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Hubertus Heil warnt vor bürokratischem Hartz-IV-"Monstrum"

Es seien "harte und konstruktive" Gespräche, sagt Hubertus Heil. Man müsse bei Hartz IV miteinander nachrechnen. Insbesondere beim Bildungspaket reichten nicht "irgendwelche Gutscheine".

Hubertus Heil im Gespräch mit Tobias Armbrüster |
    Tobias Armbrüster: Über die Hartz-IV-Sätze wird seit gestern wieder verhandelt. Die Opposition hat im Bundesrat am Freitag vergangener Woche Nein gesagt, nein zur Hartz IV-Regelung, wie sie die Bundesregierung fordert. Damit sind die Pläne der Regierung erst mal blockiert, jetzt muss der Vermittlungsausschuss einen Kompromiss finden. Gestern hat eine Arbeitsgruppe dieses Ausschusses zum ersten Mal getagt. Mit dabei ist der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Hubertus Heil. Schönen guten Morgen, Herr Heil.

    Hubertus Heil: Schönen guten Morgen! Ich grüße Sie.

    Armbrüster: Wir lesen heute Morgen, Herr Heil, dass Sie in der Arbeitsgruppe eine Art Friedenspflicht vereinbart haben. War der Streit um Hartz IV in den letzten Monaten ein bisschen zu rau?

    Heil: Nein. Ich glaube, dass wenn man miteinander verhandelt – und wir sind jetzt Gott sei Dank endlich in einer Verhandlungssituation, um konkret Verbesserungen zu erreichen -, dann ist es richtig, dass man nicht ständig nach hinten schaut. Ich hätte mir die Gespräche schon früher gewünscht. Ich glaube, nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Februar hätte man sich miteinander hinsetzen müssen, um die Konsequenzen zu beraten. So ist ein Gesetzentwurf zustande gekommen, der nicht mehrheitsfähig war im Bundesrat, und deshalb tagt jetzt der Vermittlungsausschuss.

    Armbrüster: Wie gut ist denn Ursula von der Leyen als Verhandlungspartnerin hinter geschlossenen Türen?

    Heil: Ich habe da keine Noten zu verteilen und will mich auch nicht sozusagen über den Stil da auslassen. Es sind alles in allem harte und konstruktive Gespräche. Wir haben gestern eine Runde gehabt, in der wir Sozialdemokraten konkret gesagt haben, was wir im Bereich der Bildungschancen für Kinder, was wir im Bereich von fairen Regelsätzen und was wir im Bereich von Lohnuntergrenzen, sprich: Mindestlöhnen, an Verbesserungen erwarten. Es ist jetzt an der Seite der schwarz-gelben Bundesregierung, die ja um Mehrheiten nachsucht, zu sagen, wo sie da Bewegungsmöglichkeiten sieht. Das ist bisher noch nicht passiert.

    Armbrüster: Was müsste die Koalition denn ändern, damit Sie die fünf Euro Erhöhung bei den Hartz IV-Sätzen akzeptieren?

    Heil: Um das Ganze mal zu sortieren: Es geht uns im Wesentlichen darum, dass wir den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts, was die Berechnung des Regelsatzes für ein menschenwürdiges Existenzminimum betrifft, tatsächlich auch erfüllen. Das heißt, wir müssen miteinander nachrechnen, ob die Grundlagen da richtig gewählt sind.
    Das Zweite und für uns ein ganz zentraler Punkt ist, dass wir zu konkreten Fortschritten beim Bildungspaket kommen. Das ist aus unserer Sicht im Moment nur ein Bildungspäckchen. Das heißt, dass wir Fortschritte brauchen. Da reichen nicht irgendwelche Gutscheine, die man nicht einlösen kann, sondern wir brauchen Verbesserungen im Bereich von Ganztagsschulen und Schulsozialarbeit.
    Und last, but not least: Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt, dass ein menschenwürdiges Existenzminimum das eine ist, und es folgt für uns daraus, dass man nicht künstlich einen Regelsatz runterrechnen kann, sondern dass man Lohnabstand, das heißt, dass Menschen, die arbeiten, mehr in der Tasche haben als die, die nicht arbeiten, über Lohnuntergrenzen sprich über Mindestlöhne organisieren muss, und da brauchen wir Fortschritte.

