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Hunger auf der Welt steigt
Soziologe: Verbraucher allein können globale Ungleichheit nicht lösen

Nachhaltiger einkaufen, weniger Ressourcen verbrauchen: Viele Menschen versuchen, ihre Konsummuster zu ändern. Doch allein dadurch könne der steigende Hunger auf der Welt nicht bekämpft werden, meint der Soziologe Stephan Lessenich. Es brauche strukturelle Reformen – das habe auch die Politik erkannt.

Stephan Lessenich im Gespräch mit Britta Fecke |
Zwei Frauen aus Kenia stehen mit großen Säcken an einer Stelle für Nahrungsmittelverteilung
Der Hunger in vielen Ländern Afrikas sei eine Folge der westlichen Wirtschafts- und Konsumweise, sagt der Soziologe Stephan Lessenich (picture alliance / photothek | Thomas Trutschel)
Kriege, die Klimakrise und Corona haben die Zahl der hungernden Menschen wieder ansteigen lassen. Laut Welthungerindex 2021 hungerten im Jahr 2020 weltweit 811 Millionen Menschen.
Nigeria steht beispielhaft für viele Länder des globalen Südens, wo verschiedene Faktoren für Armut und Hunger sorgen. Die dschihadistische Terrormiliz Boko Haram sorgt für Terror, Tote und viele Flüchtlinge.
Welthungerhilfe für Menschen in Somalia
Welthungerindex 2021 - Massive Hungersnöte sind wieder zurück
Jeder Zehnte auf der Welt hungert, das zeigt der Welthungerindex 2021. Hauptursachen sind Kriege und Konflikte, der Klimawandel, aber auch die Corona-Pandemie.
Hinzu kommen die Folgen des Klimawandels: Das größte Wasserreservoir der Region, der Tschadsee, führt wegen ausbleibenden Regens immer weniger Wasser – und das fehlt den Bauern. In Folge der Dürre kommt es außerdem zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen den nomadischen Viehaltern und sesshaften Bauern.

Extrem ungleiche Wirtschaftsordnung

Laut Stephan Lessenich, Leiter des Instituts für Sozialforschung in Frankfurt/Main, sind diese Entwicklungen "eine mittelbare Folge unserer Wirtschafts-, Produktions- und Konsumweise. Und all die politischen Konflikte, die sich anschließen an Ressourcenknappheit, an Verteilungsprobleme von Umweltressourcen, von Zugang zu Wasser, zu Land, zu sauberen Ressourcen – all das ist mittelbar mit von uns aus produziert." Der deutsche Wohlstand beruht laut Lessenich auf einer extrem asymmetrischen globalen Wirtschaftsordnung.
Ein Mitarbeiter betrachtet in der Impstoffproduktion einen Bildschirm.
Wie die Coronakrise den Patentschutz ins Wanken bringt
Vor allem Hilfsorganisationen haben früh in der Corona-Pandemie gefordert, den Patentschutz auf mögliche Medikamente aufzuheben. Nur so könne viel Impfstoff produziert werden. Die Bundesregierung zeigte sich kritisch.
Zudem seien die Machtverhältnisse der Welt extrem ungleich, führte der Soziologe aus. "Wir haben das bei der Impfstoffverteilung und bei der Frage des Patentschutzes jüngst wieder gesehen: Wir haben reiche Industriegesellschaften, die sich letztlich durchsetzen können, mit ihren Wirtschaftsinteressen und andere Länder in Geiselhaft nehmen können." Diese strukturellen Ungleichgewichte müssten angegangen werden.

Verbraucher können Problem alleine nicht lösen

Gesellschaftlich gebe es bereits Tendenzen zu einer nachhaltigeren Lebensweise. Es gebe Menschen, die ihre individuelle Lebensweise überprüfen, weniger Ressourcen verbrauchen und ihre Ernährung umstellen. Dadurch würden Industrien zwar unter Druck gesetzt, ihre Produktion anzupassen. "Aber", so Lessenich, "über individuellen Konsum und individuelle Konsumentscheidungen wird das Problem nicht zu lösen sein. Auch nicht über die Summierung von vielen Millionen individuellen Konsumentscheidungen, sondern es müssen Strukturen geändert werden."
Kartoffeln, Karotten Auslagen auf einem Wochenmarkt in Freiburg
Bio und regionale Waren - Wie sich unser Konsum auf Klima und Umwelt auswirkt
Die Nachfrage nach Bio-Produkten und regionalen Waren steigt. Dahinter steckt oft der Wunsch nach einer gesunden und nachhaltigen Ernährung.
Das Bewusstsein für einen Veränderungsbedarf in der Politik wachse, meint Stephan Lessenich. Der neuen Bundesregierung traut er einige Schritte in die richtige Richtung zu: "Es ist sicherlich ein Vorteil, wenn Landwirtschaftsministerium oder Verkehrsministerium beispielsweise, die zentral sind für solche Fragen, nicht mehr in CSU-Hand sind."