Stefan Koldehoff: Seit zwei Wochen schon sprechen wir in loser Folge mit Menschen, die etwas davon wissen, über den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses und über das geplante Humboldt-Forum, das darin seinen Platz finden soll. Über seine Geschichte, über die Bedeutung fürs Berliner Stadtgefüge wie fürs Berliner Selbstverständnis. Heute soll es um die Frage gehen, welche Alternativen es eigentlich gegeben hätte und ob über sie tatsächlich ernsthaft diskutiert wurde und ernsthaft genug. Der Architekt und Architekturhistoriker Bruno Flierl war, als es um die grundsätzlichen Fragen und Entscheidungen ging, Mitglied der "Expertenkommission Historische Mitte Berlin" – und er war der einzige, das gegen die Rekonstruktion des Stadtschlosses stimmte. Zur Grundsteinlegung wurde er im vergangenen Jahr nicht einmal mehr eingeladen. Herr Flierl, zum Richtfest vor einigen Wochen denn wenigstens?
Bruno Flierl: Auch nicht.
Koldehoff: Aha! Warum nicht?
Flierl: Das weiß ich nicht. Ich realisiere das so, dass ich bekannt war als einer, der nicht hundertprozentig den Beschluss der Oberen selbst mitverteidigt hätte. Ich habe Einspruch erhoben am Ende der Empfehlung in der Expertenkommission in gewisser Weise und ich hätte mehr Öffentlichkeit und Globalisierung im Gedanken und im Ansatz der Inszenierung von Ausstellungen in diesem Schlossgebäude mir gewünscht. Deshalb kann das sein, dass ich da nicht so gerne gesehen wurde. Ich weiß nicht.
"Ich wurde gehört, aber es wurde nichts diskutiert"
Koldehoff: Darüber wollen wir im Folgenden sprechen, über Ihre Kritik. Aber doch zunächst noch mal zu dieser Nichteinladung. Sie gelten aber nun durchaus nicht als jemand, der da mit einem Transparent dann aufgesprungen wäre bei diesem Richtfest, auf dem gestanden hätte, das Stadtschloss muss wieder weg oder so was.
Flierl: Ich habe keine Straßenproteste gemacht. Ich war als Mitglied - große Ehre - berufen worden, mitzuwirken in dieser internationalen Expertenkommission und ich bin im Unterschied zu vielen anderen Mitgliedern dieser sehr ehrenwerten Kommission jedes Mal vorbereitet erschienen, habe Skizzen, Zeichnungen, Thesen gehabt und meine Probleme, meinen Vorschlag, einen konstruktiven Vorschlag zur Bestimmung eines sinnvollen Ortes Mitte-Spree-Insel immer vorgebracht. Ich konnte auch alles sagen, ich wurde gehört, aber es wurde nichts diskutiert.
Koldehoff: Stand denn am Anfang noch die Frage Palast der Republik oder Stadtschloss, oder gab es auch schon eine dritte Alternative, die von Anfang an diskutiert worden wäre?
Flierl: Es gab schon 1993 ein Abkommen zwischen Senat Berlin, aber aus der Westberliner Tradition, und Bonn, der Regierung, dass der Palast erübrigt wird, dass eine andere Lösung gesucht werden muss. Und die ganzen ersten 90er-Jahre wurde ja bereits der Wunsch laut, man möge das alte Schloss wieder errichten. Was da hinein soll und was darin gespielt wird, welche Bedeutung es als ein Bauwerk der Geschichte in der Gegenwart, im Prozess der deutsch-deutschen Vereinigung und für die Zukunft der Deutschen in Europa und in der Welt haben könnte oder sollte, das wurde eigentlich nicht diskutiert, sondern durch die Schlosskulisse, die Wilhelm von Boddien meisterhaft hat errichten lassen, wurde ein Bild popularisiert, das als reine Bildagitation sozusagen sich Geschichte wieder wünschbar macht.
