Blickt man auf die Zahlen, könnte man denken, das "House of One" sei ein politisches Projekt. Von den 47 Millionen Euro, die der Bau kostet, zahlt die Bundesregierung 20 Millionen und das Land Berlin 10 Millionen. Kirchensteuern fließen nicht in das Bauwerk. Tatsächlich sehen auch Experten wie der Theologe Rüdiger Braun die politische Bedeutung dieser multireligiösen Unternehmung. Braun ist Referent für den Islam bei der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen.
"Damit ist ja dieses Projekt durchaus auch mit einem politischen Kalkül verbunden. Das wird keiner bestreiten wollen. Es geht um das friedensstiftende Potenzial dieser drei Religionen, oder anders formuliert: Es geht um die Erwartung der Politik an das friedensstiftende und integrierende Potenzial eben nicht aller Religionsgemeinschaften in Berlin, sondern eben auch vor allem dieser drei im Streit um den einen Gott stehenden Religionsgemeinschaften, des Judentums, des Christentums und des Islam."
Diskussion über Lesart des Islam
Das Symbol eines friedlichen Zusammenlebens der drei Weltreligionen Judentum, Christentum und Islam lässt sich der Staat etwas kosten. Und das, obwohl der Islam im "House of One" nur von einer kleinen Gemeinschaft vertreten wird. Von den etwa 250.000 Muslimen in Berlin zählen nur etwa 5.000 Menschen zu dieser Gemeinschaft. Das "Forum Dialog", so ihr Name, stammt aus der türkischen Hizmet-Bewegung, die auch als "Gülen"-Bewegung bekannt ist – eine weltweit vernetzte, dialogoffene und zugleich konservative Variante des Islam.
Kadir Sanci ist Imam beim "Forum Dialog" und repräsentiert beim House of One den Islam. Er wehrt sich gegen das Etikett "konservativ". "Und das widerspiegelt sich auch darin, dass wir sowohl muslimische Frauen haben, die auch Kopftuch tragen, aber auch ohne. Also da muss man ein bisschen genauer hingucken, und da werden sie eigentlich alles sehen. Also wir sind nicht einheitlich, wir sind bunt. Und dieses Bunte macht uns auch eigentlich aus. Und ich glaube, da müssen wir die Menschen mehr aufmerksam machen."
Mitglieder in Religionsgemeinschaften in Deutschland
Seine Religion sei im Grunde auch sehr konservativ, pflichtet der evangelische Pfarrer Gregor Hohberg dem Imam Sanci bei. Hohberg gehört wie Sanci zu den Initiatoren des Dialogprojekts. Am 27. Mai werden die beiden zusammen mit Rabbiner Andreas Nachama den Grundstein für ihr multireligiöses Haus in Berlin-Mitte legen.
"Was wir erleben, und nur darüber können wir ja sprechen, mit unserem Partner, ist eine große Offenheit, eine Weltoffenheit gegenüber anderen Religionen und Kulturen, die tagtäglich eingelöst wird in unserem gemeinsamen Arbeiten, in den Gebeten, die wir zusammen feiern, in den Veranstaltungen, die wir machen. Und das geht soweit, dass es gerade für unsere muslimischen Partner, für Kadir Sanci, unseren Imam, als Person, aber auch darüber hinaus, dass sie unter Druck geraten, weil sie so offen unterwegs sind."
Ditib ist nicht im Kuratorium
Dennoch stand Sancis Bewegung immer wieder im Zentrum der Kritik. Die Unternehmerin und Förderin Catherine von Fürstenberg-Dussmann bemängelte, man habe einen zu kleinen Ausschnitt des Islam für das Dialog-Haus gewinnen können, um damit "islamische Gläubige in Deutschland insgesamt anzusprechen". Deshalb kündigte Dussmann im März 2019 ihre finanzielle Unterstützung für das Projekt auf.
Initiator Gregor Hohberg, Pfarrer an der evangelischen St. Mariengemeinde in Berlin-Mitte, bedauert das. "Auf jeden Fall schmerzt es, weil Frau Dussmann ist ja eine ganz frühe Förderin. Ganz am Anfang hat sie sich für das Projekt begeistert und hat uns wirklich außerordentlich unterstützt."
