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Hungern gegen die Inhaftierung kurdischer Aktivisten

Einige türkische Kurden hungern schon seit acht Wochen. Ungünstiger könnte der Zeitpunkt dieses Hungerstreiks für Ankara kaum sein. Der Krieg in Syrien hat neue Vorzeichen im Konflikt mit den Kurden geschaffen. Doch die türkische Regierung zeigt nur wenig Bewegung.

Von Gunnar Köhne |
    "Wir wollen keine Toten, wir wollen Lösungen." Unter diesem Slogan versammeln sich fast täglich auf dem Istanbuler Taksimplatz Demonstranten, um auf den seit dem 12. September andauernden Hungerstreik kurdischer Häftlinge aufmerksam zu machen. Selbst nach Angaben des türkischen Justizministeriums befinden sich derzeit 682 kurdische Gefangene landesweit im Hungerstreik. Ihre Forderungen: Aufhebung der Isolationshaft für den PKK-Chef Abdullah Öcalan, kurdischsprachige Schulen und Unis sowie das Recht, sich vor Gericht auf Kurdisch verteidigen zu dürfen. Doch die türkische Regierung zeigte sich bislang nicht bereit, auf die Forderungen einzugehen. Empörung unter den Demonstranten auf dem Taksimplatz:

    "Tayyip Erdogan hat bei seinem Besuch in Deutschland gesagt, dass in der Türkei niemand im Hungerstreik sei. Er hat gesagt: Wir verpflegen sie alle bestens - sie essen alle. Wie kann ein Ministerpräsident ohne Rot zu werden so etwas behaupten? Diese Menschen hungern sich zu Tode. Warum schweigt Europa, warum schweigen die Menschen?"

    Sonay Avci ist Türkin und arbeitet in Istanbul im kurdischen Musikladen "KOM MÜZIK". Hier hatte sie auch ihren kurdischen Mann Erdal kennengelernt. Seit einem Jahr ist er in Untersuchungshaft – unter anderem angeklagt wegen Texten, die er in kurdischen Tageszeitungen veröffentlicht hat. Auch Avci ist seit 44 Tagen im Hungerstreik. Stockend erzählt seine Frau, wie schwierig es sei, jeden Tag aufs Neue ihrer fünfjährigen Tochter die Abwesenheit ihres Vaters erklären zu müssen. Sie stehe hinter der Entscheidung ihres Mannes.

    "Wenn es einen anderen Weg gäbe, hätte er den bestimmt gewählt. Aber im Gefängnis gibt es keine anderen Protestformen. Es ist der letzte Ausweg für sie, die letzte Möglichkeit, deswegen unterstütze ich das."

    Hungerstreiks in türkischen Gefängnissen sind nichts Neues. Zuletzt wurde ein Hungerstreik linker und kurdischer Häftlinge vor zwölf Jahren von der Regierung mit Zwangsernährung und der Erstürmung der Gefängnisse gebrochen. 120 Häftlinge kamen damals ums Leben, hunderte leiden bis heute an den Folgen des Hungerstreiks. Die Istanbuler Angestellte Tülay Yer rechnet dieses Mal wieder mit Todesnachrichten – und fürchtet, dass auch ihre Schwester den Protest nicht überleben könnte. Die Aktivistin der Kurdenpartei BDP verweigert seit über drei Wochen in ihrer Zelle jede Nahrung, berichtet Yer:

    "Zurzeit fühlt sich das Sattsein an wie ein Verbrechen. In weit entfernt liegenden Gefängnissen wie in Rize oder in Erzurum, bekommen die Hungerstreikenden das für sie überlebenswichtige B1 Vitamin nicht verabreicht. Ihnen müsste auch Salz und Zucker gegeben werden. Das passiert auch nicht. Die Hungerstreikenden werden nach dem Motto behandelt "Ihr werdet sowieso sterben". Es ist so traurig! Wir zahlen immer wieder mit Menschenleben, um die Welt auf unsere Problemen aufmerksam machen zu können."

    Namhafte türkische Persönlichkeiten - darunter der Schriftsteller Yasar Kemal und der Liedermacher Zülfü Livanelli - haben die Regierung zu einer schnellen Beilegung des Konflikts aufgerufen und sich bereit erklärt, zu vermitteln. Einer ihrer Sprecher, der Istanbuler Kulturaktivist Osman Kavali fordert darüber hinaus einen Kurswechsel in der Kurdenfrage:

    "Die Regierung muss endlich Strategien zur Beendigung des bewaffneten Kurdenkonflikts vorlegen. Und wir hoffen, es werden in diesem Bereich schnelle und friedliche Lösungen gefunden. Denn solange dieser Konflikt weitergeht, werden wir immer wieder mit ähnlichen Situationen konfrontiert werden."

    Die Kurdenpartei BDP hat angekündigt, dass sich in dieser Woche noch weitere Häftlinge dem Hungerstreik anschließen werden.