Horst Bredekamp: Vielleicht schicke ich voraus, dass ich Frau Savoy sehr schätze, ich halte ihre Publikationen für fundamental, wir schätzen uns auch persönlich. Und umso mehr war ich überrascht und entsetzt über diese Äußerung, die keine Basis besitzt. Jede Form der Kritik, die wir auch selber äußern, auch in der Öffentlichkeit, ist nicht nur willkommen, sondern herausgefordert. Und das betrifft insbesondere das Expertengremium mit Mitgliedern aus allen Erdteilen, die bei dem zweiten Treffen, bei dem Frau Savoy nicht dabei sein konnte, enthusiasmiert in alle Welt zurückgefahren sind.
Änne Seidel: Bénédicte Savoy nennt diesen Beirat allerdings eine Pro-forma-Veranstaltung. Also, irgendwas muss da ja schief gelaufen sein in der Kommunikation, warum sonst sollte sie mit solchen Anschuldigungen an die Öffentlichkeit gehen?
Bredekamp: Mir ist das ein vollständiges Rätsel. Sie brauchen nur auf die Website des Humboldt Forums zu gehen und sehen dort die Äußerungen der Experten: Begeisterung! Es ist eine deutsche Diskussion, die zunehmend enervierend ist, die glaubt, allein von der Negativität von etwas herkommen zu dürfen, allein Kritik zählt. Es ist eine pur deutsche Diskussion. Außerhalb dieses Bereichs gibt es nur zu vermelden eine große Neugierde, und in diesem Expertengremium – bei aller Kritik, die auch schriftlich formuliert wurde und dem Stiftungsrat als Dokument beigegeben wurde – große und tragende Begeisterung.
"Wir haben das Museum als Prozess erfunden"
Seidel: Ich möchte trotzdem die einzelnen Kritikpunkte ansprechen, die Bénédicte Savoy da heute äußert. Zum Beispiel übt sie heftige Kritik an der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, deren außereuropäische Sammlungen ja im Humboldt Forum ausgestellt werden sollen. Der Präsident der Stiftung Hermann Parzinger ist neben Ihnen und Neil MacGregor der dritte Gründungsintendant des Humboldt Forums, er selbst stand heute für ein Interview allerdings nicht zur Verfügung. Bénédicte Savoy kritisiert die Stiftung als schwerfällig, als hierarchisch, eine Institution, die am Ende ihrer Kräfte sei, seit Jahrzehnten keine Idee mehr hatte. Da muss man schon mal schlucken. Wie soll so eine Institution ein solches Mammutprojekt wie das Humboldt Forum angemessen umsetzen?
Bredekamp: Indem es die Kräfte bündelt, indem es eine Offenheit zeigt, wie es dies vielleicht nie gegeben hat. Und indem man nachvollzieht, wie diese neue Offenheit sich in der inneren Struktur des Humboldt Forums widerspiegelt. Das ist, was mich wirklich fassungslos macht, dass das, was die Gründungsintendanz in jetzt etwas mehr als zwei Jahren bewirkt hat, nämlich eine Durchsteckung der drei Partner, eben die SPK, die Humboldt-Universität und Berlin, so weit voran gegangen ist, dass die Probleme nicht etwa aus dem Grund entstehen, dass eine der Institutionen zu starr ist, sondern das die Bewegung zu groß ist. Wir haben den Begriff eines neuen Museumstypus, nämlich das Museum als Prozess erfunden. Und wir glauben, dass wir mit dem Humboldt Forum ein Modell des Museums des 21. Jahrhunderts entwickeln.
In der Regel haben Museen und auch die SPK natürlich die Trennung zwischen Ausstellungen und ständigen Sammlungen, die sich vielleicht im Laufe von Generationen verändern. Wir werden dieses Prinzip aufbrechen, exemplarisch, und haben auf jeder Etage und in jeder größeren Sektion Freiräume, in denen Kinder unterrichtet werden können, in denen Seminare stattfinden. Also, all das, was Frau Savoy als Desiderat formuliert, ist in der Planung bereits umgesetzt und wird realisiert.
"Es ist ein Spiel, die Kolonialzeit in den Mittelpunkt zu stellen"
Seidel: Dann machen wir es vielleicht an einem Punkt noch mal ganz konkret, Herr Bredekamp, die Provenienzforschung. Bénédicte Savoy sagt, die Herkunft der Exponate, die dann gezeigt werden sollen im Humboldt Forum, wurde nicht ausreichend aufgearbeitet. Können Sie diesen Vorwurf vielleicht mal ganz konkret entkräften, indem Sie uns beschreiben, wie diese Objekte ab 2019 dann präsentiert werden? Also, wird der Besucher wirklich bei jedem Exponat darüber informiert werden, wie er ursprünglich mal in die Sammlung gelangt ist? Auch dann, wenn an diesen Exponaten Blut klebt?