Mittlerweile haben die Verantwortlichen reagiert. Sie beriefen zwei Muslime aus ganz anderen Zusammenhängen des Islam ins Kuratorium des Hauses: den Professor für islamische Religionspädagogik, Mouhanad Khorchide, von der Universität Münster und die schiitische Religionspädagogin Hamideh Mohagheghi von der Universität Paderborn. Nicht dabei ist der größte Verband von Muslimen in Deutschland, Ditib. Der Türkei-treue Zusammenschluss hätte nur mitgemacht, wenn er den Islam im "House of One" hätte exklusiv vertreten dürfen.
Gleichwohl wünscht sich der Theologe Rüdiger Braun ein Minimum an innerislamischer religiöser Pluralität für das Dialogprojekt. "Entscheidend ist, dass es innerhalb der islamischen Trägerschaft tatsächlich auch zu einem kritischen Diskurs kommt, was eben die unterschiedlichen Lesarten des Islam auch betrifft. Ich glaube, das wird die Trägerschaft für die muslimische Trägerschaft auch sein, eben diese Pluralität wirklich auch abzubilden."
In der Kritik wegen Geld aus Qatar
Auch aus anderen Gründen hat das "House of One" Kritik auf sich gezogen. Vor drei Jahren nahmen die Dialog-Verantwortlichen für ihr Vorhaben indirekt Gelder im niedrigen sechsstelligen Bereich aus dem Emirat Qatar an. Der Staat am Persischen Golf fördert islamistische Strömungen wie die Muslimbruderschaft und die Hamas. Kadir Sanci:
"Wenn eine Stiftung in den Staaten doch wichtige Arbeit geleistet hat, die dann von anderen Stiftungen, von anderen politischen Organisationen dann gewürdigt wird und auch wahrgenommen und anerkannt wird, da haben wir gesagt: Da dürfen wir nicht pauschal etwas ablehnen, wir müssen es mal versuchen."
Über den Umweg einer in den USA ansässigen Stiftung finanzierte das "Bet- und Lehrhaus" sechs Teilzeitstellen im Bildungsbereich. So konnten zwei Pädagogen Arabisch-Unterricht an einer evangelischen Schule in Berlin-Mitte geben. Im Rückblick ist Imam Sanci erleichtert, dass die Finanzierung auf ein Jahr beschränkt blieb.
"Es ist mir nicht schade, dass es beendet wurde. Ich kann Ihnen auch sagen, warum: weil ich zu denjenigen auch von Anfang an gehört habe, die sich kritisch zu dieser Förderung geäußert hatten."
Das Kapitel "Qatar" ist vorbei. Heute fließen dafür um so mehr Gelder aus Fördertöpfen der Bundesregierung, auch über die Baukosten hinaus. Fünf Stellen am "House of One" finanziert das Bundesfamilienministerium im Rahmen eines Programms der Antisemitismus- und Rassismus-Prävention.
Ein Haus nur für drei Religionen?
Jenseits der politischen Kritik muss sich das Dialoghaus auch Fragen zu seiner Architektur gefallen lassen. Geplant sind eine Kirche, eine Synagoge und eine Moschee unter einem Dach – und ein vierter Raum, der nicht religiös festgelegt ist, ein Raum der Begegnung. Der Theologe Rüdiger Braun vermisst hier die Offenheit für weitere Religionen.
"Man möchte ja gerade die Pluralität der Religionen widerspiegeln, man möchte die religionskulturelle Pluralisierung der Gesellschaft überhaupt, auch Berlins widerspiegeln, auch in den liberalen Communities, und da ist vielleicht ein solcher Sakralbau, der sich ja doch relativ klar auch architektonisch auf die drei sogenannten abrahamischen Religionen beschränkt, vielleicht eher ein Hindernis."
Diese Kritik will Pfarrer Gregor Hohberg nicht gelten lassen.
"Man kann nicht ein Haus planen und alles offen lassen. Die Planung eines Haues erfordert Entscheidungen. Diese Herausforderungen haben all diese Projekte. Auch das Haus der Religionen in Bern musste entscheiden: Wie viele Räume gibt es für wie viele Religionen? Es gibt immer mehr Religionen, mehr Konfessionen, mehr Weltanschauungen als es Räume in einem Haus jemals geben kann."
Die Offenheit für weitere Religionen, auch für die nicht-monotheistischen, sei beim "House of One" in Stein gegossen, sagt Gregor Hohberg.