    Armbrüster: Habe ich Sie da jetzt richtig verstanden, Herr Heil, dass Sie die fünf Euro Erhöhung tatsächlich akzeptieren würden, wenn die Koalition Ihnen in den anderen Punkten entgegenkommen würde?

    Heil: Da haben Sie mich nicht richtig verstanden, sondern ich habe gesagt, das sind drei Dinge und das kann man auch nicht miteinander wie einen Basarhandel betreiben, die erfüllt werden müssen. Erstens: der Regelsatz muss nachvollziehbar, sagt das Verfassungsgericht, und klar, transparent berechnet werden.

    Armbrüster: Da sagt die Koalition, das ist er mit der fünf Euro Erhöhung.

    Heil: Da gibt es erhebliche Zweifel von Juristen, von Wohlfahrtsverbänden und vielen, die sich damit auskennen. Deshalb setzen wir uns ja miteinander hin, um das Ganze noch mal nachzurechnen und eine klare Grundlage zu schaffen. – Zweitens: Wir brauchen diese Verbesserung gerade für Kinder, was Teilhabe und Bildungschancen betrifft. Das ist wirklich unzureichend, sagt das Verfassungsgericht auch. Da braucht es eine klare auch Sicherstellung des Bundes für Teilhabechancen. – Und drittens Lohnuntergrenzen, und das werden wir miteinander zu besprechen haben.

    Armbrüster: Dann sprechen wir mal über das Bildungspaket. Was würden Sie denn gerne dort nachbessern?

    Heil: Ich glaube, dass wir sicherstellen müssen, dass tatsächlich Kinder auch an diese Teilhabechancen kommen. Ich mache es an zwei Beispielen. Wir haben ja die Ankündigung, dass Kinder zukünftig von Hartz IV-Empfängern, wir würden uns wünschen auch von Geringverdienern, die mindestens genauso große Probleme haben, tatsächlich die Chance haben, so ein Mittagessen auch wahrzunehmen, denn Tatsache ist, nur 20 Prozent der Kinder haben derzeit die Chance, an Ganztagsschulen tatsächlich ein Mittagessen zu bekommen. – Das zweite Beispiel ist: Wir wünschen uns, dass wir im Bereich von Schulsozialarbeit in Deutschland vorankommen. Es ist wichtig, wenn wir nicht nur über Geldleistungen, sondern über Sachleistungen auch reden, dass Bildungschancen konkret organisiert werden, und das geht nur, wenn die Menschen klare Ansprechpartner haben. Und wichtig für das Teilhabepaket auch ist: Wir dürfen nicht, wie der derzeitige Gesetzentwurf es vorsieht, ein bürokratisches Monstrum aufbauen, sondern müssen sehen, dass wir das Ganze unbürokratisch organisieren. Da gibt es erhebliche Zweifel, ob das mit den vorliegenden, von der Union auf den Weg gebrachten Vorschlägen realisierbar ist.

    Armbrüster: Herr Heil, ich kann mir vorstellen, dass viele Leute jetzt ein bisschen überrascht sind, weil Sie detailliert über das Bildungspaket und über gesellschaftliche Teilhabe sprechen, denn immerhin ist das ja eine Idee, auf die die SPD nicht gekommen ist, als sie Hartz IV eingeführt hat.

    Heil: Einspruch, euer Ehren. Es war die rot-grüne Bundesregierung, die 4 Milliarden Euro auf den Weg gebracht hat zum Ausbau von Ganztagsschulen. Da sind wir in Deutschland durch diese Entscheidung der damaligen Bundesregierung ein großes Stück nach vorne gekommen, aber es reicht nicht, das müssen wir miteinander hier feststellen. Deshalb müssen wir im Bereich von Bildungsinfrastruktur voran kommen. Was nützen schöne Gutscheine, wenn man damit nicht Bildungsleistungen auch konkret realisieren kann für die Kinder, und das ist die Aufgabe, die sich jetzt stellt.

