Archiv

Humboldt Lab Dahlem
Eine Probebühne für Andersdenkende

Das Humboldt Lab Dahlem ist die schöpferische Institution fürs Humboldt-Forum. Hier wird vorgedacht, wie Geschichte und die Geschichte der Objekte aus den nichteuropäischen Sammlungen neu, anders erzählt werden können. Und das führt oft zu ganz erstaunlichen Sichtweisen auf museale Objekte und Darstellungsformen, erklärte Martin Heller vom Humboldt Lab im DLF.

Martin Heller im Gespräch mit Karin Fischer |
    Blick in die zukünftige Ausstellungsgestaltung der neuen Bootshalle mit Schaudepot, Ethnologisches Museum.
    Martin Heller über das Humboldt Lab: "Es war nicht so sehr etwas, was gleich von Anfang an nach außen wirken sollte." (Stiftung Berliner Schloss – Humboldtforum, Ausstellungsgestaltung: Ralph Appelbaum Associates / malsyteufel)
    Karin Fischer: Das Humboldt Lab Dahlem ist die schöpferische Institution fürs Humboldt-Forum. Hier wird vorgedacht, wie Geschichte und die Geschichte der Objekte aus den nichteuropäischen Sammlungen neu, anders erzählt werden können, hier darf verrückt gespielt – oder verrücktgespielt – werden, hier ist ein Think Tank über die Zukunft des Ausstellens entstanden, und jedenfalls sollte das Humboldt Lab etwas ganz Neues leisten. Vier Jahre hat man dem Ethnologischen Museum und dem Museum für Asiatische Kunst für diese spezielle Laborarbeit gegeben, von 2012 bis 2015 wurde herum experimentiert, und die Ergebnisse dann auf den sogenannten Probebühnen in Dahlem präsentiert. Frage an Martin Heller, "Probebühne":
    Das klingt arg theatralisch. Ich kann mir zwar vorstellen, dass Sie koreanische Vasen sozusagen zum Tanzen bringen wollen, aber ist das auch gelungen?
    Martin Heller: Ja, ich glaube schon. Die Theatralik, die ist auch mit gemeint, also eine Ausstellung ist, wenn Sie so wollen, immer auch eine Art Aufführung, und der Begriff der Probebühne wollte signalisieren, dass wir da gleichsam auf Sendung sind oder on stage, er wollte aber auch zum Ausdruck bringen, dass diese ganze Werkstatt, dieses Labor gedacht war als eine Art Proberaum für die Mitwirkenden, wenn Sie so wollen für die Schauspielerinnen und Schauspieler.
    Es war nicht so sehr etwas, was gleich von Anfang an nach außen wirken sollte, fürs Publikum, sondern eine Art Schutzraum für die, mit denen zusammen die ganzen Ausstellungen auf eine Riesenfläche – 17.000 Quadratmeter – dann im Humboldt-Forum entwickelt werden. Und dieser Schutz und das dennoch Nach-außen-Wirken und so, diese Mischung, das war eigentlich die Essenz des Humboldt Lab Dahlem.
    "Es sind ganz viele Menschen beteiligt"
    Fischer: Dann erzählen Sie mal, wer die sind und wie dieses Ausprobieren aussah!
    Heller: Es sind ganz viele Menschen beteiligt an der Gestaltung und Entwicklung dieser Ausstellung. Das sind zum einen natürlich die Expertinnen und Experten der beiden Museen, die Kuratorinnen und Kuratoren, aber auch ihre Mitarbeitenden, die Restauratoren, die ein gewichtiges Wort mitzusprechen haben, beteiligt sind dann aber natürlich auch je nachdem Spezialisten. Und all die zusammen, die müssen am Schluss zu einem Resultat kommen. Und das Humboldt Lab hat versucht, zusammen mit der regulären Planung – wir sprechen immer von Standbein, das ist die Planung, die auf das Humboldt-Forum zugeht, und Spielbein, das ist das Lab, was sich die unterschiedlichsten Tricks erlauben kann.
    Diese beiden Beine, die mussten zusammenkommen, und da sind wir dann Schritt um Schritt vorwärts gegangen, haben vielleicht mal dieses Thema genommen, wie kann ich auch auf heikle Probleme wie Sammlungsgeschichte, wo man nicht genau weiß, wie sind jetzt die Objekte nach Berlin gekommen, wie kann ich dem Publikum so etwas auf eine Art und Weise erzählen, dass es ihm greifbar wird. Das ist eigentlich das Prinzip des Lab gewesen.
