Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat die Arbeitsminister der G7 nach Wolfsburg eingeladen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Runde aus Frankreich, Italien, Japan, Kanada, Großbritannien und den USA sind zusammengekommen, um über aktuelle Fragen der internationalen Beschäftigungs- und Sozialpolitik.
"Es geht um wirtschaftliche Interessen, aber auch um Werte, die wir gemeinsam vertreten. Und da bin ich zuversichtlich, dass wir einen anderen Antritt in den nächsten Jahren haben als in der Vergangenheit", sagte Hubertus Heil im Dlf.
Menschen mit niedrigem Einkommen im Blick behalten
Die hohen Preissteigerungen infolge der weltwirtschaftlichen Entwicklung und infolge des Ukraine-Kriegs belasten vor allem Menschen mit mittleren und niedrigen Einkommen, daher stehen bei dem Treffen auch die Folgen des Krieges für die Arbeits- und Beschäftigungspolitik auf der Tagesordnung. "Wir müssen uns auch mit der Frage auseinander setzen, wenn Energiepreise längerfristig nicht runtergehen, dann brauchen wir soziale Ausgleichsmechanismen, zum Beispiel in der Grundsicherung", so der SPD-Politiker.
Ein weiterer Programmpunkt sind bessere internationale Standards für nachhaltige Lieferketten und Menschenrechte. "Es geht um wirtschaftliche Interessen, aber auch um Werte, die wir gemeinsam vertreten", so der SPD-Politiker. Daher werde man sich bei dem Treffen auch damit beschäftigen, wie man mit globalen Lieferketten dafür sorgen kann, "dass man Wohlstand nicht auf Zwangsarbeit oder Kinderarbeit aufbaut, indem man auch dafür sorgt, dass es verbindliche Regeln für Unternehmen gibt".
Das Interview im Wortlaut:
Moritz Küpper: Herr Heil, wo wird mehr bewegt, in Davos oder bei Ihnen in Wolfsburg?
Hubertus Heil: Es ist beides ein wichtiger Ort. Bei uns geht es darum, dass nicht nur sieben große Industrienationen zusammen sind, die Interessen vertreten, wie das in Davos viele Unternehmen tun und auch Staatslenker, sondern die G7 sind auch sieben Demokratien. Das heißt, wir reden über Interessen und Werte, wenn es beispielsweise um die wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Ukraine-Krieges geht, aber wenn es auch um größere Fragen und langfristige Fragen einer gerechteren Globalisierung geht.
Küpper: Sie sagen, Demokratien. Manchmal könnte man aber den Eindruck haben, dass die Superreichen, die Megareichen, die auch in Davos immer dabei sind, machen was sie wollen und damit auch viel bewegen können. Gerade global scheint es eine gewisse Gesetzlosigkeit zu geben. So titelt auch der „Spiegel“ in dieser Woche die Gesetzlosen und beschreibt vor allem Männer darin, die machen was sie wollen. Ist das auch Ihr Eindruck?
Heil: Wir müssen schon darüber reden, was zu tun ist, damit die Globalisierung gerechter gestaltet wird. Und bei aller Anhängerschaft für Marktwirtschaft - das sehen wir auch in den G7-Industrienationen -, es gibt einen Vorrang demokratischer Politik auch im internationalen Bereich. Um es konkreter zu machen: Wir beschäftigen uns hier in Wolfsburg mit konkreten Fragen der Ukraine-Krise, mit den wirtschaftlichen und sozialen Folgen, aber zum Beispiel auch mit der Frage, wie wir in globalen Lieferketten dafür sorgen, dass man Wohlstand nicht auf Zwangsarbeit oder Kinderarbeit aufbaut, indem man auch dafür sorgt, dass es verbindliche Regeln für Unternehmen gibt.
