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LABOR: Hotspots der deutschen Lernforschung
Weg vom Einzelkämpfer, hin zum Teamplayer

Klagen über schlechten Unterricht, Inklusionsprobleme und hohe Abbrecherquoten reißen nicht ab. Das Zentrum für Lehrer- und Lehrerinnenbildung der Uni Halle-Wittenberg möchte, dass sich Lehrinnen- und Lehrerausbildung mehr mit konkreten Fallbeispielen beschäftigen.

Von Daniela Remus |
An der Universität in Leipzig sitzen Lehramts-Studenten des ersten Semesters in einer Vorlesung.
Lehramts-Studierende an der Universität Leipzig (dpa/Waltraud Grubitzsch)
"Wir wollen den Lehrer, der auch, wenn er sozusagen die ganzen Probleme und Schwierigkeiten mitbekommt, trotzdem sagt, ich bin immer noch für diese Lern, Bildungs- und Entwicklungsprozesse jedes einzelnen Schülers in dieser Klasse zuständig! Und muss mir einen Kopf machen, mit welchem Angebot ich die erreichen kann."
Rolf- Torsten Kramer, Institut für Schulpädagogik und Grundschuldidaktik.
Zentrum für Lehrer- und Lehrerinnenbildung in Halle/Saale: 2006 wurde das Zentrum als interdisziplinäre Einrichtung an der Universität Halle-Wittenberg gegründet. 28 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den unterschiedlichsten Fachbereichen arbeiten hier zentral an der Verbesserung der Lehrerinnen und Lehrerausbildung. Beispielsweise an der Frage, wie kann das Lehramtsstudium verbessert werden? Wie können die Studiengänge aller Fakultäten so weiterentwickelt werden, dass sich das beim Unterrichten niederschlägt? Und wodurch kann es zukünftigen Lehrkräften gelingen, die großen Herausforderungen an den Schulen wie Inklusion und heterogene Lerngruppen angemessen zu bewältigen? Aktuell liegt der Focus der Arbeit auf einem besonderen Projekt, das im Rahmen der Qualitätsoffensive Lehrerbildung vom Bundesforschungsministerium finanziert wird.
Fallbezogene Lehrerbildung für den inklusiven Unterricht
Denn die Anforderungen für Lehrerinnen und Lehrer werden immer komplexer:
"Ich unterrichtete, während Kinder sich prügelten, mit Stühlen warfen, auf den Tischen standen und schrien. In meinem ersten Jahr an dieser Schule ging ich in der Pause auf die Toilette, um zu weinen.."
berichtet eine Grundschullehrerin in der Wochenzeitung die ZEIT von ihren Erfahrungen. Damit solche Fälle die Ausnahme bleiben und angehende Lehrerinnen und Lehrern optimal auf ihren Beruf vorbereit sind, läuft zur Zeit in Halle das Projekt KALEI. Das Kürzel steht für Kasuistische Lehrerbildung für den inklusiven Unterricht. Was sich hinter diesem komplizierten Namen verbirgt, erklärt Maxi Kupetz, Juniorprofessorin am Germanistischen Institut der Universität mit einem Beispiel aus dem Unterricht:

"Ein Fall, den wir haben, mit dem wir arbeiten: Verweigerung des Zahnfärbeexperiments im Biologieunterricht, weil Ramadan ist. Und dann gucken wir, wie geht die Lehrerin in der Situation damit um? Was verhandeln eigentlich die Teilnehmer miteinander?"
Dafür wird zunächst die konkrete Unterrichtssituation rekonstruiert. Mithilfe von Protokollen, Transkripten und Videos. Warum kam es zum Konflikt? Die Idee des Projekts: Die Lehramtsstudierenden zerlegen den Einzelfall in seine Bestandteile und analysieren die komplexe soziale Situation. Ähnlich wie zum Beispiel auch angehende Juristen vorgehen.
"Eine andere Möglichkeit könnte sein zu fragen, was ist das Problem eigentlich? Was macht den Ramadan eigentlich aus? Ist nicht schmecken können oder wollen das Problem oder ist nicht schlucken können oder wollen das Problem? Dann macht man dann zum Thema."
Universalrezepte gibt es nicht
Lehrkräfte müssen solche Entscheidungen, die den Erfolg ihres Unterrichts beeinflussen, tagtäglich und das in Millisekunden treffen. Und darauf, so die Hallenser Forscher, sind die meisten bisher nicht gut vorbereitet. Auch deshalb beklagen die Gewerkschaften seit Jahren, dass rund ein Drittel aller Lehrkräfte unter massiven psychischen Beeinträchtigungen leide. Viele angehende Lehrer und Lehrerinnen erwarten, es gäbe Universalrezepte, für die schwierigen Fälle im Klassenzimmer. Das aber funktioniert nicht, sagt Schulforscher Rolf-Torsten Kramer:

"Wenn das so wäre, dass die einfach anzuleiten wären, dann hätten wir das längst, dann würde wir gar keine Probleme mehr in Schule und im Unterricht haben, das ist aber nicht so. Der Punkt ist, dass man mit unserem Ansatz von vornherein akzeptiert, dass diese einfache rezeptartige Anleitung über welche empirische Forschung oder Theorie auch immer, nicht funktionieren kann."
Reflektion und Teamplaying gefragt
Das Ziel der kasuistischen Methode ist also das Selbstverständnis der Lehrkräfte. Das müsse sich grundlegend wandeln, um den gegenwärtigen Herausforderungen durch Digitalisierung, Inklusion und Mehrsprachigkeit besser gewachsen zu sein. Weg vom allwissenden Einzelkämpfer, hin zum reflektierenden Teamplayer. Denise Litzrodt studiert Deutsch und Italienisch auf Lehramt. Die Wirksamkeit des konkreten Fall-Trainings durch das KALEI-Projekt hat sie in mehreren Schulpraktika bereits ausprobiert.
"Ich finde schon, dass ich durch das Studium geprägt wurde, viel reflektierter mit mir selbst zu sein und umzugehen. (…) Ich finde schon, durch die Arbeit mit Fällen, dadurch dass man einen anderen Blick darauf hat, ich geh anders damit um, und auch wenn ich das mit meinen Kommilitonen bespreche, man ist ganz anders im Gespräch darüber. Vielleicht deute ich was falsch, welche Perspektive für die Schülerin oder den Schüler die Realität ist…was ist die andere Wahrnehmungsebene?"
Sich selbst in Frage zu stellen, den Fehler für eine vermasselte Unterrichtsstunde auch bei sich zu suchen, das ist ein Perspektivwechsel, der zunächst verunsichert, räumt die Lehramtstudentin ein. Und auch Maxi Kupetz bestätigt, dass die Studierenden diese Herangehensweise erst lernen müssten:
"Meines Erachtens geht es darum, Situation wahrnehmen zu können und anzunehmen, dass es Unsicherheiten gibt und geben wird und auch immer wieder."
Die Evaluation für das KALEI-Projekt läuft noch. Ergebnisse werden im nächsten Jahr veröffentlicht. Die ersten Zwischenergebnisse aber stimmen die Hallenser Wissenschaftler schon jetzt optimistisch: Die angehenden Lehrerinnen und Lehrer seien durch das Einzelfall-Training flexibler, reaktionsschneller und professioneller geworden. Das sei ein wichtiger Schritt, um den Unterricht an den Schulen nachhaltig zu verbessern.