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Hunter S. Thompsons "Gonzo-Briefe"
Psychogramm eines Geltungssüchtigen

Die jetzt erstmals in deutscher Übersetzung erschienenen "Gonzo-Briefe" von Hunter S. Thompson erzählen von der schier irrwitzigen Karriere eines Problemjugendlichen zum Starjournalisten, Sheriff-Anwärter und schließlich sogar Wahlkampfberater. Für Thompson waren sie wohl eine Art Seelentherapie - sie sind spannend bis zum Ende.

Von Gisa Funck |
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    Der US-Autor Hunter S. Thompson (picture-alliance/ dpa/dpaweb / Kosmicki)
    Der einstige Starreporter, Waffennarr und Drogenverfechter Hunter Thompson, der sich am 20. Februar 2005 in Woody Creek/Colorado mit 67 Jahren erschoss, wird auch von der deutschen Presse gern gefeiert: als unkorrumpierbarer Einzelgänger, letzter Cowboy und raubauziges Genie. Oder, wie der "Spiegel" kürzlich über Thompson schrieb: "Er war ein großer amerikanischer Wahnsinniger, also der einzig Vernünftige in einer Welt der Paranoia."
    Vor allem unter ewigen Jungs genießt Doktor Gonzo bis heute Kultstatus, auch wenn selbst seine Fans ihm eine gewisse Durchgeknalltheit nicht absprechen wollen. Doch die übergehen Thompson-Verehrer in der Regel schnell. Schließlich: Gehört eine Prise Wahnsinn nicht zu jedem guten Autor dazu?! Dass es im Fall von Hunter Thompson allerdings wahrscheinlich doch etwas mehr als nur eine Prise Wahnsinn war - und dass seine Geschichte wohl längst nicht so heroisch verlief, wie immer wieder gern behauptet wird, kann man nun in seinen "Gonzo-Briefen" aus den Jahren 1958 bis 1976 nachlesen. Wolfgang Farkas hat diese Auswahl von rund 180 Briefen erstmals auf Deutsch übersetzt. Tatsächlich hatte der exzentrische Hunter der Nachwelt weit mehr, nämlich über 20.000 Briefe hinterlassen. Früh von seiner eigenen Genialität überzeugt, fertigte er zudem von jedem Exemplar zwecks Verwahrung gleich mehrere Kopien an. Und obwohl der ursprüngliche Herausgeber, der US-Historiker Douglas Brinkley, erklärtermaßen allzu persönliche Korrespondenz von vorherein aussortiert hat, wird bei der Lektüre doch schnell deutlich, dass Briefeschreiben für Hunter Thompson offenbar vor allem Seelentherapie war. Oder, wie der 20-Jährige einmal einem Freund erklärte: "Ich glaube, das ist der Grund, warum ich so viele Briefe schreibe: Weil es der einzige Weg für mich ist, (...) klar auf das Leben zu blicken."
    Ungeniert Privates öffentlich gemacht
    Tatsächlich schrieb Thompson Briefe wie andere Menschen Tagebuch. Ungeniert machte er darin - ähnlich wie in seinen Artikeln und Büchern - Privates öffentlich. Teilte auch Arbeitgebern, flüchtigen Bekannten oder gar Wildfremden ungefragt persönliche Ansichten mit. Oder überzog sie mit seinen berühmten Beleidigungen. Diese distanzlose Halbstarken-Prosa, die zu Thompsons Markenzeichen wurde, liest sich zu Anfang des Bandes jedoch durchaus charmant und anrührend. Denn in den frühen Briefen kommt hinter aller Großmäuligkeit immer wieder ein sensibler, nachdenklicher und origineller Poet zum Vorschein, den man im späteren Drogenfreak nicht unbedingt vermutet hätte. Etwa dort, wo der 21-jährige Thompson rotzfrech und unbekannterweise den Nobelpreisträger William Faulkner um Geld anpumpt:
    "Sehr geehrter Mr. Faulkner, (...) Wenn Sie - am Ende dieses Briefes - das brennende Verlangen in sich spüren, mir einmal die Woche einen Scheck zu schicken, fühlen Sie sich bitte frei, es zu tun. Meine Anfälligkeit für Korruption wurde mehrfach auf die Probe gestellt und funktioniert gut."