    "Ausstellungen sind Erzählungen im Raum"
    Fischer: Nun haben Sie schon ein großes Panorama aufgefächert, Martin Heller, von Menschen und Medien. Es geht um Erzählweisen jenseits von Vitrinen, wenn ich das richtig verstehe, also um den spielerischen Umgang mit diesen Objekten, die Sie so zahlreich zur Verfügung haben, zum Beispiel auch mithilfe zeitgenössischer Kunst?
    Heller: Es geht ja nicht, kann nicht darum gehen, die Vitrinen überflüssig zu machen. Es braucht immer wieder auch einen Schutz von Objekten, aber natürlich ist einer der Punkte, der immer wieder zu Diskussionen Anlass gibt, wie weit kann man auch die Objekte so präsentieren, dass sie nicht dann gleichsam in einem Glassarg sich zeigen, sondern dass sie auch irgendwie nahe zu den Besucherinnen und Besuchern kommen – das ist ein Spezialthema.
    Aber natürlich, wir gehen davon aus, dass Ausstellungen Erzählungen sind. Wir sprechen immer davon, Ausstellungen sind Erzählungen im Raum, und wie es unterschiedliche Erzählungen gibt – es gibt Kurzgeschichten, es gibt Boulevardstorys, es gibt Kriminalgeschichten, es gibt Poeme, Poesie –, so können auch Ausstellungen sein. Und das muss man einüben, das muss man sich erarbeiten, da muss man sich darüber verständigen, und deswegen fallen dann auch diese Erzählungen anders aus.
    Der eine Raum, der kann vielleicht sehr kühl Objekte präsentieren, fast als, in Anführungs-/Schlusszeichen, "Schätze", die Schätze, als die sie einst gesammelt wurden, und der nächste Raum kann dann wieder sehr stark eingehen auf die Lebensumstände der Region, in der diese Objekte einmal zu Hause waren, bevor sie nach Berlin kamen, und der übernächste Raum kann wiederum eine andere Form des Erzählens wählen. Und diese verschiedenen Sprachen, die streben wir ganz bewusst an, und dafür ist das Lab, ja, eine Probebühne noch mals.
    Fischer: Dann erzählen Sie doch bitte mal eine oder zwei solcher Geschichten und die spezielle Form der Präsentation, die Sie möglicherweise gefunden oder erfunden haben.
    Heller: Das tue ich gerne. Wir hatten zum Beispiel in einem Raum der Afrikaregion, da, wo Afrika ausgestellt wird, da gibt es eine Kuratorin, die ist sehr, sehr zu Hause in der Suaheli-Kultur, und die hat immer wieder unterstrichen in den Fachgesprächen, wie wichtig die Ästhetik sei für diese Kultur und dass es mit unseren Vorstellungen von was ist schön und wie kann man sich noch schöner zeigen und wie zeigt man sich in Gesellschaft und so weiter, dass wir mit unseren Vorstellungen da sehr rasch gegen die Wand fahren, weil wir das nicht richtig verstehen. Und es war ihr Anliegen, irgendwo in ihrem Ausstellungsraum eine solche Situation zu schaffen, wo man das sinnlich spürt und nicht über den Kopf, wo man nicht einfach gesagt kriegt, das ist etwas anderes, sondern wo man das spürt. Und dann sind wir in einen Prozess gegangen mit Dominic Huber, der ein Bühnenbildner ist, der viel für Rimini Protokoll gearbeitet hat und für andere und mit den direkt Beteiligten, auch mit Leuten aus dieser Region in Ostafrika. Und am Schluss ist herausgekommen im Lab, als eine Art Versuchsprototyp für danach im Humboldt-Forum, ein Schönheitssalon. Da kann ich hineingehen, und ich bin konfrontiert mit einer Frau, die mir erzählt, wie Hochzeitsvorbereitungen – das ist so der Gipfel jetzt auch dieser ganzen Schönheitsideologie, wenn Sie so wollen –, wie das vor sich geht. Und sie erzählt mir und bringt mir eigentlich an diesem Beispiel nahe, wie gedacht wird über Schönheit und was das alles zu tun gibt, ganz konkret. Und diese zehn Minuten, wo ich da bin, die ersetzen im Grunde eine ganze Ausstellung, die Lektüre eines Buchs, weil ich da ganz konkret und ganz direkt etwas spüre, was ich über Texte und allein übers Angucken der Gegenstände gar nie vermittelt bekommen kann.
    Technischer Aufwand kann sich negativ auswirken
    Fischer: Das war jetzt ein positives Beispiel, wir sprechen beim Humboldt Lab ja auch von Experimenten und in naturwissenschaftlichen oder medizinischen Laboren scheitern die regelmäßig. Gibt es auch Ihrem Labor da auch ein Beispiel für?
