Dirk Müller: Wie geht es Olaf Scholz? Eine Frage, die seit Samstag, 18:01 Uhr, immer wieder gestellt wird. Schwer zu sagen! Es ist ein bisschen wie bei der Queen, behaupten Beobachter: Er sieht immer gleich aus. Aber was wird aus dem Finanzminister, dem Vizekanzler, der für den eher konservativen, berechenbaren Kurs in der Partei steht, für die schwarze Null, für das Klimapaket, vor allem aber auch fürs Regieren und für die Große Koalition? Gerade das ist heftig umstritten in der SPD. Die knappe Wahl der beiden Linken Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans hat das mehr als deutlich gemacht. Die Bundestagsabgeordneten der SPD wollen auf gar keinen Fall Neuwahlen, wollen die Große Koalition erhalten, wie viele andere in der Partei auch, und jetzt rudern auch die beiden Neuen etwas zurück bei der Frage Koalitionsbruch. Kevin Kühnert tut das auch inzwischen. Doch ist das die Mehrheit? Wird das die Mehrheit sein auf dem Parteitag am kommenden Wochenende? Darüber sprechen wir nun mit dem früheren SPD-Bundestagsabgeordneten Klaas Hübner. Er ist Unternehmer und Sprecher des Managerkreises der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung. Guten Morgen.
Klaas Hübner: Guten Morgen, Herr Müller.
Müller: Herr Hübner, wie geht es Ihnen seit Samstag, 18:01 Uhr?
Hübner: Mir geht es eigentlich immer gut. Ich bin immer heiter und optimistisch. Natürlich hat sich am Samstag in der Partei etwas verschoben. Es war ein überraschendes Ergebnis, für mich zumindest, dass die beiden, Frau Esken und Herr Walter-Borjans, das gewonnen haben. Man muss nun sehen, wie man weitermacht. Die beiden haben ja sehr vollmundig angekündigt, entweder die Große Koalition zu verlassen, oder aber zumindest so zu verhandeln, wie es Olaf Scholz vorher nicht gelungen ist, nämlich erfolgreicher zu verhandeln. Man wird sehen, wie das funktionieren soll.
In meinen Augen wäre es nicht richtig, die Große Koalition zu verlassen, und auch nur schwer vermittelbar. Wir haben unter Olaf Scholz‘ Führung übrigens einen Koalitionsvertrag ausgehandelt, wo selbst Kritiker sagen, dass er 70 Prozent eine sozialdemokratische Handschrift trägt. Wir haben viele Dinge aus dem Koalitionsvertrag umgesetzt bis jetzt. Wir haben in der Grundrente sogar Dinge durchgesetzt, die über das, was im Koalitionsvertrag steht, hinausgehen. Vor diesem Hintergrund jetzt zu sagen, das wäre keine erfolgreiche Politik gewesen, scheint mir dann doch sehr kühn.
Müller: Aber den Mitgliedern war das offenbar viel zu wenig. Deswegen die Wahl der neuen beiden.
Hübner: Man weiß nie ganz genau, was die Mitglieder motiviert hat. Ich glaube, dass Olaf Scholz einen sehr guten Job gemacht hat, aber er ist nicht der Emotional Leader der Partei gewesen. Das ist er nie gewesen. Da ist es den beiden anderen besser gelungen, Stimmung zu machen. Und das ist auch ein wenig die Gefahr jetzt, in der die beiden stecken. Die Erwartungen, die sie möglicherweise bei einigen ihrer Wähler in der Partei geweckt haben, müssen nun auch irgendwie befriedigt werden, und ich weiß nicht wirklich, wie man diese Kuh vom Eis kriegen will und trotzdem weiter gut regieren will.
Müller: Vielleicht ist die längst vom Eis. Ich hatte das gestern Abend vielleicht noch ein bisschen anders eingeschätzt. Jetzt mehren sich ja auch die Nachrichten um das, was durchgedrungen ist von dem, was gestern im Laufe des Tages da verhandelt und besprochen wurde. Beide rücken ja jetzt ein bisschen ab von der Forderung Koalitionsbruch. Selbst Kevin Kühnert – das haben wir auch in den Nachrichten gemeldet -, der ja für den SPD-Vizevorsitz kandidieren möchte, ist plötzlich auch ein Koalitionsanhänger, wenn wir es mal so relativieren wollen. Das heißt, diese Vollmundigkeit weicht jetzt dem Realismus?