Bredekamp: Wenn diese Forderung doch an Brüssel gewendet worden wäre oder nach Paris! Die Sammlungsgeschichte Berlin umfasst 460 Jahre und in diesem Zeitraum hat es 34 Jahre Kolonialherrschaft gegeben. Es kommt also darauf an, die Besonderheit der Sammlungen, die in Berlin und in Deutschland insgesamt zusammengekommen sind, zu erschließen. Es ist also ein Spiel, allein und vornehmlich die Kolonialzeit in den Mittelpunkt zu stellen, und das findet in großem Umfang statt. Es ist ein immenser Stoff, der hier zu erschließen ist, und für jedes Objekt wird das nur über einen längeren Zeitraum möglich sein. Aber diese Geschichte hat eben eine zweite Seite. Und wenn man beispielsweise Adolf Bastian, den großen Ethnologen des 19. Jahrhunderts ins Feld führt, der bewirkt hat, dass vermutlich mehr Objekte aus den indianischen Bereichen Nordamerikas und der Eskimo in Berlin lagern als in Washington, jedenfalls in einigen Bereichen, dann lag das daran, weil er – dieser Begriff ist sprichwörtlich geworden – rettet, rettet, rettet. Die moderne Welt zerstört im Moment 98 Prozent aller Kulturen. Und Adolf Bastian war derjenige, der aus der Kunstkammer des Schlosses heraus die Ethnologie in Deutschland mehr oder minder methodisch begründet hat und der einen äußerst zeitkritischen Gesichtspunkt bei seiner Sammlungstätigkeit ins Spiel gebracht hat. Wenn man dieses unter den Teppich kehrt, dann wird man der Geschichte nicht gerecht. Und dies versuchen wir, auf großer Basis. Eisenhower, Vogel und ich selbst haben einen sehr guten Antrag bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft gestellt, um die Geschichte der Kunstkammer und deren Objekte als Biografien bis in die Gegenwart hinein zu erschließen. Und im Vorgriff hat es hierzu eine Reihe von Dissertationen wie Eva Dolezel gegeben, die Erstaunliches zutage gefördert haben. Und Frau Savoy hat hier selbst Erstaunliches und Grundlegendes geleistet.
"Forschung und Sammeln als Einheit"
Seidel: Ich möchte noch einen letzten Kritikpunkt ansprechen, Herr Bredekamp. Bénédicte Savoy kritisiert, dass im Humboldt Forum zu wenig Raum für Forschung und Lehre eingeplant sei. Sie fordert eine noch stärkere Verzahnung von Sammlung, Forschung und Lehre. Das müsste Ihnen als Universitätsprofessor doch eigentlich auch ein zentrales Anliegen sein?
Bredekamp: Das ist unser Morgengebet. Ich kann es nicht begreifen. Forschung und Sammeln als eine Einheit.
Seidel: Aber eben nicht unter einem Dach, das ist ja die Kritik von Bénédicte Savoy, dass es eben nicht ...
Bredekamp: Aber selbstverständlich unter einem Dach. Es gehört zur Bedingung, dass jede Ausstellung das Produkt einer Forschung ist. Und hier zu sagen, dass Forschung und Ausstellung getrennt werden, diskreditiert jedwede Planung, die im Humboldt Forum gelaufen ist und bereits umgesetzt wird. In jedem Sektor der Bereiche finden Sonderräume statt und das war eines der Hauptanliegen und der Umformung der Gründungsintendanz, dass diese in eine Beweglichkeit gebracht werden, die einen neuen Typus von Museum kreiert, der all das bereits in der Planung hat und auch teils umgesetzt hat, was Frau Savoy als nicht einbringbare Forderung definiert. Das ist das, was mich so wirklich ratlos macht.
"Kritik liegt in der Struktur der Sache"
Seidel: Also, ich fasse noch mal zusammen, Herr Bredekamp. Sie sehen also wirklich keine Basis für das, was Bénédicte Savoy da an Vorwürfen äußert? Das heißt also, Sie sehen keinen Punkt, an dem Sie noch mal nachjustieren müssten, jetzt in den nächsten Monaten bis zur Eröffnung des Humboldt Forums, es läuft alles prima?
Bredekamp: Nein, es läuft überhaupt nicht prima und die Kritik, die Sie vorbringt, liegt in der Struktur der Sache. Es war meine Kritik immer in der Stiftung, dass viel zu spät über die Programmatik und die Inhalte diskutiert worden ist. Aber seit zweieinhalb Jahren wird das in einer immensen Anstrengung versucht, aufzuholen und in alle Forderungen hineinzubringen, die sie jetzt retrospektiv äußert. Und das ist das, was ich einfach nicht begreifen kann, von einer Kollegin, die ich sehr hoch schätze.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.