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Humboldt Law Clinic
Lehrkonzept mit echter Wirkung

Bei kleineren Schäden zögern Verbraucher oft mit Klagen gegen Firmen: Die Aussichten sind unsicher, die Kostenrisiken erscheinen hoch. In Berlin bietet die Humboldt-Universität jetzt die Möglichkeit, den Fall von Studierenden erst einmal unverbindlich prüfen zu lassen. Die haben auch etwas davon.

Von Anja Nehls |
Erschöpfte Urlauber warten am Flughafen in Hannover (Niedersachsen), nachdem ihr Tuifly-Flug um 4.00 Uhr nach Antalya kurzfristig gestrichen wurde.
Kurzfristige Flugausfälle können unangenehme Folgen haben. Selbstständig Schadenersatz einzuklagen, trauen sich dennoch nicht alle Verbraucher. (picture-alliance/ dpa/ Julian Stratenschulte)
Den Urlaub im ägyptischen Badeort Scharm El-Scheich hatten sich Alex Paul und seine Frau anders vorgestellt. Dorthin hatten die beiden im Februar ganz kurzfristig eine Pauschalreise gebucht:
"Es war alles gut, bis da auf einmal mitten im Urlaub ein Zettel ins Zimmer flatterte, dass der Rückflug gestrichen ist und dass die mir jetzt neue Möglichkeit anbieten einen Tag früher zu fliegen und nach München und nicht nach Berlin wie ursprünglich gedacht. Wir haben damit nicht gerechnet, die Klamotten waren dementsprechend, es waren Null Grad und es war wirklich kalt. Dass wir hier ankommen und dann noch durch ganz Deutschland fahren müssen fünfeinhalb Stunden, das war natürlich ein großer Schock."
Echtes Leben statt Fälle aus dem Lehrbuch
Der Grund für den Ärger war die Pleite der Fluggesellschaft Germania. Und die war absehbar, meint Alex Paul. Der Reiseveranstalter habe ihn also betrogen und müsse ihm den Reisepreis erstatten. Mit diesem Fall beschäftigen sich jetzt Margareta Alimova und Oksana Gvozdiy, Studentinnen im sechsten Semester Jura an der Berliner Humboldt-Universität. Im Rahmen der Humboldt Law Clinic helfen die beiden Ratsuchenden mit realen Problemen, statt nur Fälle aus dem Lehrbuch zu bearbeiten. Nach einigen E-Mails hin und her treffen sie heute ihren Mandanten zum ersten Mal:
"Die Schwierigkeit besteht unter anderem darin, die richtige Taktik auszuwählen und die Taktik über den Betrug, da bin ich extrem zurückhaltend - das habe ich gar nicht erwähnt im Brief, ich habe nur die ganze komplette Summe gefordert, ich habe nicht denen vorgeworfen, dass die jetzt Betrug gemacht haben. Betrug, das sind einfach extrem hohe Beweisanforderungen. Wir gehen hier klassisch vor, nämlich tauchen in das klassische Pauschalreiserecht ein und überlegen uns, ob Mängelansprüche oder Schadensersatzansprüche bestehen."
Volljuristen begleiten Studenten
Acht studentische Teams beschäftigen sich an der Humboldt-Uni mit Fällen aus dem Verbraucherrecht, Reise- oder Mietrecht. Der Streitwert ist auf 1.000 Euro begrenzt. Jeweils ein Volljurist begleitet die Arbeit der Studierenden. Die Idee, Theorie und Praxis zu verbinden, stammt unter anderem von Reinhard Singer - an der HU Professor für Zivilrecht.
"Ich glaube, das gibt nochmal so einen besonderen Kick, weil man da auch schon so ein späteres Berufsbild erleben kann und auch Leuten helfen kann. Das ist ja eigentlich so typisch für einen juristischen Beruf, dass man Leuten hilft und daraus auch so sein Selbstbewusstsein und seine Anerkennung bezieht, ich glaube, das macht einfach Spaß."
Vor Gericht ziehen geht nicht
Das Interesse der Studierenden ist genauso groß wie das der Ratsuchenden. Bis ins nächste Semester sind die Teams ausgebucht. Gegen eine mögliche Falschberatung ist die Universität versichert. Vorgekommen ist das aber noch nie. Die Hilfe der Studierenden ist kostenfrei und ein Schreiben mit dem Briefkopf der Humboldt Law Clinic mache bei vielen Unternehmen mehr Eindruck, als wenn der Kunde seine Rechte selber durchsetzen wolle, meint Reinhard Singer. Nur vor Gericht können die Studierenden mit ihren Mandanten nicht ziehen.
"Aber wir können empfehlen, für den Fall, dass die rechtliche Prüfung ergibt, dass der Mandant Ansprüche hat, dann gegebenenfalls auch anwaltliche Hilfe in Anspruch zu nehmen und die Risiken, die immer damit verbunden sind, die man auch nie ganz ausschließen kann, auch auf sich zu nehmen. Aber das ist für den Mandanten natürlich wichtig, dass er schon mal einschätzen kann, aha, meine Chancen sind nicht nur 50/50, sondern vielleicht 80/20 oder so, wo es sich dann also lohnt."
Studentinnen übernehmen Schriftverkehr mit Firmen
Soweit ist es bei Alex Paul noch nicht. Seine beiden studentischen Beraterinnen werden sich jetzt erstmal mit einer Forderung ihres Mandanten nach Schadensersatz und Preisminderung an den Reiseveranstalter wenden:
"Ein Anspruch besteht auf jeden Fall und darüber hinaus haben die Reisenden auch für das Essen in München bezahlt und das ist schon ein Schadensersatzanspruch. Und die Vorverlegung des Rückflugs und der Wechsel des Transportmittels ist schon ein Reisemangel und das berechtigt uns zu einer Minderung des Reisepreises. Wir gehen davon aus, dass sind im besten Fall 100 Prozent vom Ein-Tag-Preis, das macht dann 180 Euro."
Lieber erstmal mehr fordern
Der Professor ist mit der Analyse des Falls zufrieden. Mit der Forderung doch noch ein bisschen höher ranzugehen und sich dann runterhandeln zu lassen, gibt er als Tipp den Studentinnen noch mit auf den Weg. Auch das Unternehmen sei schließlich zufriedener, wenn es am Ende ein bisschen weniger zahlen müsse als verlangt. Alex Paul, der selbst schon viele Male vergeblich versucht hatte mit dem Veranstalter Kontakt aufzunehmen, ist zufrieden, dass jetzt überhaupt Aussicht auf Geld besteht:
"Ich habe mich natürlich im Internet schlau gelesen, was es alles gibt für Tabellen, für Reisemängel, habe gleich festgestellt, dass mein Anspruch auf die ganze Summe wahrscheinlich viel zu hoch gegriffen ist. Ich habe auch überlegt, dass mehr als den Tagespreis zu fordern - wahrscheinlich wird es aussichtlos. Also ich habe wirklich nicht damit gerechnet, dass ich da weiterkomme."