"Für Olaf Scholz muss das wie Hohn vorkommen"
Hübner: Wenn das so wäre, sollte mich das sehr freuen, und mich freut natürlich inhaltlich auch der neue Kursschwenk, der dort vorgenommen worden ist. Aber dennoch bleibt das natürlich nicht ohne Schaden für eine Partei, weil natürlich Erwartungen, glaube ich, geweckt worden sind in einem Teil der Partei, der mit dieser Wahl verbunden worden ist, den die beiden jetzt erklären werden müssen, warum sie jetzt genau das tun, was sie eigentlich Olaf Scholz vorgeworfen haben, nämlich sehr pragmatisch heranzugehen, keine Forderungen zu stellen, nur Gespräche zu führen. Deswegen ist ja eigentlich Olaf Scholz abgewählt worden. Nun verfolgen sie den Kurs von Olaf Scholz genau weiter. Inhaltlich finde ich das richtig. Für Olaf Scholz muss das ein bisschen wie Hohn vorkommen.
Müller: Das heißt, selbst wenn die beiden das jetzt alles relativieren, ist das für Sie noch keine ausgemachte Sache, dass das beim Parteitag dann im Sinne der beiden Neuen läuft?
Hübner: Ich kann nicht in die Delegierten hineinschauen. Ich glaube schon, dass sich beim Parteitag dann Unmut kundmachen wird an den beiden, einfach weil die Erwartungen so hoch gesteckt worden sind. Noch einmal: Inhaltlich finde ich das richtig, wenn sie dort einschwenken, aber das alleine ist nicht genug.
Wir haben noch zwei Jahre vor uns und es ist, glaube ich, auch keine allein ausreichende oder hinreichende Perspektive zu sagen, wir machen jetzt erst einfach mal so weiter und wollen fortwährend Gespräche führen, das andauernd überprüfen. Es braucht schon ein klares Bekenntnis auch dazu, dass wir glauben, gemeinsam in dieser Koalition eine gute Politik machen zu können. Man muss auch mit Freude regieren; ansonsten, glaube ich, werden wir auf Dauer zumindest die Wähler nicht erreichen können.
Müller: Wenn es zu einem weiteren Linksruck kommen sollte, ist das dann noch Ihre Partei, die SPD?
Hübner: Darüber werde ich mir Gedanken machen, wenn es so weit ist. Ich sehe das mit großer Skepsis momentan, was die Partei umtreibt. Aber was heißt Linksruck? Ich glaube, die Partei ist momentan sehr stark fokussiert auf nur ganz wenige Themen. Wir sind momentan thematisch zu einer reinen Sozialstaatspartei geworden.
Müller: Das soll ja auch noch verstärkt werden, beim Klimaschutz beispielsweise. Stärkerer sozialer Ausgleich, haben wir jetzt gelesen.
Hübner: Genau. Sozialstaatspartei, Klimapartei. Das ist aber nur ein Aspekt der gesamten Palette. Was ist mit der Frage, wie das alles erwirtschaftet werden soll, was dann sozialstaatlich vielleicht verteilt wird? Verteilungspolitik ist immer nur dann möglich, wenn vorher auch etwas erwirtschaftet worden ist. Mir fehlt vollkommen momentan in der Programmatik unserer Partei, aber auch anderer Parteien, wie Deutschland aufgestellt werden soll, damit wir auch zukünftig noch innovativ vorne stehen, dass wir zukünftig ein Wirtschaftswachstum generieren können, das etwas ermöglichen kann, was wir nachher mit Sozialstaat meinen. Darüber wird zurzeit gar nicht geredet und das halte ich für ein ganz großes gesamtgesellschaftliches Manko in unserer, aber auch in anderen Parteien.
Müller: Sind Sie denn als Unternehmer und Sozialdemokrat zu dem Punkt gelangt, dass Sie sagen, das was wir jetzt hineingeben in die Gesellschaft, was Sie eingeben an Abgaben, an Steuern und so weiter, das reicht?
Hübner: Ich glaube, es ist nie wirklich der Punkt zu sagen, das reicht. Wir geben eine ganze Menge als Unternehmer und das kann bestimmt auch ein bisschen mehr sein. Die Frage ist immer, wie ist das Vertrauen dann in die Regierenden, das Geld auch auszugeben.
"Politik muss ordentlich mit Geld umgehen"
Müller: Sie würden auch mehr ausgeben, sagen Sie? Sie würden mehr abgeben?
Hübner: Wenn es die Situation erfordern würde, ja! Aber noch einmal: Wir haben seit sieben Jahren steigende Steuereinnahmen in einem nie gekannten Ausmaß. In einer solchen Situation hat die Regierung, die jetzige Koalition alle Möglichkeiten gehabt, das zu tun, was sie für richtig gehalten hat. Jetzt in einer Zeit immer noch überbordender Steuermaßnahmen dann darüber zu reden, neue Schulden zu machen, eine Schuldenbremse aufzugeben, erscheint mir gar nicht glaubwürdig.