Koldehoff: Da wurden Vorhänge aufgehängt mit Rekonstruktionen der Schlossfassade und das hat offenbar viele Leute überzeugt, überwältigt, was würden Sie sagen?
Flierl: Ja. Das hat auch wirklich überzeugend gewirkt im positiven Sinne auch für mich, dass der öde Marx-Engels-Platz, der Raum vor dem Palast, nun endlich auch baulich gefasst war, wie der Schlossbaukörper das früher ja getan hat. Das war auch wichtig für den räumlichen Übergang zum Bausystem der Straße Unter den Linden. Das habe ich alles auch positiv miterlebt.
Nicht positiv erlebt habe ich, dass mit dem Bauwerk als Bild der Vergangenheit so eine nicht ausgesprochene, aber doch latente Renationalisierung in der Wirkung war. Man fühlte sich wieder in der verloren gegangenen Vergangenheit recht wohl, ohne danach zu fragen, was das Bauwerk früher für eine praktische politische Funktion als Herrschaftsgebäude hatte und welche kulturelle Ausstrahlung es im Kontext von Berlin-Vergangenheit und Berlin-Bild hatte.
"Der Palast wurde ja auch bereinigt von Asbest, aber er wurde dabei totsaniert"
Koldehoff: Sie sind ja, Herr Flierl, einer der wichtigsten Architekturhistoriker dieses Landes und Sie haben den Palast der Republik mal als die Weiterentwicklung des Volkshauses von Karl Friedrich Schinkel dargestellt.
Flierl: Ja. Volkshaus ist ja eine Bauidee der Arbeiterbewegung im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts und ist dann durch solche hervorragenden Architekten wie Bruno Taut zur Zeit der November-Revolution 1918 im Arbeitsrat für Kunst, 1918/19, wieder aufgetaucht als eine Idee, wo das Volk unabhängig von sozialen und Klassenunterschieden zusammenkommen kann an einen Ort, wo verschiedenes passieren kann: Kultur, Demonstration, Unterhaltung, Diskussion und so weiter.
Koldehoff: Wäre denn dafür es angemessen gewesen, das Gebäude, das ja zudem noch asbestverseucht gewesen ist, stehen zu lassen, oder hätte man Ihrer Meinung nach eine andere, eine dritte Lösung neben Palast der Republik und Stadtschloss finden können?
Flierl: In den ersten 90er-Jahren war ich in den Diskussionsgruppen sehr tätig, die forderten, den Palast nicht abzureißen, sondern zu prüfen, was er denn in einem neuen Programm und der neuen gesellschaftlichen Verhältnisse und der neuen Erwartungen an Gesellschaft, Politik und Kultur eigentlich bedeuten könnte, wenn man ihn weiterbetreibt, natürlich bei Schutz vor Asbestgefahr. Die aber, muss ich sagen, war ja nie erheblich größer als die vom ICC in Westberlin. Aber der Palast wurde ja auch bereinigt von Asbest, aber er wurde dabei totsaniert. Das war eine übertriebene Haltung, weil man ihn nicht wollte. Das war der politische Meinungswechsel.
Ich hatte vorgeschlagen, lasst uns doch diesen Bau 20 Jahre spielen mit einem neuen Programm, auch mit privater Inszenierung, Nutzung, also Gaststätten und vielleicht auch programmmäßig, aber lässt ihn doch einfach als einen Ort gelten, wo wir Deutsche uns über die Zukunft in Berlin unterhalten und verschiedenes klar machen, was zur Vergangenheit kritisch zu sagen war und was wir eigentlich wünschten. Ich habe immer die These vertreten, wie kann eine Sinnstiftung aussehen für diesen neuen Ort Mitte-Spree-Insel, der so eine widersprüchliche Geschichte seit dem 15. Jahrhundert gehabt hat, was könnte man da eigentlich denken, was wir brauchen. Gleich nach dem Ende der DDR gab es ja in den mittleren Gläsern im Foyer Rundfunk- und Fernseh-Diskussionen zwischen ZDF und DDR-Fernsehen und das war ein Ort der Auseinandersetzung - viel zu kurz, meine ich. Dann wurden schon politischer Abriss und Versprechungsaussagen für diesen Ort gemacht und dann war die Diskussion schon zu Ende. Die Öffentlichkeit war draußen.