    Armbrüster: Das heißt, Sie wollen hier auch nachbessern, was Sie vor ein paar Jahren selbst versäumt haben?

    Heil: Man muss immer Politik besser machen. Ich sage noch mal: wir haben damals etwas angestoßen, was in Deutschland lange von Konservativen bekämpft wurde. Sie erinnern sich ja, was es früher gegen Kinderbetreuung, auch gegen Ganztagsschulen für Vorbehalte gab, und wir müssen jetzt weitergehen, damit tatsächlich flächendeckend diese Angebote auch da sind, damit Kinder unabhängig vom Geldbeutel der Eltern bessere Bildungschancen erhalten.

    Armbrüster: Bis wann rechnen Sie denn mit einer Einigung im Vermittlungsausschuss?

    Heil: Wir sind bereit, zügig voranzumachen. Heute ist die nächste Runde. Ab 11 Uhr heute im Bundesrat sitzen wir zusammen. Ich sage noch mal: wir haben gestern ein Großteil dessen vorgetragen, was wir uns an Verbesserungen für die Lebenssituation von Langzeitarbeitslosen und von Kindern von Geringverdienern erwarten. Jetzt ist es an der schwarz-gelben Seite zu sagen, wo sie sich bewegt, und dann werden wir auch voran kommen.

    Armbrüster: Was passiert oder was macht die SPD, wenn sie sich nicht einigen?

    Heil: Wir wollen, dass wir uns einigen.

    Armbrüster: Deshalb frage ich. Was passiert, wenn Sie sich nicht einigen? Ich kann mir vorstellen, dass Sie das wollen.

    Heil: Noch mal: wir wollen uns einigen, wir haben Vorschläge gemacht, jetzt gucken wir erst mal, ob die andere Seite sich bewegt, und dann werden wir miteinander tatsächlich auch vorankommen können. Ich sage, es muss materielle Fortschritte geben in den drei Bereichen Bildungspaket, bei der Frage von Mindestlöhnen müssen wir substanziell zu Fortschritten kommen und auch bei der Frage des Regelsatzes, der muss transparent und fair berechnet werden. Dann kommen wir auch zu Lösungen.

    Armbrüster: Herr Heil, wir sind in den letzten Tagen dieses Jahres. Viele Hartz IV-Bezieher haben sich vermutlich schon auf die leichte Erhöhung für Januar eingestellt, vermutlich auch auf die Unterstützung für Nachhilfe oder für das Schulessen. All das steckt ja auch im Bildungspaket drin. Was sagen Sie diesen Leuten jetzt, tut uns leid, wir blockieren erst mal, ihr bekommt es nicht?

    Heil: Nein, da haben wir eine andere Auffassung. Nach unserer Rechtsauffassung bietet das Urteil auch eine Möglichkeit für die Bundesregierung, ab 1. Januar das zu tun, was sie für notwendig hält, um dem Urteil auch zu entsprechen. Die Bundesregierung hat gestern vorgetragen, dass sie eine andere Rechtsauffassung hat, und deshalb muss man sagen, wir müssen an einer Lösung arbeiten, miteinander so zügig, aber auch so gut wie möglich, und im Zweifelsfall müssen die Leistungen dann eben nachholend ausgezahlt werden. Dann geht es möglicherweise um ein, zwei Monate.

    Armbrüster: Können die Leistungen aus dem Bildungspaket auch nachträglich ausgezahlt werden?

    Heil: Das müssen wir miteinander besprechen. Wir halten es für möglich, dass das ab 1. Januar passiert. Aber ich sage Ihnen noch mal: Jetzt mit der heißen Nadel ein Gesetz durchzuzwingen, das dann wieder in Karlsruhe landet, nützt den betroffenen Menschen auch nicht.

    Armbrüster: ... , sagt Hubertus Heil, der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD im Deutschen Bundestag. Besten Dank für das Gespräch, Herr Heil.

    Heil: Schönen Tag und frohe Weihnachten, falls wir uns nicht mehr sprechen.

    Armbrüster: Danke schön!

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