"Vieles in der Globalisierung war nicht nachhaltig"
Küpper: All diese Themen haben Sie schon länger auf dem Schirm. Aber kriegt das gerade noch einmal einen neuen Wumms, würde ich es mal nennen? Ihr Kabinettskollege Robert Habeck ist gerade in Davos. Der sagte gestern Morgen an dieser Stelle:
O-Ton von Robert Habeck: „Es ist ein Scheitelpunkt der Globalisierung und wir stehen scheinbar vor einer Wahl, weiter so, die Welt zu organisieren nach dem Profitdenken, nach dem Günstigkeits- und Billigkeitsprinzip, oder einem Auseinanderbrechen der Globalisierung in lauter neue Nationalismen im Sinne von Donald Trump, Brexit, jedes Land kümmert sich nur um sich selbst.“
Küpper: Das betrifft vor allem im Fall von Robert Habeck die Energie. Aber sehen Sie auch für Ihren Bereich, den Bereich Arbeit und Soziales, jetzt ein Zeitfenster, da Dinge wirklich auch global nachhaltig zu verändern?
Heil: Auf jeden Fall! Es ist so, dass es ein Unbehagen über die Art gibt, wie Globalisierung in den letzten Jahrzehnten gelaufen ist. Wir müssen feststellen, dass vieles in der Globalisierung nicht nachhaltig war. Wir sind eine vernetzte Weltwirtschaft. Das sehen wir gerade in Krisen wie der Pandemie und jetzt auch in der Ukraine-Krise. Wenn zum Beispiel Zulieferketten unterbrochen sind, stehen in Wolfsburg die Bänder still. Das ist hier passiert, weil in der Ukraine beispielsweise Zulieferprodukte fehlten oder in anderen Zeiten auch Halbleiter in anderen Teilen der Industrie. Es geht um wirtschaftlich auch resiliente Lieferketten, aber es geht auch um soziale und ökologische Resilienz.
Ich habe es vorhin erwähnt. Wir haben erlebt, dass die Pandemie dazu geführt hat, dass Kinderarbeit in der Welt leider wieder zugenommen hat, weil Teile der Welt verarmt sind. Wir erleben durch die Ukraine-Krise, dass es weltweit hohe Preise und Lebensmittelkrisen gibt und auch, dass in diesem Zusammenhang es droht, dass diejenigen, die ohnehin schon in der Globalisierung nicht auf der Gewinnerseite waren, zu leiden haben. Deshalb brauchen wir eine bessere, eine fairere Gestaltung. Das haben wir in Deutschland mit einem Lieferkettengesetz auch verankert, dass deutsche Unternehmen sich kümmern müssen um Themen wie Zwangsarbeit und Kinderarbeit, ihr Möglichstes tun müssen, das abzustellen.
Wir reden darüber, wie wir in Europa eine gute Regel bekommen, und ich habe das hier auf die Tagesordnung auch der G7 gesetzt, weil noch mal: Es geht um wirtschaftliche Interessen, aber es geht auch um Werte, die wir gemeinsam vertreten. Das verbindet hier und da bin ich auch zuversichtlich, dass wir einen anderen Antritt in den nächsten Jahren haben als in der Vergangenheit.
Ich habe es vorhin erwähnt. Wir haben erlebt, dass die Pandemie dazu geführt hat, dass Kinderarbeit in der Welt leider wieder zugenommen hat, weil Teile der Welt verarmt sind. Wir erleben durch die Ukraine-Krise, dass es weltweit hohe Preise und Lebensmittelkrisen gibt und auch, dass in diesem Zusammenhang es droht, dass diejenigen, die ohnehin schon in der Globalisierung nicht auf der Gewinnerseite waren, zu leiden haben. Deshalb brauchen wir eine bessere, eine fairere Gestaltung. Das haben wir in Deutschland mit einem Lieferkettengesetz auch verankert, dass deutsche Unternehmen sich kümmern müssen um Themen wie Zwangsarbeit und Kinderarbeit, ihr Möglichstes tun müssen, das abzustellen.
Wir reden darüber, wie wir in Europa eine gute Regel bekommen, und ich habe das hier auf die Tagesordnung auch der G7 gesetzt, weil noch mal: Es geht um wirtschaftliche Interessen, aber es geht auch um Werte, die wir gemeinsam vertreten. Das verbindet hier und da bin ich auch zuversichtlich, dass wir einen anderen Antritt in den nächsten Jahren haben als in der Vergangenheit.
"Wir müssen Krise managen und Fortschritt machen"
Küpper: Haben Sie denn Sorge, dass all diese Themen, all diese Probleme, die Sie dort angehen wollen, aufgrund dieses russischen Angriffskrieges und die Sorgen, die dort mitschwingen, und die Probleme, die es dadurch gibt, ein wenig in den Hintergrund geraten?
