Sarah Zerback: Es sind Bilder des absoluten Chaos, die uns in diesen Tagen aus Texas erreichen: Menschen, die in Booten von ihren Hausdächern vor der braunen Brühe gerettet werden müssen, die die Millionenstadt Houston gerade in weiten Teilen unbewohnbar macht, Menschen, die tagelang von der Außenwelt abgeschnitten waren, ohne Strom, ohne Wasser, ohne Nahrung oder auch medizinische Versorgung. Schon jetzt ist absehbar, dass Harvey die teuerste Naturkatastrophe in der Geschichte der USA wird. Während sich die Texaner fragen, wer das bezahlen wird, beginnt in Houston so langsam das große Aufräumen, auch wenn das öffentliche Leben noch stillsteht.
In die weitere Analyse gehen können wir jetzt mit Christian Lammert, Professor für nordamerikanische Innenpolitik am Berliner John F. Kennedy Institut. Guten Tag, Herr Lammert.
Christian Lammert: Guten Tag!
Zerback: Erleben wir hier in den USA die Folgen einer Naturkatastrophe, oder ist das menschengemacht?
Lammert: Beides sehen wir hier. Das eine ist natürlich eine Naturkatastrophe, die - und das wird auch heftig diskutiert in den USA - natürlich auch Folge ist eines Klimawandels, und diese Debatte geht schon seit längerem in den USA, inwieweit man hier einschreiten muss und eine Politik durchsetzen muss, die was gegen diesen Klimawandel tut. Aber wie Sie in Ihrem Bericht auch schon angespielt haben, geht es hier auch um Urbanisierungspolitik, darum, wie Städte ausgebaut werden und wie hier nichts für den Umweltschutz gemacht wird, weil alles nur einer wirtschaftlichen Logik, die auf Expansion setzt, untergeordnet wird, und die Konsequenzen müssen jetzt große Teile dieser Stadt tragen.
Zerback: Was ist denn bei der Städteplanung oder eben der Nichtplanung falsch gelaufen? Was hätte man da beachten müssen?
Lammert: Da gibt es eine ganze Reihe von Faktoren. Das erste wurde schon angesprochen: Man hat einfach alles zubetoniert. Man hat nicht mögliche Grünflächen übrig gelassen, wo so ein Regen dann ablaufen kann. Auch um die Stadt herum hat man einfach unkontrolliert die Stadt auswachsen lassen in die Sumpfgebiete, hat alles trockengelegt und hat hier auch nicht darauf geachtet, dass man Flächen frei lässt, die bei solchen heftigen Unwettern, die da ja nicht selten vorkommen - da kann man ja nicht sagen, dass man da ganz überrascht war. Solche Flächen braucht man, um mit solchen Wetterlagen klar zu kommen.
Dann ist das ganze Abwasserkanalsystem veraltet. Da gibt es keine öffentlichen Investitionen. Hier wurde alles wirklich nur einer wirtschaftlichen Logik untergeordnet, die auf Expansion setzte, dass sich Firmen ansiedeln, dass Leute in die Stadt gezogen wurden - Houston ist inzwischen die viertgrößte Stadt -, ohne das Ganze abzusichern, vor allem mit Blick auf die Umweltkatastrophen, die möglich sind.
Wahlkampfmodus statt Empathie
Zerback: Jetzt haben Sie den Klimawandel gerade angesprochen, ein Klimawandel, den der US-Präsident ja leugnet. Wird das wohl seine Meinung ändern? Was glauben Sie?
Lammert: Das glaube ich nicht, weil wenn man sich seine ganze Politik, seine Programmatik anguckt, setzt er wirklich nur auf wirtschaftliches Wachstum, auf das Schaffen von Arbeitsplätzen. Er hat in seiner bisherigen Amtszeit viele Regulierungen der Obama-Administration, die auch eine Reaktion auf solche Stürme und Katastrophen waren, die wir ja kennen in den USA mit New Orleans oder auch der Sturm Sandy an der Ostküste, die er erlassen hat, um hier stärker die Zivilbevölkerung auch zu schützen, die hat Trump alle wieder zurückgenommen und dereguliert. Er hat die USA aus dem Pariser Klimaabkommen rausgenommen. Er macht eigentlich eine Politik, die diese Probleme noch massiv verschärfen wird.