Politik muss auch beweisen, dass sie mit dem Geld, das sie hat, ordentlich umgehen kann, dass sie es dafür einsetzen kann, was sie für wichtig hält. Dann ist, glaube ich, auch die Bereitschaft da, mehr zu geben. Aber es ist auch die Erwartung da, wenn es besser läuft, entlastet zu werden. Es ist immer ein Spiel mit kommunizierenden Röhren. Ich würde nicht sagen, es gibt den gerechten absoluten Steuersatz. Den gibt es, glaube ich, nicht.
Müller: Aber bis jetzt finden Sie das okay? Wie Scholz das gemacht hat, schwarze Null, da fühlen Sie Ihr Geld richtig staatlich investiert?
Hübner: Ich finde es absolut in Ordnung, dass in Zeiten so hoher Steuereinnahmen und von Haushaltsüberschüssen in der öffentlichen Hand wir natürlich eine schwarze Null haben müssen. Momentan ist auch gar kein Ende dieser Mehrsteuereinnahmen absehbar. Es wird ein bisschen was gemunkelt, dass die Konjunktur sich eintrübt. Langfristig sehen weder die Bundesbank, noch die Wirtschaftsweisen eine Rezession auf uns zukommen. Insofern ist es gerade in schwierigen Zeiten wichtig, auch an den Grundsätzen, die man gefasst hat, nämlich mit dem auszukommen, was man hat, festzuhalten.
Müller: Aber sehen Sie als Unternehmer, auch als Sozialdemokrat, als Bürger etwas von diesen Überschüssen? Sehen Sie Investitionen in Infrastruktur, die Ihnen weiterhelfen?
Hübner: Das ist sicherlich ein Problem. Das sieht man natürlich nicht, weil viele Gelder auch gar nicht abfließen, weil momentan wir ein Planungsrecht wohl haben in Deutschland, was es nicht ermöglicht, das Geld, was vorhanden ist, auch wirklich auf die Straße zu bringen. Das ist eine Aufgabe von Politik, das zu beschleunigen. Noch einmal: Der Ansatz finanzpolitisch ist richtig, das Geld zusammenzuhalten und dann gezielt zu investieren. Das Tempo der Investitionen ist natürlich deutlich zu langsam in Deutschland.
Müller: Aber das Volumen reicht, was wir hätten, sagen Sie?
Hübner: Ich bin davon überzeugt, dass das Volumen reicht. Der Haushalt gibt genug her. Man muss nur die richtigen Prioritäten setzen.
"Die Regelung von damals war gut"
Müller: Jetzt muss ich Sie noch was fragen, bevor wir auf die Zeit schauen müssen und beenden müssen. Mindestlohn: Soll der höher werden? Finden Sie das gut? Zwölf Euro?
Hübner: Nein, ich halte das nicht für gut. Wir haben seinerzeit den Mindestlohn eingeführt, was richtig war, und wir haben ihn zurecht in die Hände gegeben von Experten und von den Sozialpartnern, die jedes Jahr darüber entscheiden, wie weit der Mindestlohn steigen soll. Damit sollte sichergestellt werden, dass der Mindestlohn so weit steigt, wie es möglich ist oder wie es auch nötig ist für die Beschäftigten, aber auch wie es möglich ist, ohne dass es Verwerfungen in der Wirtschaft gibt.
Keiner kann das besser beurteilen als die aktiven Sozialpartner, Gewerkschaften und Arbeitgeber, und ich halte gar nichts davon, dass die Politik von außen nun versucht, mit plakativen Zahlen eine Sau durchs Dorf zu treiben, die nachher ökonomisch in ihren Auswirkungen gar nicht absehbar ist. - Die Regelung von damals war gut und man sollte daran festhalten, wie übrigens in den meisten Staaten Europas auch.
Müller: Es wird ja viel diskutiert, dass diese zwölf Euro wie auch immer in Relation stehen zu dem, dass man hinterher, nachdem man ein Leben lang gearbeitet hat, dann keine Hilfe mehr vom Staat benötigt. Dafür brauchen wir zwölf Euro, ist die These. Ist das für Sie ein Argument?
Hübner: Das wäre dann ein Argument, wenn diese zwölf Euro festgeschrieben wären für jeden, dass er sich von dort nicht fortentwickeln kann. Normalerweise beginnt man sein Berufsleben mit einem Gehalt oder einem Lohn, welcher dann fortwährend steigt. Das ist die Regel und insofern müssen wir auf den Durchschnitt gucken, was jemand hat, und dann sind wir, glaube ich, jetzt schon sehr, sehr nahe dran oder darüber hinaus, was man später an Rente generieren kann. Das muss nicht vom ersten Tage an generiert werden.
Wir müssen aber auch sehen, dass ein zwölf Euro Mindestlohn, ich glaube, um 20 Prozent mit Ausnahme von Luxemburg gegenüber allen anderen EU-Staaten fast höher liegen würde und wir uns damit deutliche Wettbewerbsnachteile verschaffen würden, was insgesamt wieder Jobs gefährden würde.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.