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Humanitäre Schutzzonen
"Iran ist nach Syrien gegangen, um dort zu bleiben"

Russland, Iran und die Türkei haben sich auf Deeskalationszonen in Syrien geeinigt - ohne Zustimmung der USA. "Ein sehr pragmatischer Ansatz", sagte dazu Syrien-Expertin Kristin Helberg im DLF. Sie sei aber skeptisch, ob es wirklich darum gehe, Menschen zu helfen oder womöglich "einfach nur eigene Interessen zu zementieren".

Kristin Helberg im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann |
    3. Mai 2017: Mindestens vier Menschen sind bei der Detonation einer Autobombe in der nordsyriuschen Stadt Aziz ums Leben gekommen. Zwei waren Iraker, die dort dem Krieg und der Gewalt in ihrer Heimat entkommen wollten.
    Straßenszene in Aziz, Nordsyrien. Die Menschen kommen nicht zur Ruhe. Jetzt soll es Deeskalationszonen geben. (imago/ZUMA)
    Dirk-Oliver Heckmann: Menschenrechtsaktivisten fordern sie schon lange: humanitäre Schutzzonen für Syrien. Das sind Bereiche, in die die Zivilbevölkerung fliehen kann und Schutz erhält vor militärischen Angriffen. An solche Schutzzonen erinnern die sogenannten Deeskalationszonen, auf die sich Vertreter Russlands, der Türkei und des Iran in der kasachischen Hauptstadt Astana gestern verständigt haben. Gibt es also Hoffnung für die Syrer nach sechs Jahren blutigen Bürgerkriegs? Die Vereinten Nationen geben sich verhalten optimistisch.
    Am Telefon begrüße ich Kristin Helberg, Syrien-Expertin. Schönen guten Tag, Frau Helberg.
    Kristin Helberg: Guten Tag, Herr Heckmann.
    "Eigentlich geht es erst mal darum, weniger zu kämpfen"
    Heckmann: Frau Helberg, die Verhandlungspartner haben sich in Astana auf die Einrichtung von vier Deeskalationszonen geeinigt. Finden nicht in Genf, wo ja Friedensgespräche unter Führung der UNO und mit Beteiligung der USA geführt werden, sondern in Astana die entscheidenden Friedensverhandlungen statt?
    Helberg: Nein. Friedensverhandlungen sind es ja gerade in Astana nicht. Die sollen weiterhin in Genf stattfinden, wobei die zum jetzigen Zeitpunkt ja eher einen Verhandlungsprozess vortäuschen, weil tatsächlich ja die militärischen Bedingungen am Boden in Syrien ganz andere sind und dort eigentlich weiterhin nach militärischen Lösungen gesucht wird, vor allem seitens des Regimes, das auch nach wie vor angreifen kann und Gebiete zurückerobern möchte mit der Unterstützung Russlands und des Irans. Was in Astana stattfindet, ist tatsächlich ein sehr pragmatischer Ansatz von diesen drei ausländischen Interventionsmächten, Russland und Iran aufseiten des Regimes, die Türkei als gewissermaßen Unterstützungsmacht der verschiedenen bewaffneten Oppositionsgruppen, überhaupt militärisch vielleicht erst mal zu deeskalieren. Und genau das sehen wir jetzt auch. Das ist natürlich nicht wirklich Schutz von Zivilisten, der seit Jahren gefordert wird, sondern eigentlich geht es erst mal darum, weniger zu kämpfen.
    "Die Chance, das man Gebiete territorial festlegt"
    Heckmann: Da kommen wir gleich noch drauf, was das genau bedeutet. Zunächst aber die Frage: Was ist so eine Einigung auf eine Deeskalationszone oder mehrere wert? Ist die Hoffnung, die damit für die Zivilbevölkerung verbunden ist, berechtigt?
    Helberg: Wir müssen uns ja ansehen, woran sind denn bislang die Waffenstillstände gescheitert in Syrien. Es gab ja verschiedene Versuche über all die Jahre, das hat immer nicht funktioniert, einfach weil die verschiedenen Akteure unterschiedliche Definitionen von Terror hatten. Man hatte sich ja immer geeinigt, die Terroristen darf man weiter bombardieren, die darf man weiter angreifen, und aus Sicht der syrischen Regierung sind alle Gegner, bewaffnete, zum Teil auch unbewaffnete, unter Terroristen zu verstehen, und insofern nahm sich das Regime ja in der Vergangenheit immer heraus, weiterhin die strategisch wichtigen Gebiete zu bombardieren, die Assad zurückerobern wollte.
    Die große Chance für mich liegt dieses Mal darin, dass man Gebiete territorial festlegt. Das heißt, man beugt sich über eine Karte und sagt, hier ist unsere Deeskalationszone, und dann gibt es eigentlich keine Ausrede mehr, dort weiterhin anzugreifen und Luftangriffe zu fliegen. Und das ist nun die Frage, wird das passieren, wird Russland das zur Not auch durchsetzen oder nicht.
    "Es hängt alles von dem guten Willen dieser Akteure ab"
    Heckmann: Da komme ich gleich noch mal drauf zurück, auf den Punkt. Aber vielleicht noch mal zur Klärung. Der Unterschied zwischen Deeskalationszonen und humanitären Schutzzonen, worin genau besteht der?