Zerback: Und der Katastrophenschutz, den Sie ansprechen - das ist ja keine zwei Wochen her, dass Donald Trump dort eine Direktive wieder einkassiert hat. Das ist Teil des sogenannten "Role Backs". Er versucht, das was sein Vorgänger Obama da ans Laufen gebracht hat, wieder zurückzunehmen. Wie passt das denn zu den Milliarden-Zusagen, die Trump jetzt in Texas gemacht hat?
Lammert: Das hat man ja auch gesehen bei seinem Auftritt in Texas. Er macht natürlich jetzt auch wieder Wahlkampf und hier muss er als Präsident auftreten. Hier muss er versuchen, Empathie zu zeigen und Unterstützung anzubieten. Und das wird die nächste Frage sein, vor der Houston und die Bevölkerung jetzt gestellt ist. Die meisten sind überhaupt nicht ausreichend versichert und brauchen dieses Geld. Wir haben das 2012 nach dem Hurrikan Sandy gesehen, dass diese Hilfe in dem Streit der Politik untergegangen ist, und das droht auch hier wieder, dass der Kongress diese Mittel eventuell gar nicht bereitstellt, eventuell, weil die Mittel auch gar nicht da sind, weil Trump unbedingt seine Mauer bauen will zu Mexiko.
Er hat schon angekündigt, er würde sogar das Schließen der Regierung in Kauf nehmen, nur um diese Gelder umzuschichten, damit die Mauer gebaut wird. Und ob er jetzt bereit ist, diese nötigen Mittel, die Houston jetzt dringend braucht, zu mobilisieren, das ist die große Frage, die wir in den nächsten Wochen sehen werden.
Trumps Politik könnte schlechte Folgen für Houston haben
Zerback: Eine sehr wichtige Frage. Gleichzeitig, wenn wir über den Wiederaufbau sprechen, das Geld, was man dazu braucht, braucht man auch viele Bauarbeiter und Handwerker. Der interessante Fakt ist ja, dass gerade in Texas sich viele Handwerker aufhalten ohne Papiere, gegen die die Regierung Trump ja immer härter vorgeht. Kann man sagen, dass Donald Trump jetzt seine Einwanderungspolitik ganz praktisch einfach auf die Füße fällt?
Lammert: Wenn er das durchsetzen würde, hätte das katastrophale Folgen. Dann hat er überhaupt keine Leute, die da unten die nötige Aufbauarbeit machen können. Der Bürgermeister von Houston hat aber schon angekündigt, er wird nicht überprüfen, wenn einer hilft oder wenn einer beim Aufbau sich beteiligt, welchen Status er hat, ob er als legaler Immigrant, als Illegaler oder als US-Bürger dort hilft. Aber das ist auch der Streit, den wir jetzt schon seit Wochen sehen.
Es gibt viele Städte, die eine solche Politik verfolgen und in der Einwanderungspolitik nicht so hart sind, und hier ist auch die Trump-Administration vorgeprescht mit harter Hand und setzt alles auf Abschiebung. Da ist ein Zielkonflikt und da muss sich jetzt die Administration auch zu verhalten und sagen, was hat jetzt Priorität, die Symbolpolitik Erfolge durchzusetzen von seinen Wahlkampfversprechungen, oder hilft man den Leuten vor Ort? Meine Befürchtung ist bei der Persönlichkeitsstruktur von Donald Trump, dass er auf erstes setzt, er will seine Erfolge deutlich machen, und das hätte schlechte Folgen für die Stadt von Houston.
Zerback: Deren Bürgermeister - Sie haben ihn gerade erwähnt -, der kämpft natürlich dafür, hat auch - auch das haben wir jetzt in diesem Zusammenhang gehört - schon vor Wochen und Monaten einen Brandbrief nach Washington geschickt. Wurde der überhaupt gelesen?
