Muayed ist zwölf Jahre jung, ein kluger Junge. Allerdings: Seit der Flucht aus Syrien vor zwei Jahren ist er nicht mehr zur Schule gegangen. Stattdessen arbeitet Muayed gewissenhaft in einer Autowerkstatt in Istanbul, jeden Tag von morgens bis abends:
"Meine Aufgabe ist: Ich muss dem Boss immer das richtige Werkzeug raussuchen, wenn er ein Auto repariert. Einen Schraubenschlüssel oder Bremsflüssigkeit."
Seine Schwester Siham ist 15 und arbeitet als Kellnerin in einem Istanbuler Schnellrestaurant. Sie war in der 8. Klasse, als die Familie aus Aleppo flüchtete:
"Ich vermisse die Schule. Ich bin gern zur Schule gegangen. Ich war ganz gut und ich hatte viele Freundinnen in der Klasse."
Doch nun müssen die beiden Kinder arbeiten, damit die Familie über die Runden kommt.
Kaum Chancen auf Bildung
Die Eltern wollten wenigstens ihre jüngeren Kinder zur Schule schicken, aber, so klagt Vater Hussein Rashid:
"Die haben auf der Schule immer wieder Papiere und Dokumente gefordert. Am Ende haben sie unsere Kinder nicht in die türkische Schule aufgenommen."
Das ist kein Einzelfall, kritisiert die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. Viele syrische Kinder würden an türkischen Schulen zurückgewiesen. Zudem seien die meisten Schulen in der Türkei überhaupt nicht darauf vorbereitet, Kinder ohne türkische Sprachkenntnisse aufzunehmen.
Die Folge:
"Ich mache den ganzen Tag nichts, gucke nur Fernsehen", sagt die neunjährige Tochter Suzanne. Freunde habe sie auch nicht.
Fatima Rashid, die Mutter, weiß nicht, wie es weitergehen soll.
"Ich wünschte, meine Kinder könnten alle zur Schule gehen, etwas lernen wie andere Kinder. Stattdessen sitzen sie hier oder sie gehen arbeiten. Das bricht mir das Herz."
Politische Vorhaben umsetzen
Die türkische Regierung hatte vor gut einem Jahr per Gesetz beschlossen, dass alle syrischen Flüchtlingskinder in der Türkei eine Schule besuchen dürfen. Trotzdem: Von den 700.000 syrischen Kindern in der Türkei gehen nur etwas mehr als 200.000 zur Schule; fast 500.000 Kinder aber nicht.
Stephanie Gee von Human Rights Watch:
"Die türkische Regierung hat wichtige Schritte unternommen, damit syrische Flüchtlingskinder in der Türkei einen legalen Zugang zu Bildung haben.
Der nächste Schritt ist jetzt, dass das auch in der Praxis funktioniert. Dazu muss aber sichergestellt werden, dass die Familien genügend Einkommen haben, damit sie ihre Kinder nicht zum Arbeiten schicken. Und: Die Schulen dürfen syrische Kinder nicht mehr abweisen."
Sonst, so warnt die Menschenrechtsorganisation, bestehe die Gefahr, dass viele der Mädchen früh verheiratet werden und dass viele der Jungen als Kämpfer zurückgehen nach Syrien. Zudem würden sich viele syrische Familien in der Türkei zu einer Flucht nach Europa entscheiden, wenn sie und ihre Kinder in der Türkei keine Möglichkeit bekommen, sich ein neues Leben aufzubauen.
Internationales Engagement gefordert
Hier sei nicht nur der türkische Staat gefordert, sondern die internationale Gemeinschaft müsse dafür sorgen, dass alle syrischen Flüchtlingskinder Schulbildung bekommen.
Der zwölfjährige Muayed sieht seine Zukunft weder in der Istanbuler Autowerkstatt, in der er arbeitet noch in Europa, sondern, so sagt er:
"Wenn der Krieg zu Ende ist und mein Land wieder aufgebaut wird, dann kann ich hoffentlich zurück. Ich möchte zurück nach Syrien und Lehrer werden."