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Houellebecq-Inszenierung zum Saisonauftakt

Barbara Mundel, die neue Intendantin in Freiburg, will ihr Haus aus finanziellen Problemen befreien. Mundel setzt den Geldnöten eine programmatische Idee entgegen: das Theater muss sich den Menschen, der Gesellschaft, ihren Problemen öffnen. Den Anfang publikumsnaher Programmatik macht das Motto "In welcher Zukunft wollen wir leben?" und das dazu passende Sujet, Michel Houellebecqs geklonte Zukunftsexistenzen aus seinem Roman "Die Möglichkeit einer Insel".

Von Dorothea Marcus |
    In keinem anderen Land der Welt und schon gar nicht in Frankreich ist der französische Schriftsteller Michel Houellebecq so energisch für das Theater entdeckt worden wie in Deutschland. Fast unzählbar sind die Bühnenadaptionen seiner Romane "Elementarteilchen" und "Ausweitung der Kampfzone" Auch in Houellebecqs neuestem Roman vom Sommer 2005 "Die Möglichkeiten einer Insel" sind die Standardmotive des Autors vereint: die ewige Glückssuche, die kalte Realität des Kapitalismus, in dem es zur Ware wird und ein animalisch-mechanisierter Sexualtrieb, von dessen Ausübung der Mensch - respektive die Frau - durch das Alter grausam ausgeschlossen wird. Allenfalls kurzfristig scheint so etwas wie Liebe auf und wird durch Krankheit, Selbstmord oder Tod stets schnell beendet. Als Ausweg aus dem jämmerlichen Selbstekel des Menschseins erscheint das Klonen, eine Endlösung für emotionslose, sanfte Freude. Daniel24 heißt die geklonte Hauptfigur, und in der Freiburger Uraufführung von Jörg Pataki wird sein überdimensionaler Kopf als stilles Video auf Gaze projiziiert. Sanft und lächelnd blickt er zurück auf die zynischen Verrenkungen seines menschlichen Prototyps Daniel 1, ein Komiker, dessen Witze einst vor nichts Halt machten, noch nicht mal vor Arabern:

    " Da leuchtet am Horizont eine Döner-Oase auf. Was kannst du mir anbieten? Kalbfleisch, Gammelfleisch, und Spezialdöner, schönes saftig gegrilltes Bauchfleisch von Selbstmordattentätern. Boa, denke ich, das muss ich probieren. Ich beiß also rein... boa, war das scharf! Hassan, ich brauch was zu trinken... Ayran. Arabisches Erfrischungsgetränk... ich öffne es. Hoffentlich ist es keine Bombe, denke ich noch. Hm, doch, salzig. Das ist Sperma! ..."

    Solche Geschmacklosigkeiten der Klon Daniel24 längst nicht mehr nötig. In klinischem Weiß gekleidet, macht er hinter dem Gazevorhang höchstens noch Yogaübungen, lässt Sex allenfalls per Webcam zu und lässt die Erinnerung ans schmerzhaftere Leben Revue passieren - das wie immer autobiografische Züge des Schriftstellers Houellebecq selbst trägt. Geschickt schaltet Regisseur Jörg Pataki zwischen den Erinnerungsebenen hin und her: das Videobild des Schauspielers stellt die künstliche geklonte Gegenwart dar, der echte Schauspieler spielt als Kontrast die ungeklonte Vergangenheit mit Liebesschmerz, Altersangst und Erosentzug. Seine damaligen Freundinnen lösen sich aus der zappelnden Masse einer Sekte, die zu Technomusik immer wieder selbstbezügliche Sexualchoreografien vollführt. Sie hat das Klonen einst durchgesetzt als eine Art Religionsersatz - und sich alle früheren Menschen einverleibt.

    Zuweilen erinnern die Sektenmitglieder mit hochgetürmten Haarteilen und futuristischen Kleidchen zwar an einen schlechten Science-Fiction-Film. Dennoch entgeht der Regisseur durch die geschickt ineinander verschobenen Spiel-, Zeit- und Bildebenen der Falle, in die eine autobiografisch geprägte Romanadaption leicht tappt: die mangelnde szenische Interaktion. Wenn der charismatische Kopf auf der Gazewand erscheint, scheint das Klonen auf einmal als verheißungsvolle Alternative im Raum zu stehen. Dann wieder versetzen projizierte Bilder von Felsenlandschaften und tanzenden Naturvölkern den Zuschauer suggestiv in eine pathetische Liebe zum unvollkommenen Leben. In der letzten Viertelstunde gehen die Lichter aus: Die Stimme von Schauspieler Thomas Mehldorn entwirft in nächtlicher Schwärze mit kleinen Sternen die Möglichkeit jener Utopie, die Houellebecq "Insel" nennt: ein Ort, in dem so etwas wie Liebe dauerhaft möglich wäre und freundliche Kühe in Berggasthöfe hereinschauen - der Zuschauer darf es sich selbst ausmalen. Als das Schlusslicht angeht, hängen die Sterne an Luftballons: vergänglich und flatterhaft wie letztlich alle Utopien. Eine berührende, intelligente Inszenierung, die dem depressiven Kitsch von Houellebecq den Wind aus den Segeln nimmt. Ein äußerst gelungener Einstand für Barbara Mundel. Sie hat sich nichts weniger vorgenommen, als das Freiburger Publikum wieder zum Denken zu bewegen: Noch vor der Premierenparty findet eine Podiumsdiskussion mit einer Freiburger Pfarrerin über das Klonen statt, Debatten über Kapitalismus und Kulturkampf folgen - sowie eine intensive Vernetzung mit in Freiburg reichlich vorhandenen Altachtundsechzigern und freien Szenen. Man würde ihr wünschen, dass diesen intellektuellen Aufbruch auch die Besucher aus dem Schwarzwald mitmachen.