"Brauchen nicht irgendeine museale Einrichtung zur Entleerung eigentlich des politischen Kriteriums"
Koldehoff: Also wäre Ihr Plädoyer gewesen eine Zwischennutzung, mehr Zeit dafür nehmen zu überlegen, was dort eigentlich entstehen soll?
Flierl: Richtig. Und ich hätte mir auch gewünscht, dass die für uns Deutschen aus beiden geteilten Deutschlands, die wir hatten, noch neu funktionierende Regierung, also die der Bundesrepublik, auch des Senats von Berlin, als Auftraggeber für diesen Ort auftreten und Vorschläge machen und sie sozusagen testen oder durch Diskussionen mit der Bevölkerung präzisieren, verbessern oder verwerfen, jedenfalls einen demokratischen Klärungsprozess an diesem wichtigen symbolischen Ort. Ich war einer aus der DDR, der nicht die Verlängerung des Palastes auf Dauer gefordert hatte, sondern als Übergangsort zur Diskussion, was wir wollen und was wir brauchen, und ich war mir immer im Klaren, dass der Symbolbau Palast der Republik, der er ja für die DDR-Bevölkerung war, im Unterschied zu Regierungs- und Parteibauten der DDR, dass der ein Ort für die vereinten Deutschen in der Bundesrepublik sein könnte. Ich war innerlich bereit, die Frage neu zu stellen, was brauchen wir, aber kein kommentarlos hingebautes Schloss von gestern und nicht irgendeine museale Einrichtung zur Entleerung eigentlich des politischen Kriteriums, an diesem wichtigen historischen Ort ein Bauwerk und uns selbst in diesem Bauwerk zu sehen und zu erleben.
Koldehoff: Herr Flierl, auch wenn Sie gesagt haben, das was Franco Stella da dann geplant hat, das geht für Sie eigentlich einigermaßen in Ordnung, können Sie aber doch mit der geplanten Nutzung des rekonstruierten Schlosses eigentlich bis heute nicht zufrieden sein?
Flierl: Ich bin nicht zufrieden mit der jetzigen Nutzung, die auch laufend verbessert wird und merkwürdigerweise dann auch durch Eingriffe von außen, wie neulich vom neuen Regierenden Bürgermeister mit seiner Forderung "Berlin Stadt Welt", wo Forderungen laut wurden, dass mehr in diesem Gebäude zur Diskussion und zum Bewusstwerden von uns im zunehmenden Prozess der Europäisierung und Globalisierung zu denken und zu erleben ansteht als ein Museum der außereuropäischen Kunst zu haben, dass nur auf eine neue intelligentere Weise perspektivisch problemorientierte Museumskultur vorgestellt wird. Die Hauptsache sind die Objekte, die Exponate, und die werden nur intelligenter diskutiert und vorgestellt. Ich dachte, dieser Ort müsste ein Ort sein und dann bitte auch in diesem Schloss und mit der besonderen Aufgabe, dieses Schloss auch als Vergangenheit in der Gegenwart für eine Zukunft der Deutschen in der Welt aufzuheben in dem Sinne, dass man aus der Vergangenheit etwas lernt und sich selbst Ziele für die Zukunft setzt, also kulturelle, politische, soziale Ziele, also ein weiter gefasstes Thema als nur bei der Interpretation von Kunst zu bleiben.
Koldehoff: Der Architekturhistoriker Bruno Flierl war das über den Weg zum Berliner Stadtschloss und zu seiner Kritik daran. Vielen Dank.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.