    Mit Anfang Zwanzig zog der Schul-Abbrecher Hunter Thompson aus Louisville/Kentucky nach New York, um ein Schriftsteller wie Hemingway oder Fitzgerald zu werden. Er ergatterte einen Job als Büro-Bote beim "Time Magazine", las Sartre, trank zu viel und predigte Freunden das individualistische Leben fernab der Massenkonformität: "Ja, das ist die Frage: Sich mit der Strömung treiben zu lassen - oder zu schwimmen. (...) Die Antwort: (...) Ein Mensch muss etwas sein; er muss Spuren hinterlassen (...) und es versteht sich eigentlich von selbst, dass ein Mensch diesen Weg selbst bestimmen muss."
    Credo eines Außenseiters
    Aus Zeilen wie diesen spricht das Credo eines Außenseiters, der es allen anderen unbedingt zeigen will. Mit 14 hatte Hunter seinen Vater verloren, mit 17 saß er dreißig Tage im Jugendknast wegen angeblichen Diebstahls. Danach war sein Vertrauen in Autoritäten nachhaltig zerstört, sein Geltungsdrang allerdings ungebrochen. Er wollte kein "Schaf in einer Herde" sein, aber sehr wohl, dass die Herde der anderen ihn zur Kenntnis nahm. Diese widersprüchliche Mission scheint den selbsternannten Rebell allerdings schnell überfordert zu haben. Schon aus New York berichtet der junge Mann von Nervenzusammenbrüchen, klagt wiederholt, wie "hilflos" und "verloren" er sich fühlt. Als Thompson seine erste Reporterstelle beim "Daily Record" verliert - er wird gefeuert, nachdem er den Süßigkeiten-Automaten der Redaktion eingetreten hat - kokettiert er gar mit Selbstmord:
    "Liebe Ann, (...) hier hast du sie also, die Grabinschrift für Hunter Thompson: 'Er war ein guter Typ, aber ein wenig neben der Spur.'"
    Die zweiteilige Sammlung mit Gonzo-Briefen, die in den USA 1998 und 2000 erschienen sind, entwirft das Psychogramm eines launischen Charakters, der oft abrupt zwischen Euphorie und Verzweiflung hin- und herschwankt. Darüber hinaus liest sich die Korrespondenz auch deshalb faszinierend, weil man hier einem Geltungssüchtigen quasi live dabei zuhören kann, wie er sich seinen eigenen amerikanischen Tellerwäscher-Mythos erschafft - bei dessen Umsetzung dann aber mehr und mehr psychisch abdriftet. Ruhelos sucht der junge Hunter ständig nach der nächsten Story. Reist nach Puerto Rico. Nach San Francisco. Auf den Spuren Henry Millers nach Big Sur. Fährt mit Kokainschmugglern durch Ecuador und mit den "Hells Angels"auf dem Motorrad durch Kalifornien. Kein Recherchetrip ist ihm zu halsbrecherisch, keine Droge zu riskant, um sich aufzuputschen. Thompson nimmt Amphetamine, Kokain, Heroin und Meskalin. Eigentlich will er immer noch Schriftsteller werden. Oder doch zumindest: Ein schriftstellernder Reporter. Und bei Zeitungsredakteuren wirbt er darum für einen ganz neuen, literarischen Stil: "Es ist ein Reportage-Stil, der auf William Faulkners Gedanken beruht, dass die beste Fiktion wahrer ist als jede Art von Journalismus."
    1967 wird Thompson mit seinem "Hells Angels"-Buch dann plötzlich berühmt. Es ist die Zeit von Flower Power. Rotzige Gegenstimmen stehen hoch im Kurs. Und auf einmal kann sich der knapp 30-jährige Freelancer kaum vor Aufträgen retten. Weniger rastlos oder weniger wütend aber macht ihn der hereinbrechende Ruhm nicht. Im Gegenteil. Thompson nimmt nun noch mehr Drogen. Steht noch mehr unter Deadline-Druck. Verpulvert horrende Spesensummen. Und arbeitet ganze Tage und Nächte durch. Stolz behauptet er selbst im Vorwort zum zweiten Teil des Briefbandes: "Ich kam siebzig oder achtzig Stunden am Stück ohne Schlaf aus."
