Christiane Kaess: Es waren die schlimmsten rassistischen Ausschreitungen in der deutschen Nachkriegsgeschichte, die Anfang der 90er Jahre das Land überzogen - Ausgangspunkt das sächsische Hoyerswerda. Im September 1991 kam es dort zu zwei Anschlägen auf Flüchtlingswohnheime; die Bilder gingen um die Welt. An die 500 Personen vor den Heimen heizten die Angriffe an; die Polizei war nicht in der Lage, den Mob zu stoppen. Und die Ausschreitungen von Hoyerswerda waren erst der Auftakt einer Serie ausländerfeindlicher Ausschreitungen. Es folgten Rostock-Lichtenhagen und die Mord- und Brandanschläge von Mölln in Schleswig-Holstein und Solingen in Nordrhein-Westfalen.
Anfang des Jahres soll Hoyerswerda wieder ein Flüchtlingsheim bekommen, es gibt wieder mehr Asylbewerber in Deutschland, jedes Bundesland soll seinen Beitrag leisten und auch mehr von ihnen aufnehmen. Dass dies auch heute nicht ganz einfach ist, zeigen jüngst die Proteste um ein Flüchtlingsheim in Berlin-Hellersdorf im Sommer.
Am Telefon ist Martin Gillo von der CDU, Ausländerbeauftragter von Sachsen. Guten Morgen!
Martin Gillo: Guten Morgen.
Kaess: Herr Gillo, ist das eine kluge Idee, ausgerechnet an einem so vorbelasteten Ort wie Hoyerswerda wieder ein Flüchtlingsheim einzurichten?
Gillo: Ich denke, seit Anfang der 90er Jahre hat sich sehr viel geändert, auch in Hoyerswerda, wie Sie ja gerade eben berichtet haben. Bei den letzten Landtagswahlen bekam die NPD dort nur drei Prozent. Ich denke, es ist eine gute Chance für Hoyerswerda, der Welt und sich selbst zu zeigen, dass sich doch Wesentliches geändert hat, dass wir nicht mehr fremdenfeindlich sind in Hoyerswerda und nicht in Sachsen.
Kaess: Das heißt, Herr Gillo, Sie würden ausschließen, dass es zu ähnlichen Szenen wie 1991 kommt?
Gillo: Zunächst einmal: Ausschließen kann man gar nichts. Aber ich bin mir sicher, ich bin mir sicher, dass heute die Situation völlig anders ist und dass solche extremen Ausschreitungen höchst unwahrscheinlich sind.
Kaess: Was macht Sie sicher?
Gillo: Ich denke, viel hat sich geändert. Der Dialog zum Beispiel bei Eröffnungen von neuen Asylbewerberheimen im Freistaat Sachsen, auch in anderen Orten. Es gab anfangs die Initiativen der NPD, die versucht, aus den Ängsten der Menschen Kapital zu schlagen. Aber die Gemeinden, die Bürgermeister, die Initiativen, die Diakonie, die Wohlfahrtsverbände, die Kirchen haben sich eingebracht. Initiativen haben sich geformt wie zum Beispiel jetzt in Hoyerswerda, "Hilf mit Herz“, wir haben "Buntes Radebeul“, wir haben "Buntes Bautzen“. Die Bürger wehren sich und zeigen, dass wir heute weltoffen sind und auf dem Wege zu einer Willkommensgesellschaft.
Kaess: Aber genau in diesem Zusammenhang gibt es auch Kritik an den politisch Verantwortlichen, die heißt, die Bürgermeister versteckten sich hinter den Bürgerbündnissen und Initiativen. Und im Fall Schneeberg, den wir auch gerade im Beitrag gehört haben, da hat Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich seinen Innenminister Markus Ulbig vorgeschickt und war selbst nicht dort. Sollte nicht die erste Reihe vor allem Gesicht zeigen?