Heil: Nein! Wir müssen beides tun und wir reden hier heute in Wolfsburg über die kurzfristigen Herausforderungen für Arbeit und Soziales, wenn es zum Beispiel darum geht, Geflüchtete aus der Ukraine gut zu versorgen. Wir reden darüber, was wir tun müssen, um in der akuten wirtschaftlichen Lage unsere Arbeitsmärkte stabil zu halten. Wir reden auch über die Preissteigerungen in unseren Ländern, die Frage, wie man das sozial abfedern kann, gerade für Menschen, die auf Grundsicherung angewiesen sind oder die ein kleines Einkommen haben. Gleichzeitig geht es um die Zukunft der Arbeit und um die Frage einer gerechteren Globalisierung. Wir können nicht nur Krise managen, sondern wir müssen Krise managen und Fortschritt machen. Beides ist notwendig.
Küpper: Ist das Konsens im Kreis der G7? Sie hatten gestern schon ein Abendessen mit den Teilnehmern von heute.
Heil: Ja, es ist so, dass die G7 auch durch die aktuellen Konflikte und Krisen und die großen Herausforderungen neu zusammengeschweißt werden. Das ist mein Eindruck. Ich habe ja schon G7-Gipfel der Arbeitsministerinnen und Minister in der Vergangenheit erlebt, zum Beispiel als ein Arbeitsminister von Donald Trump zu Tisch saß, der multilaterale Organisationen insgesamt in Frage gestellt hat, der Kooperationen zwischen Staaten für falsch gehalten hat, der auf America First und Nationalismus gesetzt hat. Das ist anders! Mein amerikanischer Kollege Martin Walsh, der hier in Wolfsburg zu Gast ist, ist Mitglied der Biden-Administration und das zeigt, die Werte, die wir gemeinsam vertreten, bei allen unterschiedlichen Interessen, die es auch bei Freunden mal geben kann, die schweißen uns in Krisenzeiten zusammen, und auch bei den großen Aufgaben, bei einer gerechteren Globalisierung, beim Kampf gegen den menschengemachten Klimawandel, bei der Frage, was das für die Zukunft der Arbeit bedeutet. Hier ist ein guter Spirit und Krise schweißt Demokratien zusammen. Das ist vielleicht das Gegenteil dessen, was Herr Putin gehofft hat.
"Wir brauchen soziale Ausgleichmechanismen als Sozialstaat"
Küpper: Sie haben gesagt, diese Werte schweißen zusammen. Teilen Sie auch alle die Sorgen um die Versorgung in Ihren Ländern, auch die soziale Frage?
Heil: Absolut! Das ist hier spürbar. Wir haben ein großes Thema weltweit und auch bei uns in den Industrienationen, in den Gesellschaften. Das ist eine unglaublich hohe Inflation, die wir seit 40 Jahren nicht mehr erlebt haben. Gestern Abend war das Thema. Die britische Kollegin berichtete von acht, neun Prozent in Großbritannien. Der amerikanische Kollege berichtete von höheren Energiepreisen und Lebensmittelpreisen. Das ist ja das, was viele Menschen auch bei uns in Deutschland umtreibt. Deshalb haben wir beispielsweise in Deutschland Entlastungspakete von 30 Milliarden Euro auf den Weg gebracht. Und wir müssen auch darüber diskutieren, was wir in den Industriestaaten tun, wenn übrigens dauerhaft bestimmte Preise, Energiepreise hoch bleiben.
Küpper: Was tun Sie dann? Was wollen Sie dann tun?
Heil: Ich habe vorhin gesagt, wir haben jetzt erst mal kurzfristig 30 Milliarden Euro als Entlastungspaket umgesetzt. Das wird in diesem Sommer wirksam. Das wird vielen Menschen helfen, die nicht ein großes Einkommen haben. Aber ich werde konkrete Vorschläge machen, wie wir auch mit der langfristigen Entwicklung umgehen, wenn Sie beispielsweise daran denken, dass es Menschen mit kleinen Einkommen gibt, oder Menschen, die auf Grundsicherung angewiesen sind. Die müssen im neuen Bürgergeld auch deutlich kräftigere Leistungen bekommen, damit sie mit dieser Situation auch zurechtkommen können.