    Helberg: Im Falle von Schutzzonen verpflichtet sich jemand, die Zivilisten dort aktiv zu schützen, indem man verhindert, dass sie bombardiert werden, indem man womöglich eigene Truppen entsendet und vor Ort durchsetzt, dass Gruppen entwaffnet werden. Während in diesem Fall gerade in Syrien es zunächst mal darum geht, dass weniger gekämpft wird. Das heißt, die Kriegsparteien verpflichten sich, nicht mehr anzugreifen, keine Waffen mehr einzusetzen, keine Luftangriffe mehr zu fliegen. Das kann funktionieren, muss aber nicht funktionieren, und es hängt alles davon ab, von dem guten Willen dieser Akteure und von der Bereitschaft Russlands in dem Fall, insbesondere das durchzusetzen und der Türkei natürlich auch gegenüber den Rebellengruppen durchzusetzen. Also kein aktiver Schutz, sondern der passive Versuch, erst mal weniger Gewalt zu erzeugen.
    "Das Ganze unter einen internationalen Schutz stellen"
    Heckmann: Sie haben es gerade schon gesagt, Frau Helberg. Russland hat ja unter dem Vorwand der Terrorbekämpfung Luftangriffe geflogen, immer wieder, trotz der vereinbarten Waffenruhe. Die amerikanische Regierung ist dementsprechend skeptisch, auch angesichts der Rolle des Iran in der Region. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit aus Ihrer Sicht? Sie haben gesagt, es kommt auf den guten Willen an. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass diese Bombardierungen auch in den Deeskalationszonen weitergehen?
    Helberg: Wir haben ja gehört, dass die Regierung in Damaskus generell erst mal zugestimmt hat. Auch das ist neu, weil eigentlich in der Vergangenheit das Assad-Regime immer darauf bestanden hat, selbst zu entscheiden, wo man angreift und wo man bombardiert. Das ist durchaus ein gewisses Zeichen des Entgegenkommens. Man muss nun sehen, ob das auch eingehalten wird. Wir haben in dem Fall auch die Einigkeit aller internationalen Mächte, also Russland, USA und Iran und Türkei auf der regionalen Ebene. Auch das macht einen in gewisser Weise hoffnungsvoll. Aber es gibt natürlich ganz viele offene Fragen. Es gibt zum Beispiel die große Frage, wer soll denn diese Checkpoints an den Grenzen dieser Gebiete kontrollieren, wer soll da stehen. Sollen da jetzt iranische Söldner stehen, das ist nicht akzeptabel für viele Syrer, weil der Iran für viele inzwischen eine Besatzungsmacht ist in Syrien. Dann ist die Rede von womöglich Drittstaaten. Soll da jetzt eine UNO-Truppe hin, das wäre natürlich sehr interessant und auch sehr wichtig wahrscheinlich, das Ganze unter einen internationalen Schutz zu stellen, neutrale Akteure dort hinzubringen und eben nicht Kriegsparteien.
    "Iran errichtet dort ja auch eine strukturelle Präsenz im Lande"
    Heckmann: Denken Sie, dass die Bereitschaft dafür da ist?
    Helberg: Das weiß ich nicht. Das werden wir nun abwarten müssen. Aber alleine diese drei Kriegsparteien mit ihren Soldaten dort hinzustellen, wird nicht ausreichen, weil sie für viele Syrer keine neutralen Beobachter sind, sondern aktive Kriegsparteien, die ja eigene Interessen verfolgen. Damit kommen wir zu der großen Skepsis der Opposition, die sagt, na ja, wir wissen, dass es diesen ganzen internationalen Mächten in Syrien nicht um die Zivilisten geht, das haben wir nun sechs Jahre gesehen, sondern die vertreten alle eigene Interessen. Die Türkei im Norden des Landes, Russland vertritt eigene Interessen, der Iran ist nach Syrien gegangen, um dort zu bleiben im Grunde und errichtet dort ja auch eine strukturelle Präsenz im Lande. Deswegen diese große Skepsis, ob es wirklich darum geht, jetzt hier den Menschen zu helfen, oder ob es nicht mehr darum geht, womöglich die Rebellengebiete auch weiter zu zerteilen und dadurch insgesamt zu schwächen und international einfach nur die eigenen Interessen zu zementieren.
    "Dennoch bin ich natürlich verhalten optimistisch"
    Heckmann: Ganz kurz Ihre Haltung? Wie groß ist Ihre Skepsis?
    Helberg: Ich bin verhalten optimistisch, weil ich denke, wenn man es tatsächlich territorial mal einzeichnet auf einer Karte, könnte man auch gezielt dem Regime sagen, schaut mal, ihr habt hier zugestimmt, diese Gebiete dürft ihr nicht mehr angreifen. Das Ganze soll ja ab Samstag eigentlich in Kraft treten, aber erst mal will man sich noch vier Wochen auf die Demarkationslinien einigen und einzeichnen. Wir haben schon gesehen, dass erste Entwürfe dazu geführt haben, dass die Gebiete, die so definiert wurden, gleich wieder besonders heftig angegriffen wurden durch das Regime. Wir haben auch gesehen in den letzten vier Wochen, dass zum Beispiel allein in der Provinz Idlib sieben Krankenhäuser außer Betrieb bombardiert wurden. Das sind ja irgendwie so Ereignisse, die einen nicht besonders hoffnungsvoll machen. Aber dennoch bin ich natürlich verhalten optimistisch, wenn sich alle ausländischen Mächte auf so etwas einigen, die Bereitschaft besteht, dass womöglich auch gegenüber dem Regime durchzusetzen, dann könnte das für die Menschen – und das ist das Entscheidende – vor Ort ein bisschen Hilfe bringen.
    Heckmann: Wir werden das weiter verfolgen, müssen an der Stelle aber leider einen Punkt machen. Danke, Kristin Helberg, an die Syrien-Expertin. Schönen Tag Ihnen.
    Helberg: Ich danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.