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Hungersnot in Irland
Zahnanalyse gibt Hinweise auf Mangelernährung

Zwischen 1845 und 1852 starben in Irland rund eine Million Menschen an den Folgen der Kartoffelfäule und Missernten, weitere zwei Millionen wanderten aus. Wie sehr der Hunger den Menschen physisch zusetzte, haben britische Zahnexperten nun erstmals untersucht.

Von Michael Stang | 19.08.2016
    Zwei noch nicht ganz reife Weisheitszähne wurden entfernt. Aufgenommen in Köln am 24.02.2013.
    An Hand von Zähnen konnte mehr über die Ernährung während der irischen Hungersnot herausgefunden werden (picture alliance / dpa / Maximilian Schönherr)
    2005 wurden beim Bau eines Supermarkts im irischen Kilkenny die Gebeine hunderter Kinder entdeckt. Die Ausgrabung brachte die größte Begräbnisstätte Irlands zutage: 970 Menschen wurden hier während der großen Hungersnot zwischen 1847 und 1851 bestattet. An der Begräbnisstätte stand einst das Kilkenny Union Workhouse. Solche Gebäude wurden von der britischen Regierung errichtet, um Waisen und Arme unterzubringen, die dort unter erbärmlichen Zuständen hausten. Wie groß die Hungersnot bei diesen Menschen war und welche Spuren sie hinterlassen hatte, wollte Julia Beaumont von der Universität von Bradford herausfinden.
    "Hier gab es die ungewöhnliche Gelegenheit, Menschen aus der Vergangenheit zu untersuchen, deren Leben gut dokumentiert war. Wir kannten das Sterbedatum und wussten, was sie gegessen haben und, dass diese Menschen während der großen Hungersnot ums Leben kamen. Wir wollten biologische Marker finden, die anzeigen, wann diese Menschen aufhörten Kartoffeln zu essen, hungern mussten und irgendwann das Ersatzlebensmittel Mais bekamen."
    Mehr Mais statt Kartoffeln
    Mais und Kartoffeln unterscheiden sich grundsätzlich in ihrem Stoffwechsel. Während Kartoffeln, wie die meisten Pflanzen in den mittleren und hohen Breiten, zu den so genannten C3-Pflanzen gehören und mit dem Grundtypus der Photosynthese arbeiten, zählen Botaniker Mais, genauso wie Hafer oder Roggen, zu den C4-Pflanzen, die einen komplizierteren Stoffwechselweg nutzen. Das ermöglicht es den Forschern, die Spuren der verschiedenen Pflanzen, hinterlassen durch die Kohlenstoff und Stickstoffisotope, nachzuweisen. Julia Beaumont untersuchte bei den Toten den ersten bleibenden Zahn und extrahierte das Kollagen im Zahnbein. Dieses speichert die Informationen beim Anlegen des Zahns wie eine Zeitkapsel und verändert sich im Laufe des Lebens nicht mehr. Zusätzlich entnahm die britische Forscherin auch Rippenmaterial. Im Gegensatz zu den Zähnen ersetzen Knochen permanent alle Zellen und speichern nur die Informationen der letzten Lebensjahre.
    "Bei den meisten Erwachsenen haben wir keine großen Unterschiede an den Zähnen gesehen, was deren Ernährung in der Kindheit betraf. Diese bestand wie in Irland früher üblich überwiegend aus Kartoffeln. An den Rippen sahen wir dann aber, dass sie ihre Ernährung in den letzten Jahren teilweise auf Mais umgestellt hatten."
    Schnell war klar, dass die Isotopensignale deutlich genug sind, dass die Forscher nachweisen können, ob ein Individuum gehungert hatte oder nicht. Damit können sie auch zeigen, ob jemand meist Kartoffeln oder Mais gegessen hatte.
    "Die Kinderzähne waren am erstaunlichsten, denn wir konnten ganz deutlich den plötzlichen Wechsel in der Ernährung sehen, das betrifft auch das Hungern zuvor. Wir haben auch eine Frau mittleren Alters untersucht, bei der wir an den Zähnen schon eine frühere Hungerzeit nachweisen konnten. Jetzt können wir ganz klare Marker erkennen und Spuren nachweisen, die der Hunger im Körper hinterlässt."
    Anwendung auch in der Rechtsmedizin denkbar
    Die Methode funktionierte besser als gedacht. Zähne und Rippen speichern nicht nur die Information, ob die betreffende Person sich von C3 oder C4 Pflanzen ernährt hat, sondern auch Hungersnöte können Julia Beaumont und ihre Kollegen nachweisen. Diese Methode lässt sich auch an den Ergebnissen früher Studien anwenden. Auch weitere Anwendungen sind daher denkbar.
    "Damit steht uns eine weitere Methode zur Verfügung, mit der wir die Ernährung früher Menschen untersuchen können. Sind auf einem Friedhof etwa viele Kinder begraben und die Todesursache ist unklar, können wir feststellen, ob es eine Hungersnot ähnlich der in Kilkenny gab. Auch für die heutige Rechtsmedizin kommt die Methode in Betracht. Damit kann man nachweisen, ob ein Kind hungern musste, wenn eine Vernachlässigung vermutet wird."