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Humanisten
Laizität statt Laizismus

So recht freuen können sich Konfessionsfreie über die sinkende Zahl von Kirchenmitgliedern nicht. Arik Platzek vom Humanistischen Verband sagt, noch immer würden Nicht-Religiöse wie Bürger zweiter Klasse behandelt. Trotzdem lehnt er eine strikte Trennung zwischen Kirche und Staat wie in Frankreich ab.

Arik Platzek im Gespräch mit Susanne Fritz |
    Arik Platzek
    Arik Platzek (Deutschlandradio/ Arik Platzek privat)
    Susanne Fritz: Die deutsche Gesellschaft wird säkularer. Ein Drittel der Bundesbürger findet in den Kirchen keine Heimat. Aber auch bei den katholischen Gläubigen gibt es einen Riss zwischen ihrer Lebenswelt und der katholischen Lehre. Das hat eine Studie von Papst Franziskus im Jahr 2013 ergeben. Im Studio in Berlin sitzt jetzt Arik Platzek vom Humanistischen Verband. Guten Morgen, Herr Platzek!
    Arik Platzek: Guten Morgen!
    Fritz: Der Humanistische Verband ist die Stimme von Konfessionslosen, Atheisten und Agnostikern. Freuen Sie sich über den Mitgliederschwund der Kirchen?
    Platzek: Wir schauen grundsätzlich neutral darauf, denn wie wir in dem Beitrag gehört haben. gehört haben, sind die Motive ganz unterschiedlich. Sind es Motive rein finanzieller Natur oder ist es ein genereller Rückzug in die Privatheit? Ich glaube, da müssen wir wirklich auf den Einzelfall schauen bei der Vielzahl der Beweggründe, warum Menschen sagen, dass sie sich keiner Kirche mehr verbunden fühlen wollen. Positiv insofern sagen wir natürlich, ist es, dass das Verhältnis zwischen Staat und den religiösen Institutionen vermehrt diskutiert wird, weil religiöse Bindung oder kirchliche Bindung in der Gesellschaft abnimmt, und eben auch wieder stärker Gesprächsbedarf entsteht zur Frage: Warum werden Konfessionsfreie und Nicht-Religiöse teilweise in der Bundesrepublik Deutschland wie Bürger zweiter Klasse behandelt? Wo müssen wir was verändern, um der Vielfalt der religiösen und weltanschaulichen Auffassungen und auch der Gleichbehandlung zwischen den verschiedenen religiösen und weltanschaulichen Gemeinschaften in Zukunft besser gerecht zu werden?
    Fritz: Sie sagten gerade, man müsse das Verhältnis von Staat und Religion neu überdenken. Sind Sie denn für eine strikte Trennung von Staat und Religion?
    Platzek: Nein, kann man so pauschal nicht sagen. Also, ein rein separatistischer Laizismus, wie er beispielsweise in Frankreich praktiziert wird, das ist nicht das Modell, was wir für am sinnvollsten halten. Aber wir sehen durchaus Reformbedarf an all diesen Stellen, denn das Grundgesetz gibt im Rahmen unseres Verständnisses von kooperativer Laizität eigentlich ein ganz gutes Modell vor, was aber in der Vergangenheit bisher sehr stark einseitig zugunsten der großen Kirchen praktiziert wurde, und hier sagen wir: Da gibt es natürlich auch noch andere Weltanschauungen und Weltanschauungsgemeinschaften, die auch Wertebildung leisten, die sich auch in der Gesellschaft engagieren, und die natürlich im gleichen Maße dann halt eben auch partizipieren und eingebunden sein möchten wie beispielsweise eben Religionsgemeinschaften.
    "Politik und Gesetzgebung sind von Kirchenförmigkeit geprägt"
    Fritz: Sie haben gerade in Ihrer ersten Antwort gesagt, es gibt große Unterschiede im Umgang mit den Religionsgemeinschaften beziehungsweise Weltanschauungsgemeinschaften in Deutschland. Inwiefern sehen Sie denn Unterschiede?
    Platzek: Ein Punkt liegt beispielsweise darin, dass wir das Phänomen haben, dass die Politik und die Gesetzgebung ganz stark von dem Bild der Kirchenförmigkeit geprägt sind, wo zum Beispiel alle Angehörigen einer bestimmten Religion oder Weltanschauung auch so formell in Vereinen organisiert sind, und alle, die das nicht so machen, und alle Weltanschauungen und auch religiösen Gruppen, die sich halt nicht kirchenförmig organisieren, die fallen da häufig in den politischen Prozessen und in der Berücksichtigung auch in anderen Bereichen einfach raus. Und konkret will ich es noch an einem anderen Beispiel illustrieren: die Wertebildung an den Schulen. Wir haben bundesweit ab der ersten Klasse Religionsunterricht, und es gibt aber eben mit wenigen Ausnahmen oftmals kein gleichwertiges Angebot für diejenigen, die sagen, dass der Religionsunterricht eben nichts mehr für sie ist. Ab und zu, also in einigen Bundesländern, gibt es Ethikunterricht ab der fünften oder siebten Klasse, aber ein adäquat ausgestattetes, hochwertiges Angebot ab der ersten Klasse hat man nur in sehr wenigen Regionen von Deutschland.
