Agron Bajrami eilt die Treppen im C-Trakt des Justizpalastes von Pristina hinunter. Eigentlich wollte er sich eine Gerichtsverhandlung anhören an diesem Morgen, es geht um Kriegsverbrechen in den 1990er-Jahren. Doch der Angeklagte ist kurzfristig erkrankt, die Verhandlung wurde verschoben.
Das moderne Justizgebäude mit viel Glas und Stahl wirkt auch noch drei Jahre nach seiner Fertigstellung wie ein Fremdkörper im hügeligen Westen von Pristina. 27 Millionen Euro hat der Bau gekostet, maßgeblich finanziert von der EU. Zu erreichen ist der Justizpalast nur über kleine Nebenstraßen, auf denen herrenlose Hunde herumstreunern. An vielen Stellen im Innern hängen noch Kabel aus den Wänden, und immer wieder gab und gibt es Ärger mit der Belüftung, der Heizung, den Aufzügen.
Schwächen in der Justiz
Nicht nur das Gebäude, die gesamte Justiz im Land funktioniere bis heute nicht richtig, findet der Journalist Agron Bajrami – trotz zehn Jahren Eulex, der Rechtsstaatlichkeitsmission der EU. Bestes Beispiel sei die gerade verschobene Gerichtsverhandlung. In dem Prozess unterstützt eine EU-Richterin ihre kosovarischen Kollegen bei der Urteilsfindung. Bajrami sitzt inzwischen hinter seinem Schreibtisch in der Redaktion von "Koha Ditore", der größten Tageszeitung im Kosovo. Seit 2004 ist der 50-Jährige Chefredakteur des Blatts, das sich mit seinen investigativen Geschichten einen Namen gemacht hat. Es ist zehn Uhr, in der Redaktion noch nicht viel los. Aus einem Nachbarbüro dröhnen amerikanische Fernsehnachrichten herüber.
"Eulex hat ganz einfach die Erwartungen der Menschen nicht erfüllt, und die Erwartungen waren hoch - wobei ich hier von der Justiz spreche. Bei der Ausbildung unserer Polizei hat Eulex gute Arbeit geleistet. Die Leute hier haben aber erwartet, dass die EU-Richter gegen Korruption auf höchsten politischen Ebenen vorgehen, gegen schwere Kriminalität, gegen die Drahtzieher bei Kriegsverbrechen. Jetzt endet die Mission in diesem Sommer und hinterlässt dieselben Probleme."
Dass nicht wirklich gegen hohe politische Amtsträger vorgegangen wird, hat laut dem Chefredakteur seine Gründe: Brüssel fürchte um die fragile Stabilität in der jungen Republik Kosovo, man wolle etwa den schwierigen Dialog zwischen Belgrad und Pristina nicht dadurch stören, dass man Verhandlungsführern auf kosovarischer Seite zu Hause den Prozess macht.
Korruptionsvorwürfe gegen Eulex
Doch damit nicht genug: Auch Eulex selbst hatte in den vergangenen Jahren mit schweren Korruptionsvorwürfen zu kämpfen. 2012 etwa soll ein italienischer Richter 300.000 Euro dafür erhalten haben, dass er einen wegen Mordes Angeklagten freigesprochen hat. Genügend Beweise für die angebliche Bestechung gibt es bis heute keine, die britische Staatsanwältin, die diesen und andere Fälle ans Licht brachte, wurde allerdings umgehend von der Eulex-Mission suspendiert. Agron Bajrami und seine Redakteure waren die ersten, die über diese Fälle berichtet haben.
"Für mich sind diese Fälle ganz klar ein Zeichen dafür, dass Eulex selbst gewissermaßen 'balkanisiert' worden ist. Auch ihre Reaktion im Fall des italienischen Richters war typisch hierfür: Sie haben die Medien attackiert, anstatt bei sich selbst aufzuräumen. Unser Reporter, der die Geschichte damals recherchiert hat, wurde eingeladen zu einem Gespräch bei den Eulex-Leuten. Er dachte, das sei ein Interview-Termin. Doch man drohte ihm offen: Wenn Du das veröffentlichst, werden wir Dich vor Gericht stellen. Wir haben es trotzdem publik gemacht. Eulex hat damals sehr, sehr viel Vertrauen verspielt im Kosovo."
Genauso wie die gesamte EU auf dem Westbalkan. Seit 15 Jahren spiele Brüssel die immer gleiche Leier: Die Region habe ganz klar eine europäische Perspektive, es müssten aber diese und jene Voraussetzungen erfüllt werden.
Ohne eine tragfähige Lösung der Probleme im Kosovo und in Bosnien werde allerdings nicht ein weiteres Balkanland in die EU kommen, weder Montenegro, noch Mazedonien oder Albanien, da ist sich der Journalist sicher. Brüssel aber wolle das nicht realisieren, habe bis heute keine echte Vision für den Balkan. Agron Bajrami blickt durch seine randlose Brille auf eine weiße Wandtafel neben seinem Schreibtisch. "Be happy" steht dort in roten Buchstaben, seine 13-jährige Tochter habe den Spruch bei einem Besuch in der Redaktion dort hinterlassen. "Glücklich" dürften die Eulex-Mitarbeiter zum Ende ihrer Mission allerdings wohl kaum sein, zumindest wenn es um eine Bilanz ihrer Arbeit gehe. Die Mission habe ihre Aufgabe ganz klar verfehlt, findet der Chefredakteur.