Gillo: Sie haben total recht. Ich denke, es ist wichtig für die Politik, für alle Verantwortlichen auch ganz oben, zu signalisieren, dass wir für eine weltoffene Gesellschaft stehen. Ich denke, die Politiker, alle Politiker haben eine Verantwortung zu zeigen, dass wir im 21. Jahrhundert angekommen sind und dass wir uns als Gesellschaft verstehen, wo wir Vielfalt schätzen. Diversität ist eine Stärke. Nur das müssen wir auch den Menschen vermitteln, und das zeigen wir durch aktives Engagement und durch öffentliche Bekenntnisse.
Kaess: Und da haben die verantwortlichen Politiker nach Ihrer Meinung schon genug geleistet?
Gillo: Ich denke, da ist noch Raum nach oben.
Kaess: Wie viel Sorge, Herr Gillo, machen Sie sich über 2014 mit doppelt so vielen Flüchtlingen, die Sachsen dann aufnehmen muss, mit den anstehenden Kommunalwahlen, Landtagswahlen und Europawahlen?
Gillo: Ich denke, wenn wir von allen Parteien, von allen demokratischen Parteien zeigen, dass wir uns für eine menschenwürdige Unterbringung und einen menschenwürdigen Umgang mit den Flüchtlingen einsetzen und uns dazu bekennen und das offen angehen, dann werden wir keine Probleme haben.
Kaess: Im sächsischen Schneeberg - das haben wir eben auch gerade im Beitrag gehört -, da gab es diese Probleme aber. Da wurden in der ehemaligen Bundeswehrkaserne relativ abrupt und ohne viel Vorbereitung Flüchtlinge untergebracht. Zeigt das, dass es ohne lange Vorbereitung immer noch nicht geht?
Gillo: Wissen Sie, in Schneeberg ist das ein Thema. Wir haben eine Erstaufnahme-Einrichtung, also, wenn Sie so wollen, für Flüchtlinge eine Durchgangsstation. Da ist es für die Bürgerinnen und Bürger der Stadt schwer, längere Beziehungen aufzubauen. Schneeberg hat über Jahre ein Asylbewerberheim gehabt, wo Menschen über Jahre auch gelebt haben, und da gab es überhaupt keine Probleme. Ich denke, bei der Erstaufnahme-Einrichtung, die jetzt zu Unruhen auch in der Bevölkerung gesorgt hat, das war eine Verwaltungsangelegenheit, die der Landesdirektion, der Landespolitik gehörte, wo die Bürgermeister nicht primär verantwortlich dafür waren, und ich denke, wir haben gelernt, dass es wichtig ist, mit den Bürgerinnen und Bürgern im Dialog zu stehen, dass wir ihnen erklären, warum die Menschen zu uns kommen, dass wir erklären, dass wir uns zur Menschenwürde und zum humanitären Umgang bekennen und dass das auch die Bereitschaft der Menschen mit einbezieht, auf die neuen Mitbürgerinnen und Mitbürger, wenn sie auch auf Zeit sein mögen, zuzugehen.
Kaess: Wenn Sie im Dialog stehen, Herr Gillo, wissen Sie, woher die Ängste und Sorgen der Menschen kommen?
Gillo: Wir werden geboren mit Fremdenangst und wir müssen lernen in unserer Gesellschaft, das ist Teil unserer zivilisatorischen Entwicklung, dass wir uns zu den Mitmenschen bekennen.
Kaess: Das ist jetzt eine These, die Sie aufstellen, dass wir mit Fremdenangst geboren werden. Hat Sachsen dort mehr Probleme als andere Bundesländer?
Gillo: Ich denke nicht. Aber ich denke, wir haben unseren Ruf in Hoyerswerda schwer beschädigt 1991, und einen Ruf kann man schnell verlieren und kann ihn sich nur sehr, sehr langsam wieder erarbeiten, und daran arbeiten wir im Augenblick.
Kaess: Martin Gillo von der CDU, Ausländerbeauftragter von Sachsen, live bei uns im Deutschlandfunk heute Morgen. Danke für das Gespräch, Herr Gillo.
Gillo: Gern geschehen, Frau Kaess.
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