Küpper: Sie haben gesagt, Sie wollen Vorschläge machen. Woran denken Sie?
Heil: Da bitte ich Sie noch ein bisschen um Geduld. Ich kann Ihnen aber sagen, worum es mir geht. Wir haben jetzt mit dem Entlastungspaket tatsächlich kurzfristige Maßnahmen ergriffen und langfristige. Da sind auch ein paar Elemente drin, die dauerhaft entlastend wirken, wie die Abschaffung zum Beispiel der EEG-Umlage auf den Strom. Andere Dinge sind zeitlich begrenzt. Ich habe eben gesagt, wir müssen auch uns mit der Frage auseinandersetzen, wenn Energiepreise längerfristig nicht runtergehen, weil wir unabhängiger werden wollen und müssen von Energieexporten...
Küpper: Davon ist ja auszugehen, oder?
Heil: … und gleichzeitig den ökologischen Umbau haben, dann brauchen wir soziale Ausgleichsmechanismen als Sozialstaat zum Beispiel in der Grundsicherung, aber auch bei der Frage, was das für Menschen mit normalen und mittleren Einkommen betrifft. An solchen Vorschlägen arbeite ich und die werde ich vorlegen.
"Wir können den Arbeitsmarkt gut auch durch diese Krise bringen"
Küpper: Sie arbeiten daran. Aber wenn wir noch mal dabei bleiben: Heißt das noch mehr Staat?
Heil: Nein, nicht unbedingt!
Küpper: Was könnte es sonst sein?
Heil: Wir haben vor allen Dingen die Notwendigkeit, einen starken Sozialstaat zu haben. Der muss sich bewähren. Man kriegt Krisen – das haben wir in der Corona-Pandemie erlebt – nicht bewältigt, wenn der Sozialstaat schwach ist. Der Sozialstaat hat zum Beispiel mit Kurzarbeit dem Arbeitsmarkt den Rücken gestärkt und dafür gesorgt, dass wir keinen Tsunami am Arbeitsmarkt hatten. Wir brauchen auch einen starken Sozialstaat – und das ist auch die Überzeugung der G7 Arbeits- und Sozialminister -, um eine vernünftige Transformation hin zu einer ökologischen Wirtschaft hinzubekommen. Für die Zeit, in der wir die Erneuerbaren noch nicht ausgebaut haben, in der wir aber beispielsweise Energie verteuern werden, braucht es soziale Ausgleichsmechanismen für Menschen mit unteren, normalen und geringen Einkommen, weil es nicht sein kann, dass, wenn das obere Drittel der Gesellschaft zwei Drittel des CO2-Ausstoßes verursacht, das untere Drittel die Zeche zahlt in der Transformation. Das braucht fairen sozialen Ausgleich und dafür muss ein starker Sozialstaat auch einen Beitrag leisten.
Küpper: Herr Heil, weil Sie den Arbeitsmarkt gerade angesprochen haben. Bisher hat diese Krise, die Auswirkungen von diesem russischen Angriffskrieg noch nicht auf den Arbeitsmarkt durchgeschlagen. Rechnen Sie noch damit?
Heil: Ich hoffe nicht, aber es hängt erstens davon ab, was noch alles passiert und ob es eskaliert. Wir haben in Deutschland im Moment vor allen Dingen mit hohen Preisen zu kämpfen, aber wir haben einen starken, robusten und stabilen Arbeitsmarkt. Da wo wir Probleme hatten, zum Beispiel bei gestörten Lieferketten, helfen wir mit Kurzarbeit. Wir können den Arbeitsmarkt gut auch durch diese Krise bringen, es sei denn, es gibt weitere Formen von Eskalation, zum Beispiel durch ein sofortiges Gasembargo. Das würde uns in wirtschaftliche Probleme und auch in soziale stürzen. Auch den Arbeitsmarkt könnten wir dann nicht allein mit Kurzarbeit absichern. Aber wenn wir den anderen Weg gehen, nämlich Stück für Stück unabhängiger werden von russischem Gas, dann halte ich das für zu bewältigen am Arbeitsmarkt. Der ist stark und der hilft uns übrigens auch, gut durch die Krise zu kommen. Wenn wir neben Inflationsängsten auch noch Arbeitsplatzängste hätten, wäre das Gift für die Gesellschaft, und das will ich abwenden.
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