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Hund wird zum Proletarier

Michael Bulgakow ist vor allem durch seinen Roman "Meister und Margarita" bekannt, doch er hat schon vorher geschrieben: "Das hündische Herz" heißt eine Erzählung, die ihm Probleme mit der sowjetischen Zensur bescherte. Nun ist die recht ruppige, kolportagehafte Geschichte über den Hund, der zum Proletarier wird, neu übersetzt worden.

Von Jörg Plath |
    In Revolutionen wird alles erschüttert und umgestürzt, nicht nur die Politik, auch das Wissen darüber, was den Menschen ausmacht. Michail Bulgakow verfasst 1925 einen Roman, der wie viele Werke dieser Zeit die reißende, umstürzende Kraft der Oktoberrevolution spüren lässt - aber dagegen, und das unterscheidet "Das hündische Herz" von vielen Werken dieser Zeit, alle Gegenkräfte aufbietet: Den Zweifel, die Ironie und den Reim, den Sarkasmus, die Assonanz und den Rhythmus, die Oper, den Glauben und die guten Manieren. Lange Zeit wogte der Kampf zwischen diesen ungleichen Kräften hin und her, bis am Ende obsiegt - ja, was oder wer? Am Ende zerschneidet ein Mensch menschliche Hirne und singt dazu wohlgemut eine Opernarie. Es schaudert den Hund, der ihm dabei zusehen muss. Ist der Hund also das moralischer empfindende Wesen? Wäre er der bessere, der edlere Mensch?

    Lumpi, so sein Name, ist ein Straßenköter, der räudigste unter den Lumpenproletariern seiner Gattung, die sich vom Müll ernähren. Ein unfreundlicher Koch hat ihn eben mit kochendem Wasser verbrüht. Doch statt des Endes nähert sich Lumpi ein gut angezogener, wohlriechender Bürger und lockt ihn mit einer Wurst in eine geheizte Sieben-Zimmer-Wohnung, wo das Himmelreich in Gestalt reichlicher und regelmäßiger Mahlzeiten wartet. Lumpi genest, zeigt sich mit arttypischen Honneurs erkenntlich und bekommt ein breites, glänzendes Halsband umgelegt.

    "Im ersten Moment, als er sich im Spiegel sah, wurde er sehr traurig, zog den Schwanz ein und ging ins Bad, wobei er sann, ob es sich denn nicht abreißen lässt – mithilfe eines Kastens oder einer Truhe. Aber bald darauf verstand der Köter – er ist schlicht und einfach ein Trottel. Sina führte ihn an der Kette spazieren. Er schritt die Obuchow-Gasse entlang wie ein Häftling, vor Scham vergehend, doch unterwegs von der Pretschistenka bis zur Christus-Erlöser-Kathedrale begriff er, was ein Halsband im Leben bedeutet. Gelber Neid war in den Augen aller Hunde zu lesen, die ihm dort begegneten, und an der Totengasse schimpfte ihn so ein langbeiniger Streuner mit abgehacktem Schwanz einen 'feinen Pinkel' und ein 'williges Schoßhündchen'. Als sie die Trambahnschienen überquerten, warf der Milizmann einen vergnügten und respektvollen Blick auf das Halsband, und bei der Rückkehr nach Hause geschah schließlich das ganz und gar Unerhörte: Der Portier Fjodor öffnete höchstselbst die Eingangstür, ließ Lumpi hinein und bemerkte zu Sina:
    – Da hat sich aber Filipp Filippowitsch einen prächtigen Wuschelkopf zugelegt! Und so stattlich.
    – Kein Wunder! Der frisst ja auch für zehn, erklärte Sina, vom Winterfrost strahlend und mit geröteten Wangen."


    Doch eines Tages werfen sich Professor Filipp Filippowitsch Preobraschenski und sein Assistent Iwan Arnoldowitsch Bormenthal auf den Nichtsahnenden, betäuben ihn und pflanzen ihm Hirnanhangdrüse, Hoden und Samenleiter eines eben ermordeten jungen Mannes ein. Der Patient ist dem Tode nah, bis sich just am 24. Dezember sein Zustand bessert. Bald ist der Patient quicklebendig und die Operation dennoch misslungen. Statt verjüngt zu werden, menschelt Lumpi nämlich fürchterlich. Er geht fortan auf zwei Beinen, spricht dem Alkohol kräftig zu und lässt jeden Erziehungsversuch von Preobraschenski an sich abprallen. Polygraph Polygraphowitsch Lumpikow, so sein neuer, einem Kalender entlehnter Name, macht gemeinsame Sache mit dem Hauskollektiv, das dem Professor die große Wohnung nehmen will, er denunziert, stiehlt, ist ausgesprochen triebhaft und ergattert einen Posten als kleiner Funktionär.