Lammert: Das weiß ich nicht. Dass Trump sehr schlicht in der Aufnahme von Informationen ist, das hören wir von allen Seiten. Es kommt jetzt darauf an, wie sein Stabschef das Ganze organisiert. Das ist ja mit Kelly jemand, der das jetzt versucht, ein bisschen strikter zu organisieren. Ich glaube, solche Briefe von der viertgrößten Stadt der USA werden sicherlich auch wahrgenommen in Washington. Die Frage ist, was für Konsequenzen daraus gezogen werden, und Washington ist momentan völlig blockiert. Da können kaum Entscheidungen getroffen werden. Und die Trump-Administration läuft immer noch auf einem Modus, ihre eigenen Wahlversprechen durchzusetzen. Hier sieht man keine Lernfähigkeit, hier sieht man keine Anpassungsfähigkeit an externen Druck. Und wenn man sich den Auftritt von Trump jetzt in Texas angeguckt hat, das artete ja sofort wieder zur Wahlkampfveranstaltung aus, und deswegen bin ich sehr skeptisch, dass er irgendwelche Lehren daraus zieht und seine Politik anpassen wird.
Falsche Symbolpolitik
Zerback: Wie hat er sich denn da Ihrer Meinung nach geschlagen? Solche Besuche sind ja überall schwierig, da den richtigen Ton zu treffen. Wie hat er sich da als Krisenmanager geschlagen?
Lammert: Wenn man sich die Diskussion anguckt, dann sieht man, dass er sich nicht gut geschlagen hat. Ich würde jetzt nicht auf das Outfit von Melania Trump eingehen, was viel kritisiert worden ist. Da denke ich auch, dass man sich auf die falschen Punkte konzentriert. Aber er hat sich hingestellt und hat gleich wieder groß gejubelt, welche Masse jetzt auf die Straßen gegangen ist, um seiner Rede zuzuhören, und er muss immer wieder in diesen Superlativen sprechen, dass das die größte Umweltkatastrophe ist seit 500 Jahren. Er kann keine Empathie zeigen. Das war eine Stärke noch von Obama.
Und selbst der ja heftig kritisierte George W. Bush, der in New Orleans ja auch vieles falsch gemacht hat, viel zu spät reagiert hat, hat aber da in dieser Funktion, die der Präsident ja auch hat, in diesem Moment den Leuten zur Seite zu stehen, besser abgeschnitten, als das Trump jetzt macht. Dieser Präsident hat keine Empathie, der kann sich nicht reinfühlen in die Situation. Er versucht nur, Nutzen aus der Situation für sich zu schlagen, und das ist eine falsche Symbolpolitik.
Zerback: Dabei hatte es ja eigentlich schon jetzt kurz nach Harvey, nachdem das begonnen hatte, die Hoffnung gegeben, dass Donald Trump das sogar nützen könnte, Hoffnung aus dem eigenen Lager, dass er jetzt über seine Position als Krisenmanager das ganze innenpolitische Chaos nach Charlottesville vergessen machen lassen könnte. War das verfrüht?
Lammert: Ja, natürlich war das verfrüht, und ich muss auch langsam sagen, dass ich diese Hoffnung nicht mehr verstehen kann. Man hat nach der Wahl gedacht, er wird jetzt präsidentiell. Man hat, nachdem er das Amt angetreten hat, gedacht, er wird jetzt präsidentiell. Nach jeder Pressekonferenz wird gesagt, war das jetzt der Wandel? Einen Tag später kriegen wir wieder den Original-Trump. Dieser Präsident ändert sich nicht. Die Amerikaner haben jemanden ins Amt gewählt und damit müssen sie jetzt leben und möglichst schadenfrei durchkommen. Aber auf eine Änderung von Trump, da hatten auch alle gehofft, als der Stabschef ausgetauscht wurde, dass jetzt ein strikteres Regiment im Weißen Haus einzieht. Aber solange man den Präsidenten nicht kontrollieren kann - und man kann ihn anscheinend nicht kontrollieren -, wird das Chaos bleiben.
Zerback: … sagt Christian Lammert, Professor für nordamerikanische Innenpolitik an der FU Berlin. Herzlichen Dank für Ihre Zeit, Herr Lammert.
Lammert: Gerne doch!
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