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Hoyer: In Ungarn hat man die internationale Reaktion unterschätzt

Werner Hoyer ist der Meinung, die EU sollte zwar Druck auf Ungarn ausüben. Der Staatsminister im Auswärtigen Amt hofft jedoch auf die Einsicht Ungarns "in die Notwendigkeit, Pressefreiheit zu gewährleisten". Die EU-Ratspräsidentschaft sieht er eher nicht gefährdet.

Werner Hoyer im Gespräch mit Jochen Fischer |
    Jochen Fischer: Am Telefon ist Werner Hoyer, er ist Staatsminister im Auswärtigen Amt und Mitglied in der FDP. Guten Abend Herr Hoyer!

    Werner Hoyer: Guten Abend!

    Fischer: Wir haben es ja gerade gehört: Eine Tragödie für die Pressefreiheit. Medien als Befehlsempfänger für Verlautbarungen der Regierung, da muss einem Deutschen doch Angst und Bange werden, oder nicht?

    Hoyer: Ja, nicht nur jedem Deutschen, sondern jedem Europäer, dem die Pressefreiheit am Herzen liegt. Und in der Europäischen Union ist die Pressefreiheit eines der ganz wesentlichen Rechte, die unbedingt gewahrt werden müssen und deswegen ist es kein Wunder, dass nicht nur die Menschen in Ungarn offensichtlich wie wir gerade gehört haben beunruhigt sind, sondern die Nachbarn und Freunde in der Europäischen Union auch.

    Fischer: Würden Sie sagen, Ungarn ist auf dem Weg, eine Pressezensur einzuführen?

    Hoyer: Ja, man muss jetzt mal abwarten, wie es weitergeht und wie der Text dieses neuen Gesetzes genau aussieht. Es ist ja interessanterweise so, dass wir bis zum jetzigen Zeitpunkt noch gar keinen präzisen Text kennen, in der vorletzten Nacht sind ja noch 300 Änderungsanträge im ungarischen Parlament teilweise sehr unterschiedlich abgestimmt worden, sodass man jetzt mal sehen muss, wie es genau rausgekommen ist. Und man muss auch mal abwarten, ob Präsident Schmitt das Gesetz überhaupt unterzeichnet, denn da gibt es auch einige Zweifel dran. Ich glaube, die Ungarn sind gut beraten, die ungarische Regierung ist gut beraten noch mal zu überlegen, ob sie da eine kluge Entscheidung getroffen haben.

    Fischer: Nun hatte ja Ihr Chef, der Außenminister Westerwelle, der hat ja heute, wie es heißt, mit seinem ungarischen Kollegen telefoniert. Was hat denn der Außenminister gesagt?

    Hoyer: Das weiß ich nicht, weil ich seitdem mit Herrn Westerwelle nicht telefoniert habe, aber ich habe auch den halben Tag am Telefon mit Budapest gehangen und mit meinen Kollegen dort gesprochen und verschiedenen Menschen, die einen besseren Einblick haben vor Ort, als wir das aus der Ferne haben können. Das hat mich einigermaßen ermutigt davon auszugehen, dass wir vielleicht doch noch eine Revision oder eine Veränderung dieses Gesetzestextes erfahren werden.

    Fischer: Und was haben Sie da zu hören bekommen?

    Hoyer: Ich glaube, dass man in Ungarn erheblich unterschätzt hat, wie die internationale Reaktion ist. Aber das ist natürlich nur ein Teil der Botschaft. Denn, dass die internationale Reaktion ist und möglicherweise auch Folgen haben wird, ist die eine Seite, aber die andere Seite heißt natürlich ungarische Rechtsstaatlichkeit. Und ungarische Rechtsstaatlichkeit bedeutet, dass es keinen Zweifel an der Pressefreiheit in diesem wichtigen Land geben darf. Und deswegen hoffe ich, dass nicht aufgrund internationalen Drucks, sondern aufgrund der eigenen Erkenntnis in die, oder Einsicht in die Notwendigkeit, Pressefreiheit zu gewährleisten durch die Verfassung, durch das Gesetz, diese Gesetzesvorhaben doch noch revidiert werden.

    Fischer: Soll denn die EU zum Beispiel keinen Druck ausüben?

    Hoyer: Das sollte sie schon tun. Ich denke, dass das auch der Fall ist. Ich bin natürlich auch mit Brüssel in engem Kontakt gewesen, die Kommission muss sowohl, was das Medienrechtliche angeht, dort die Sache überprüfen, also auch, was die Grundfreiheiten angeht. Die Kommission ist die Hüterin der Verträge, insbesondere also jetzt unseres EU-Vertrages von Lissabon, und es muss geprüft werden, ob das, was Ungarn dort tut oder zu tun beabsichtigt, mit europäischem Recht vereinbar ist oder nicht.