    "Gedruckt war folgender Text: 'Dem Überbringer Polygraph Polygraphowitsch Lumpikow wird bescheinigt, dass er angestellt ist als Vorsitzender der Unterabteilung für die Bereinigung der Stadt Moskau von wild streunenden Tieren (Katern u.a.), Sektion M.K.W.'.
    -- Also –, brachte Filipp Filippowitsch mühsam hervor, darf ich fragen, warum Sie so schauderhaft riechen?
    Lumpikow beschnupperte die Jacke mit Sorge.
    – Na ja, es riecht ... ist doch eh klar. Be-rufs-be-dingt. Hab gestern lauter Kater gewürgt.
    Filipp Filippowitsch erbebte und schaute herüber zu Bormenthal. Dessen Augen, zwei schwarze Pistolenläufe, zielten direkt auf Lumpikow. Ohne Vorreden schritt er auf Lumpikow zu und griff ihm entschlossen und mühelos an die Gurgel.
    – Hilfe –, piepste Lumpikow und erbleichte."


    Professor Preobraschenski grämt sich, die Herkunft der menschlichen Organe nicht überprüft zu haben; sie stammen von einem Kleinkriminellen. Schließlich setzt er bei Lumpikow erneut das Skalpell an und beginnt vor Lumpis Köteraugen mit neuen Forschungen am menschlichen Hirn.
    "Eine ätzende Attacke auf unsere gegenwärtigen Verhältnisse; kommt auf keinen Fall für eine Veröffentlichung in Betracht‟, befindet Leo Kamenew, ZK-Mitglied der KPdSU, nach der Lektüre von "Das hündische Herz‟, und so geschieht es. Bulgakow, nach 1923 als Autor bekannt geworden durch "Die Teufeliaden‟ und "Die verhängnisvollen Eier‟, erhält Publikationsverbot. Die zwei Kopien von "Das hündische Herz‟ werden beschlagnahmt und erst 1929, dank Maxim Gorkis Fürbitte, an den Autor zurückgegeben. Bulgakow, so erzählt der Übersetzer Alexander Nitzberg in seinem instruktiven Nachwort, überarbeitet den Text noch zweimal. Er kursiert in verschiedenen Varianten im Samisdat und kann erst 1987 in der Sowjetunion erscheinen. Nitzberg übersetzt erstmals nach dem Originaltyposkript.

    Leo Kamenew hatte natürlich nicht ganz unrecht. Die filmisch schnelle, ziemlich ruppige, durchaus kolportagehafte Geschichte über den Hund, der zum Proletarier wird, spiegelt die Verhältnisse in der revolutionären Sowjetunion. Vielleicht ist sie weniger eine Attacke als eine satirische Kritik des von den revolutionären Zeiten geforderten "Neuen Menschen";. Dafür spricht, dass Professor Preobraschenski, Dr. Bormenthal und Lumpi Probleme wie die Unterscheidung von Mensch, Proletarier und Bürger recht widersprüchlich erörtern. Als antibolschewistische Hetzschrift wäre "Das hündische Herz"; um einiges drastischer, einsträngiger und – langweiliger.

    Zum Vergnügen wird das Buch zuallererst durch seine von Alexander Nitzberg lustvoll eingefangene Polyphonie. Bildungsbürgerliche und proletarische Redeweisen wechseln sich ab, Straßenargot und Opernlibretti, stakkatohafte Notizbuchmitschriften und Politjargon, Werbesprüche und Abkürzungen. Dazu kommen allerlei klangliche, rhythmische und typografische Akzentuierungen.

    Und wenn einem mal eine Wendung wie "den Mund bekreuzigen" seltsam vorkommt, dann findet sich zuverlässig eine erklärende Anmerkung des Übersetzers. Dass er aus dem russischen "Nepman", dem Geschäftsmann der "Neuen Ökonomischen Politik" Lenins, im Deutschen den "Nöpmann" macht, ist nur einer von vielen wunderbaren Einfällen. Nitzberg, der auf zahlreiche Parallelen zum späteren Hauptwerk Bulgakows, zu "Meister und Margarita" ebenso hinweist wie auf die zu Nikolai Gogol und anderen, schenkt dem Leser die bisher als "Hundeherz" übersetzte Erzählung neu: Als "Das hündische Herz". Geht es doch um das Hündische und das Menschliche, in welcher Gestalt auch immer.