    Heller: Ich glaube, scheitern ist viel zu pathetisch für das, was man dann tut. Es gibt vielleicht Projekte, die irgendwo in einer Sackgasse landen, wo man aber immer auch Erkenntnisse herausnimmt und mitnimmt für dann die weitere Arbeit. Wir haben zum Beispiel ganz Anfang ein oder zwei sehr exquisite Medieninstallationen gehabt und haben dort letztlich noch einmal die Erfahrung gemacht, die viele, die in diesem Bereich tätig sind, kennen, dass es schwierig ist, die Technik zu beherrschen, und dass dann am Schluss die ganz einfache Geschichte, die man mithilfe von komplexer Technik erzählen will, dass die dann irgendwie unter die Räder gerät.
    Eine ganz andere Form des Denkens und des Handelns gegenüber Museumsobjekten
    Fischer: Ich hab gelesen, dass ein zeitgenössischer chinesischer Künstler einen sehr, sehr alten chinesischen Kaiserthron mit rotem Wachs übergießen wollte. Das ist in etwa so, wie wenn früher – und wir haben diese Dokumentation im Film – Ai Weiwei alte chinesische Vasen zerdeppert hat. Man bearbeitet die alte Kunst mit zeitgenössischer, indem man sie überformt, überschreibt, damit aber auch zerstört. Ein interessantes Gedankenspiel, aber mit Ihren Objekten vermutlich nicht machbar.
    Heller: Ja, es war ja noch schlimmer. Zu Beginn wollte er ein Beil zur Hand nehmen und diesen Kaiserthron auch zertrümmern, als erste Reaktion, und das ist ja genau das Interessante, wenn man mit zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern arbeitet, weil die eine ganz andere Zugangsweise mitbringen zu den Objekten, durchaus auch eine engere Beziehung haben, weil sie gewohnt sind, mit materieller Kultur umzugehen, aber da kommen dann auch Dinge, Ideen auf den Tisch, die natürlich durchaus jetzt nicht im Sinne der musealen Erhaltung oder Konservierung sind, sondern die plötzlich eine ganz andere Energie freisetzen.
    Das Projekt dort war ein sehr interessantes für die Rolle der zeitgenössischen Kunst. Wir haben eigentlich danach gefragt, wie kann man den bestehenden Kaiserthron, der ein sehr opulentes Exponat ist, aus China hierher gekommen ist, wie kann man dem eine Art "Architektur", in Anführungs- und Schlusszeichen, geben, die jetzt nicht die ist, die man in der verbotenen Stadt, in Beijing sehen kann, nicht eine reale, sondern wie kann man ihn einbetten in einen bestimmten Kontext. Und weil man den Thron selbst nicht bewegen durfte, bevor der renoviert ist und restauriert ist, haben wir vier Modelle des Throns aus ganz simplen MDF-Platten gestaltet, in der gleichen Größe, also wirklich Eins-zu-eins-Modelle, und haben dann vier Künstlerinnen und Künstler eingeladen, darauf zu reagieren.
    Und Zhao Zhao hat in der Tat dann am Schluss diesen Thron mit Wachs übergossen, in mehreren Schichten, wie ein roter Wasserfall, wie ein Wasserfall aus Blut, und hat damit auf eine unglaublich eindrückliche Art und Weise verdeutlicht, dass dieser Thron ein Ort der Macht ist, ein Ort auch einer Macht, die auch immer gegen die Menschen sich richten kann, und ein Ort des Unrechts.
    Und dieser rote Wasserfall, das ist wirklich ein Emblem geworden für jene Phase des Lab und eben auch für die Arbeit mit zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern, die sehr anspruchsvoll ist. Da muss man ein Vertrauensverhältnis aufbauen, man muss die Künstler, die ja nicht gewohnt sind, auf Auftrag hinzuarbeiten, dafür gewinnen, ein Statement zu machen und ihnen auch erklären und ihnen zeigen, warum wir sie brauchen mit ihrer ganz anderen Form des Denkens und des Handelns gegenüber den Museumsobjekten.
    Die Geschichte im Übrigen des chinesischen Throns, die war sehr interessant, wie es weitergegangen ist, weil die ganze Aktion hat Mut gemacht, sich auf eine wirklich umfassende Zusammenarbeit mit einem Künstlerarchitekten einzulassen.
    Und wir haben nun eine Zusammenarbeit mit Wang Shu, dem Pritzker-Preisträger, einem der bekanntesten chinesischen Architekten – der wird den Bereich chinesische Hofkunst als ganzen Raum gestalten, und er wird die Umgebung dieses ganzen Bereichs prägen, damit dann nachher die Objekte anders wahrgenommen werden können, als wenn sie jetzt – um auf Ihre Anfangsbemerkung zurückzukommen –, als wenn sie gleichsam neutral einfach in den Vitrinen da vor uns stehen würden.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.