    Fischer: Da steht ja da, dieser berühmte Artikel 7, ich nenne ihn mal den Haider-Paragraphen, drin, der ja möglich macht, dass einem Mitgliedsstaat das Stimmrecht entzogen werden kann, in diesem Fall als Sanktion gedacht. Dann müsste Ungarn die Ratspräsidentschaft zum 1. Januar oder nach dem 1. Januar abgeben. Können wir uns eigentlich von Ungarn überhaupt repräsentiert fühlen ab 1. Januar?

    Hoyer: Na ja, jetzt muss man mal sehen, wie es tatsächlich in Ungarn weitergeht. Ich glaube, den Ungarn selber ist auch ein Schrecken in die Glieder gefahren, was die dort möglicherweise zu erwarten haben. Die Europäische Union hat mit der Frage ihrer Sanktionsmöglichkeiten ja nicht immer glücklich agiert. Seinerzeit sind die Sanktionen gegen Österreich wegen Haider ja nicht gerade sehr erfolgreich gewesen, und deswegen muss die Europäische Union sich das gut überlegen, sollte vor allen Dingen Wert darauf legen alles zu versuchen, um eine endgültige Verabschiedung dieses Gesetzes zu verhindern.

    Fischer: Nun haben Sie angedeutet, es gibt Telefongespräche von beiden Seiten, die Drähte glühen also. Aber wie lange hat man denn eigentlich Zeit, wie lange darf man sich Zeit nehmen?

    Hoyer: Na ja, ich glaube, dass es nicht glücklich ist, dass jetzt über die Weihnachts- und Neujahrstage sozusagen Stillstand der Politik und der politischen Auseinandersetzung weitgehend stattfindet, man sich nur noch über Medien jetzt miteinander beschäftigt. Das ist nicht sehr günstig, wenn man eine solche Sache von der Eskalation fernhalten will. Und ich glaube, es wäre gut, wenn jetzt von Ungarn sehr bald ein beruhigendes Signal ausgehen würde, dass man bereit ist, über diese Dinge doch einmal neu nachzudenken.

    Fischer: Sie sind ja Mitglied der FDP und Pressefreiheit ist ja eines der großen Themen der Liberalen. Da müssten Sie sich doch jetzt eigentlich dafür einsetzen, dass das alles möglichst schnell geht und dass dieses Gesetz nach Ihren Möglichkeiten umgestaltet wird?

    Hoyer: In der Tat, und das war der Grund, warum ich hier so in Aktivitäten verfallen bin. Denn es ist gut, wenn jetzt sehr schnell beruhigende Signale von Ungarn kommen. Denn für jemanden, der die Pressefreiheit als eines der elementaren Kernrechte in unserer Verfassung ansieht, ist es eine unerträgliche Vorstellung, wenn der Eindruck entsteht, es würde ausgerechnet bei der Ratspräsidentschaft Zweifel geben, ob man diesem elementaren Grundsatz zu folgen bereit ist. Denn ich möchte mal sehen, wie ein Land, was unter diesem Verdacht steht, anschließend als Ratspräsidentschaft und damit zum Beispiel auch beim Vorsitz der Östlichen Partnerschaft, den Weißrussen und anderen, erklärt, wie Pressefreiheit funktionieren muss. Das ist etwas, das kaum vorstellbar ist, und deswegen ist es ganz wichtig, dass Ungarn sich das noch mal sehr gut überlegt.

    Fischer: Also können Sie sich vorstellen, dass Ungarn am 1. Januar die Ratspräsidentschaft übernimmt, ohne dass sich an diesem Gesetz irgendetwas geändert hat?

    Hoyer: Die Übernahme der Ratspräsidentschaft kann man nicht mal eben von einem auf den anderen Tag ändern. Die Ratspräsidentschaft ist nicht ein Ehrenzeichen, was man sich ans Revers heftet, sondern das ist etwas, was außerordentlich viel Arbeit beinhaltet, auf die man sich jahrelang vorbereitet hat. Und deswegen kann das nicht mal so eben von jemand anderem übernommen werden. Deswegen ist es umso wichtiger, dass wir im Fall unserer zukünftigen Ratspräsidentschaft erwarten, dass sie ein solches Problem rechtzeitig behebt.