Christoph Heinemann: In Norddeutschland liegt ein Auslieferungshaftbefehl gegen den ehemaligen katalanischen Regionalpräsidenten Puigdemont vor. "Auslieferungshaftbefehl" ist ein Wort mit 23 Buchstaben, also ernst. Wir sprechen gleich mit Andrej Hunko, Europapolitiker der Linkspartei.
Die Generalstaatsanwaltschaft von Schleswig-Holstein hat also heute das Wort mit den 23 Buchstaben erlassen, einen Auslieferungshaftbefehl gegen den ehemaligen katalanischen Regionalpräsidenten Carles Puigdemont. Die Prüfung des europäischen Haftbefehls habe ergeben, dass ein zulässiges Auslieferungsersuchen vorliege, das erklärten die Ermittler in Schleswig. Der Antrag sei jetzt beim dortigen Oberlandesgericht gestellt worden, das muss jetzt entscheiden. Für die Staatsanwaltschaft spricht alles für eine Auslieferung des spanischen Katalanen, das erklärte in dieser Sendung unsere Hauptstadtkorrespondentin Gudula Geuther.
Das klingt zumindest so. Der europäische Haftbefehl soll das Verfahren beschleunigen. Das liegt daran, dass man eben davon ausgeht, dass man sich innerhalb der EU vertrauen kann. Die Folge ist, dass die Generalstaatsanwaltschaft jetzt nicht geprüft hat, was wirklich passiert ist. Sehr wohl müsste sie aber in der Sache prüfen, nämlich, wenn das alles so stimmt, wie der spanische Tribunal Supremo sagt, wäre das dann nach deutschem Recht strafbar. Und das bejaht die Behörde. In der Mitteilung heißt es, die Vorwürfe der Rebellion und der Veruntreuung öffentlicher Gelder fänden eine Entsprechung im deutschen Hochverrat und in der Untreue.
Heinemann: Am Telefon ist Andrej Hunko, Europapolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion Die Linke. Guten Tag!
Andrej Hunko: Schönen guten Tag aus Aachen!
"Ich halte es für einen politischen Prozess"
Heinemann: Gehen Sie davon aus, dass Puigdemont nach Spanien ausgeliefert wird?
Hunko: Jetzt liegt der Ball ja erst einmal beim schleswig-holsteinischen Gericht. Dann kann der Staatsanwalt noch mal entscheiden. Dann würden wahrscheinlich die Anwälte von Puigdemont zum Bundesverfassungsgericht gehen. Es muss nicht ausgeliefert werden, wenn ihm politische Verfolgung droht oder wenn Grundrechte berührt sind. Das ergab auch eine Studie des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags. Deswegen gehe ich letztlich davon aus, dass er nicht ausgeliefert wird.
Heinemann: Weshalb?
Hunko: Ich halte es für einen ganz offensichtlich politischen Prozess. Es ist vorgeschoben. Rebellion ist kein deutscher Straftatbestand. Er setzt, genau wie Hochverrat, auch Gewalt voraus. Gewaltanwendung kann man Puigdemont meines Erachtens nicht vorwerfen, und Puigdemont und auch die anderen katalanischen Exilanten, die auch mit europäischem Haftbefehl gesucht werden, werden in den anderen europäischen Ländern nicht ausgeliefert bislang, in Belgien, oder sind auch auf freiem Fuß wie in Schottland, wo sozusagen keine Fluchtgefahr gesehen wird. Das fand ich jetzt auch beunruhigend, dass die Staatsanwaltschaft auch Fluchtgefahr sieht. Das sehe ich eigentlich überhaupt nicht so.
Heinemann: Ist Spanien für Sie kein Rechtsstaat?
Hunko: Ich würde sagen, eingeschränkt. Es gibt in der spanischen Justiz, leider, wie zum Beispiel auch diesen Paragraphen, 30 Jahre für Rebellion, gibt es leider viele Traditionen noch aus der franquistischen Zeit. Es gibt viele Verurteilungen vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, auch Kritik an der Unabhängigkeit der Justiz von der UNO. Also, ich wäre schon vorsichtig, Spanien jetzt als vollendeten Rechtsstaat zu bezeichnen.
