Manchmal nehmen Biografien unerwartete Wendungen. Hartmut Dorgerloh, einst erklärter Gegner der Rekonstruktion des Hohenzollernschlosses in der Mitte Berlins, wird jetzt selbst als Schlossherr in die Retroattrappe einziehen - als Generalintendant des Humboldt Forums. Ironie der Geschichte? Dorgerloh sieht das nicht so:
"Es ist richtig: Das Berliner Schloss stand nicht auf meiner Agenda. Aber ich komm ja quasi auf die Spreeinsel zurück, wenn Sie so wollen, ich habe mich in meinen ersten Jahren als Denkmalpfleger intensiv mit der Berliner Museumsinsel beschäftigt. Und auch in der Denkmalpflege geht es ja um die Frage: Wofür brauchen wir heute oder sogar morgen diese ganzen alten Dinge, egal ob das jetzt ein slawischer Burgwall ist oder eine Industrieanlage aus DDR-Zeiten."
Deutsche Demokratiegeschichte
Oder eben ein Stadtschloss. Heute legt er Wert darauf, die Geschichte des Schlosses zu erzählen - das, wie er sagt, nicht nur für das Machtzentrum Preußens stehe, sondern auch für die deutsche Demokratiegeschichte. Hier seien die Märzgefallenen von 1848 aufgebahrt worden, hier sei der König gezwungen worden, sich vor den Toten zu verneigen - und hier sei das Versprechen für eine demokratische Verfassung gegeben und auch wieder gebrochen worden.
"Das ist ein wichtiger Teil deutscher Geschichte, aber genauso wichtig ist natürlich auch der Palast der Republik, und man wird im Humboldt Forum an beide Stellen erinnert werden. Wir werden gleich am Eingangsbereich im Erdgeschoss einen zentralen Informationsbereich haben - acht Jahrhunderte in acht Minuten - wo es genau um die Geschichte des Schlosses geht, und da wird man zum Beispiel auch die Plexiglasurne finden, die genutzt wurde, als es um den Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes 1990 ging."
Nach den Erwartungen, die Kulturstaatsministerin Monikas Grütters für den höchsten Job im Humboldt Forum geweckt hatte - international, berühmt, weiblich gar - klang der Name Hartmut Dorgerloh, als er denn fiel, erst einmal nach deutschem Graubrot. Der langjährige Chef der Stiftung Preußischer Schlösser und Gärten ist sich dessen bewusst - sein Licht unter den Scheffel stellt er deswegen noch lange nicht.
"Die Erwartungshaltung, dass das Humboldt Forum von jemandem geleitet wird, der wirklich weltweit unterwegs war in den verschiedensten kulturellen und wissenschaftlichen Formaten, ist ja eine berechtigte. Sich jetzt für jemanden zu entscheiden, der wie ich hier aus der Zusammenarbeit von Bund und Ländern kommt und der weiß, dass ein Schloss in Rheinsberg anders funktioniert als in Königs Wusterhausen, das hat, glaube ich, Gründe, die man nachvollziehen kann."
Dorgerlohs Aufgabe: Das große Ganze
Die Gründe liegen auf der Hand. Im Humboldt Forum treffen auf verzwackte Weise politische Interessen und föderale Strukturen aufeinander. Vor allem aber wollen die künftigen Nutzer - die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, das Land Berlin und die Humboldt-Universität - das Heft nicht aus der Hand geben und die Kontrolle über ihre Dauerausstellungen im Humboldt Forum behalten. Dorgerloh sieht seine Rolle daher notgedrungen vor allem darin, das große Ganze im Blick zu behalten: Die Richtlinienkompetenz, betont er, liege beim Generalintendanten. Eigene Gestaltungsmöglichkeiten sieht er noch beim Begleitprogramm im Erdgeschoss und auf den Flächen für Wechselausstellungen. Diese Möglichkeiten werde er auch nutzen, um auszubügeln, was er einen Konstruktionsfehler des Humboldt Forums nennt: Dass die außereuropäischen Sammlungen und das Museum für Asiatische Kunst zwar ins Humboldt Forum umziehen werden, aber das Museum für Europäische Kulturen in Dahlem zurückgelassen wurde.
"Wir werden es jetzt nicht in seiner ständigen Ausstellung ins Haus holen, aber wir werden über die Wechsel- und Sonderausstellungen hinaus gerade mit dem Museum für Europäische Kulturen sehr eng zusammenarbeiten, weil man natürlich nicht über eine Veränderung einer eurozentrischen Perspektive reden kann, ohne Europa selber im Blick zu haben."
Provenienzforschung im Humboldt Forum
Die Debatte um das koloniale Erbe werde im Humboldt Forum selbstverständlich stattfinden, kündigte Dorgerloh an. Aber:
"Die Verantwortung für die Provenienzforschung liegt natürlich im engeren Sinne bei den Staatlichen Museen, denen gehören die Objekte, die im Humboldt Forum gezeigt werden. Aber wir werden in der Arbeit des Forums insgesamt uns natürlich genau mit diesen Fragen auch beschäftigen."
Für das Humboldt Forum wünscht sich Dorgerloh, dass dort ein neues Stadtquartier entsteht, ähnlich wie zu Humboldts Zeiten, als die Menschen aus allen Schichten herbeiströmten, um Vorträgen über Kunst und Wissenschaft zu lauschen und darüber zu diskutieren. Die Besucher sollen im Haus eine spannende und überraschende Zeit verleben.
"Ja, das wäre jetzt erst mal schon ein ganze elementarer Erfolg. Und wenn es über die längere Perspektive dazu beiträgt, dass der Anteil von Menschen in Deutschland sinkt, die Angst davor haben, dass in die Nachbarwohnung ein Ausländer einzieht, dann wäre das auch ein Ziel des Humboldt Forums."