    Fritz: Der Humanistische Verband ist ja nun auch wie die christlichen Kirchen eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Wenn ich Sie richtig verstehe, wollen Sie stärker partizipieren, kooperieren mit dem Staat? Inwiefern würden Sie davon profitieren, von einer Kooperation mit dem Staat?
    Platzek: Nehmen wir ein ganz praktisches Beispiel, die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten haben Rundfunkräte und dergleichen, und darin sind eben auch Vertreter von Religionsgemeinschaften, von den Kirchen, von den jüdischen Gemeinden, zunehmend jetzt auch Vertreter der Muslime. Die können dort ihre Anliegen zu Gehör bringen – was beispielsweise eben das Programm betrifft –, können auch nach außen hin als Ansprechpartner dienen, und obwohl wir halt genauso Gebührenzahlerinnen und Gebührenzahler sind, haben wir diese Ansprechpartner, die unsere lebensweltlichen Auffassungen authentisch repräsentieren können, die finden wir zum Beispiel alleine in diesem Bereich bisher nicht.
    Fritz: Diese gewünschte Zusammenarbeit mit dem Staat, der Weltanschauungsgemeinschaften und der Religionen, hat die nicht auch einen hohen Preis für Sie? Immerhin kämpfen Sie doch eigentlich gegen den Einfluss der Religionsgemeinschaften in unserer Gesellschaft.
    Platzek: In einigen Bereichen kann man, auch sagen, dass wir für eine klare Trennung zwischen Staat und Religion oder auch Kirchen eintreten, beispielsweise ist uns ja auch die Kirchensteuer mit staatlichem Einzug ein Dorn im Auge, das stimmt schon, aber im anderen Bereich sind wir durchaus für Formen von Zusammenarbeit – wie ich es ja vorhin angedeutet habe –, im Rahmen dessen, was das Grundgesetz als kooperative Laizität möglich macht.
    Fritz: Was spricht denn eigentlich aus Ihrer Sicht gegen eine komplette Trennung von Staat und Religion, so wie es in Frankreich der Fall ist?
    Platzek: Unsere Beobachtung in Ländern, in denen Staat und Religion stärker getrennt sind, kommt zu dem Ergebnis, dass da eine gewisse moderierende Funktion von staatlichen demokratischen Institutionen hilfreich ist, beispielsweise in der Fundamentalismus-Prävention. Wir kennen die USA mit ihrer sehr großen Vielzahl von teilweise auch stark fundamentalistischen Gruppen, wir haben das ähnlich mit Blick auf die Radikalisierung der Muslime in gerade Frankreich erlebt, wo es ja eben auch einen sehr separatistischen Laizismus gibt, und da ist eigentlich das deutsche Modell ein gutes, sofern es wirklich integrierend und alle Gruppen einschließend wirkt.
    "Der Megatrend ist nicht die Islamisierung, sondern die Säkularisierung"
    Fritz: Schauen wir mal auf die Politik: Kirchenaustritte, Bedeutungsverlust der Kirchen – was ist angesichts einer solchen Entwicklung noch davon zu halten, dass eine große Volkspartei wie die CDU ein "christlich" im Namen führt, aus Ihrer Sicht?
    Platzek:Das, glaube ich, müsste sich die CDU selbst fragen. Ich weiß ja auch, was es zumindest innerhalb der christlich-demokratischen Kreise für Kontroversen in den letzten Jahren gab, aber natürlich hat man gesehen, dass sich auch die CDU schon verändert, hin zu dem Mega-Trend, den wir tatsächlich in der Gesellschaft haben, und der ist eben nicht, wie es vielfach in einzelnen Schlagzeilen so behauptet wird, eine vermeintliche Islamisierung, sondern der Mega-Trend, den wir in der Gesellschaft haben, der ist zum einen die Säkularisierung, das starke Wachstum von generell religionsdistanziert lebenden Menschen, und daneben eben noch die weltanschauliche und religiöse Pluralisierung.
    Fritz: Vielen Dank für das Gespräch! Das war Arik Platzek vom Humanistischen Verband zu den Kirchenaustritten in Deutschland.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.