"Der Konflikt kann nicht mit justiziellen Mitteln gelöst werden"
Heinemann: Die Unabhängigkeit oder der Aufruf dazu widersprechen ganz klar der spanischen Verfassung. Sollten sich denn in Europa einfach Regionen nach Gutdünken vom Zentralstaat lossagen können?
Hunko: Nein. Aber ich denke, es braucht hier eine politische Lösung. Dieser Konflikt kann nicht mit justiziellen Mitteln gelöst werden, nicht mit Repression gelöst werden, was jetzt versucht wird. Es braucht meines Erachtens hier eine politische Vermittlung auch auf europäischer Ebene, auch vielleicht jetzt von der Bundesregierung, um in diesem Konflikt zwischen katalanischer Unabhängigkeitsbewegung und spanischem Zentralstaat zu vermitteln. Das ist leider bisher ausgeblieben, wäre aber meines Erachtens dringend notwendig.
Heinemann: Wie stellen Sie sich einen Kompromiss vor?
Hunko: Es gab zum Beispiel zwischen 2004 und 2010 ein ausgehandeltes Autonomiestatut, das verabschiedet wurde mit einem Referendum auch in Katalonien, das im Madrider Parlament verabschiedet wurde. Das ist am Ende gekippt worden, vor allen Dingen auf Betreiben von Rajoy. Eine solche Lösung, die Katalonien auch in finanziellen Fragen ein Verhandlungsrecht gibt, wäre zum Beispiel eine Möglichkeit. Aber ich will hier nicht vorgreifen. Ich glaube, es muss hier einfach an den Verhandlungstisch mit internationaler Vermittlung, und das ist dringend notwendig. Bis jetzt ist die Bewegung ja in Katalonien völlig gewaltfrei gewesen, und ich hoffe auch, dass das so bleibt. Aber wenn natürlich so Frustrationen entstehen, besteht natürlich auch die Gefahr, dass das in Gewalt umschlägt.
Bundesregierung sollte nicht ausliefern
Heinemann: Herr Hunko, das klingt jetzt so, als haben die Katalanen alles richtig gemacht und der Prügelknabe sei Rajoy in Madrid. Ist das so einfach?
Hunko: Ja, es ist schon so, dass, wie gesagt, gerade die jetzige spanische Regierung, dass insbesondere Rajoy Kompromisse immer abgelehnt hat, dass gerade zum Beispiel ein entsprechendes Autonomiestatut abgelehnt wurde. Deshalb sehe ich persönlich schon die Hauptkritik an der Zentralregierung in Spanien. Ich bin kein Anhänger der Unabhängigkeit, aber ich sehe hier einen großen Konflikt mitten in Europa, und damit muss sich politisch auseinandergesetzt werden, und nicht mit den Mitteln der Strafjustiz.
Heinemann: Wie sollte sich die Bundesregierung verhalten?
Hunko: Ich finde, die Bundesregierung sollte Puigdemont nicht ausliefern. Sie kann am Ende auch ein Veto einlegen gegen eine Auslieferung.
Heinemann: Gegen ein enges EU-Partnerland?
Hunko: Auch gegen ein enges EU-Partnerland. Wie gesagt, es ist nicht zwingend, dass ausgeliefert werden muss. Und sie sollte – und Rajoy und seine PT ist ja die Schwesterpartei hier der CDU/CSU –, sie sollte Druck ausüben, um hier zu einer politischen Lösung zu kommen.
Hohe Akzeptanz für neues Referendum?
Heinemann: Würde das nicht noch mehr Schaden anrichten?
Hunko: Das sehe ich nicht so. Ich glaube, dass die jetzige Entwicklung, wenn es weitergeht, dass dieser Konflikt sich einfach fortsetzt. 85 Prozent der Menschen in Katalonien haben gesagt, dass sie ein Referendum akzeptieren würden, ob es so oder so ausgeht, ob es für die Unabhängigkeit oder gegen die Unabhängigkeit ausgeht. Und ich finde eine solche Entscheidung müsste letztlich auch in Katalonien getroffen werden. Dann wäre der Konflikt sozusagen politisch befriedet.
Heinemann: Andrej Hunko, Europapolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion Die Linke. Danke schön fürs Gespräch und auf Wiederhören!
Hunko: Danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.