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Humboldts "Tableau Physique"
Forscher entdecken Ungereimtheiten

Zur Wissenschaft gehört das Publizieren der Ergebnisse. Nicht immer sind die Veröffentlichungen fehlerfrei. Manchmal passiert das in betrügerischer Absicht, öfters wohl aus Unachtsamkeit. Bei Humboldts "Tableau Physique" ging wegen der wissenschaftlichen Konkurrenz wohl Eile vor Genauigkeit.

Von Lucian Haas | 28.05.2019
Naturforscher Alexander von Humboldt (l) und der Botaniker Aimé Bonpland
Naturforscher Alexander von Humboldt (l) mit dem französischen Botaniker Aimé Bonpland während einer Expedition in Südamerika. (imago/United Archives)
Eins der berühmtesten Werke von Alexander von Humboldt ist das "Tableau Physique", auf Deutsch als "Naturgemälde der Tropen" bekannt. Der Kupferstich aus dem Jahr 1807 zeigt schematisch das Höhenprofil der Anden mit dem mehr als 6000 Meter hohen Vulkan Chimborazo im heutigen Ecuador. An dessen Flanken sind verschiedene Vegetationszonen eingezeichnet, die sich aus der Höhe am Berg und dem zugehörigen Klima ergeben. Zudem sind in jeweils passender Höhe die Namen der dort vorkommenden Pflanzen vermerkt.
Alexander von Humboldts berühmtes Naturgemälde der Tropen "Tableau physique des Andes et pays voisins" (1807) stellt die Vegetationszonen in den Anden im Zusammenhang mit der Höhe dar. Es enthält einige Fehler.
Humboldts Grafik der Vegetationszonen der Anden enthält einige Fehler (Peter H. Raven Library/Missouri Botanical Garden (Lizenz: CC BY-NC-SA 4.0),)
"Die Dutzenden von Pflanzennamen, die auf der Darstellung zu finden sind, hat bis heute niemand im Detail überprüft. Stehen sie wirklich dort, wo sie hingehören?"
Pierre Moret, Biogeograph und Archäologe an der Universität von Toulouse. Gemeinsam mit Botanikern, unter anderem aus Ecuador, nahm er Humboldts "Tableau Physique" einmal genauer unter die Lupe. Dabei fielen den Forschern einige Ungereimtheiten auf.
"Es gibt da seltsame Dinge. Die Grasregion zum Beispiel wäre laut dem Tableau die höchste aller Vegetationszonen der äquatorialen Anden."
Falsche Ordnung de Vegetationszonen
Schaut man sich heute die Vegetation dort an, liegt über der Graszone noch ein Bereich mit niedrigen, winterharten alpinen Pflanzen. Humboldt hatte diese aber darunter positioniert. Im "Tableau Physique" ist zudem die Vegetationsgrenze bei 4600 Metern vermerkt. Pierre Moret schaute sich in Naturkundemuseen in Berlin und Paris nun einmal die originalen Pflanzenproben an, die Humboldt von seiner Expedition mitgebracht hatte.
"Zu jedem Exemplar im Herbarium hatte Humboldt die Höhe des Fundortes vermerkt. Und in einigen Fällen haben wir Pflanzen aus 4870 Meter Höhe. Die Originaldaten zeigen auch, dass die Gräser in Wirklichkeit tiefer, die alpinen Pflanzen in größeren Höhen vorkamen."
Eile ging zu Lasten der Genauigkeit
Wie aber kam es zu den Fehlern und Ungenauigkeiten im "Tableau Physique"?
"Ich denke, für Humboldt war es wichtig sehr schnell nach seiner Rückkehr etwas zu publizieren. Er war nicht der einzige Wissenschaftler, der sich damals Gedanken über Vegetationszonen und Biogeographie machte."
Die Eile wegen der wissenschaftlichen Konkurrenz ging dann offenbar zu Lasten der Genauigkeit. Pierre Moret fiel bei der Analyse von Humboldts Originaldaten und Expeditionstagebüchern noch ein weiteres interessantes Detail auf. Im "Tableau Physique" ist zwar der Vulkan Chimborazo prominent dargestellt. Aber den wählte Humboldt wohl vor allem aus ästhetischen Gründen.
"Die große Überraschung für uns war, dass die gesammelten Pflanzen aus großer Höhe gar nicht vom Chimborazo stammen, sondern von einem anderen Vulkan östlich von Quito namens Antisana."
Nachprüfung bestätigt auch Klimawandel
Pierre Moret und Kollegen gingen sogar selbst auf Expedition und erklommen den Vulkan Antisana. Sie folgten genau der Route, die Humboldt in seinen Tagebüchern beschrieben hatte. Dabei sammelten sie die gleichen Pflanzen wie ihr berühmter Forscherkollege 215 Jahre zuvor. Ein Vergleich der zugehörigen Höhendaten zeigt: Die Vorkommen der Pflanzenarten am Berg haben sich bis heute um etwas mehr als 200 Meter nach oben verschoben. Mit seiner Akribie als Naturforscher lieferte Humboldt wichtige Daten, die heute sogar zur Einschätzung des Klimawandels dienen können - zumindest, wenn man dafür Humboldts Originaldaten verwendet.