    Den Gonzo-Stil womöglich nur aus Verlegenheit erfunden
    Höchstwahrscheinlich ist das übertrieben. Dennoch man kann sich gut vorstellen, dass der überdrehte Reporter seinen subjektiven, assoziativ-sprunghaften, schnoddrigen Gonzo-Stil womöglich nur aus Verlegenheit erfunden hat. Für die US-Presse, die vorher strikt auf Fakten-Berichterstattung setzte, war das ein Glück. Für den Aufmerksamkeitsjunkie Thompson aber wurde sein Gonzo-Erfolg wohl eher zum Fluch. Denn damit war er endgültig auf die Rolle des renitenten Rüpels festgelegt - und fand erst recht keine Ruhe mehr zum Roman-Schreiben. Sein berühmtestes Buch, das 1971 erschienene Drogenepos "Fear and loathing in Las Vegas", tippte er in nur sechs Wochen. Spätestens seitdem galt Thompson als "der Durchgeknallte vom Dienst", wie ein "New York Times"-Kollege es im Band einmal nennt. Tatsächlich lieferte Thompson vor allem als "Rolling Stone"-Kolumnist verlässlich Schimpftiraden am Fließband. Doch was beim jugendlichen Querkopf noch erfrischend rotzig klang, hörte sich beim Vorzeige-Anarcho nun zunehmend aggressiv, vulgär und verbissen an. John Wayne beschimpft Thompson 1972 seitenlang als "hirnlosen Hammerhai". Den Satiriker Anthony Burgess bezeichnet er in einem Brief 1973 als "erbärmlichen Schwanzlutscher" und "wertlosen Arsch", nur weil ihm ein Artikel von Burgess nicht gefällt. Und für seinen Lieblingsfeind, den Präsidenten Richard Nixon, hat er meist gleich den Totschlagvergleich mit Hitler oder den Nazis parat.
    Aus dem hochbegabten, zornigen jungen Mann, so zeigt es die Briefchronik, wird innerhalb eines Jahrzehnts ein um sich bellender und immer paranoider wirkender Wüterich, der zuletzt quasi gegen jeden zu Felde zieht. Keine schöne oder wirklich heldenhafte, sondern eher eine ziemlich traurige Geschichte. Die sechshundert Seiten Gonzo-Briefe, die der deutsche Herausgeber Klaus Bittermann und Übersetzer Wolfgang Farkas dankenswerterweise mit Erläuterungen zu den jeweiligen Adressaten versehen haben, aber liest man trotzdem gebannt bis zum Schluss. Erzählen sie doch von der schier irrwitzigen Karriere eines Problemjugendlichen zum Starjournalisten, Vietnamkriegs-Berichterstatter, Sheriff-Anwärter in Aspen/Colorado und schließlich sogar zum Wahlkampfberater von Jimmy Carter, die so - selbst in den USA - heute wohl kaum noch denkbar wäre. Das ewig halbstarke Großmaul Thompson repräsentiert auch die Freiheitssehnsüchte und -irrtümer einer damaligen Protestgeneration. Er habe sich eigentlich nie vorstellen können, älter als 27 zu werden, bekennt der 39-Jährige am Ende des Briefbandes freimütig. Die Tragik seines selbstzerstörerischen, unvollendeten Schriftstellerlebens jedoch bestand für Hunter Thompson wahrscheinlich eher darin, dass er letztlich nie wirklich älter als rüpelige 17 werden konnte.
    Douglas Brinkley (Hg.): "Hunter S. Thompson. Die Odyssee eines Outlaw-Journalisten. Gonzo-Briefe 1958-1976"
    Aus dem Englischen von Wolfgang Farkas, Edition Tiamat, 608 Seiten, 28 Euro