannidis.
Kliniken hängen vom Engagement Einzelner ab
Doch nicht alle Krankenhäuser verfügen über einen solchen automatischen Datenexport. Letztendlich hängt es vom Engagement der Personen ab, die in den Klinken für solche Prozesse zuständig sind. Das hat Hannes Schlieter herausgefunden. Er erforscht an der TU Dresden das Prozessmanagement im Gesundheitswesen und erklärt: "Ist natürlich für die auch so, dass die, wenn das auf sie zukommt, auch einen neuen Daten-Export schreiben müssen. Aber das ist unterschiedlich je nachdem, wen man hat als Ansprechpartner. Ist das jemand, der da wirklich sehr pfiffig ist oder ist es jemand, der schon sehr lange da ist und wenig Lust hat, in dem System Hand anzulegen: komplett unterschiedlich!"
Manche Kliniken müssen ihre Meldung per Fax verschicken
Unterschiedlich ist auch die Art, wie die Kliniken die fertigen Meldungen an die Gesundheitsämter schicken. Manche machen das elektronisch. Andere wiederum müssen pro Patient ein zweiseitiges Papier-Formular ausfüllen und es per Fax verschicken.
Christian Karagiannidis beklagt: "Das Grundproblem im Deutschen Krankenhauswesen ist, dass wir keine zentrale Steuerung haben. Wenn wir eine zentrale Steuerung hätten, wo wir quasi sagen würden: Das muss jetzt eingegeben werden und die Daten müssen übertragen werden von jedem Krankenhaus. Dann würde das Ganze laufen."
Wichtige Daten über den Pandemieverlauf bleiben verborgen
Das Problem geht weit über die Frage hinaus, wie hilfreich oder wie aktuell der Kennwert Hospitalisierungsinzidenz nun wirklich ist. Denn hätte man einen guten, einheitlichen Zugriff auf die Daten der Krankenhäuser, könnten Experten andere drängende Fragen zum Pandemieverlauf beantworten: Wie viele Patienten werden täglich stationär behandelt? Um wieviel länger bleiben ältere Patienten im Vergleich zu jüngeren im Krankenhaus? Wie viel häufiger sind ungeimpfte Personen intensivpflichtig? Die Antworten auf diese Fragen liegen irgendwo in den digitalen Systemen der Krankenhäuser verborgen.