Christoph Sterz: Kurz vor der Sendung habe ich mit Klaus Brinkbäumer, dem Chefredakteur des "Spiegel" gesprochen, und ihn gefragt, ob der "Spiegel" bisher zu euphorisch mit Martin Schulz umgegangen ist?
Klaus Brinkbäumer: Nein. Ist er nicht. Sind wir nicht. Weil wir es ja gemischt haben. Sie werden sich erinnern: Wir hatten im Heft diverse Enthüllungsgeschichten, und damit haben wir auch natürlich in den Tagen des Hypes aufgehört; Enthüllungsgeschichten darüber, wie Martin Schulz mit Vertrauten in Brüssel umgegangen ist. Die haben wir selbstverständlich zu dem Zeitpunkt veröffentlicht, als wir sie hatten. Das ist nun das Gegenteil von, nennen wir es mal Fanberichterstattung. Und, wenn ich mir die Titel anschaue, die sie gerade angesprochen haben, "Sankt Martin", die Unterzeile lautete: "Der Machthunger des Kandidaten Schulz". Das Bild hatte eine Ironie. "Sankt Martin" konnte man nun gewiss nicht zu 100 Prozent ernstnehmen.
Die Kritik würde ich annehmen bei dem Begriff "Merkeldämmerung". Die eigentliche Titelzeile lautete: "Kippt sie?" Darüber stand aber der Begriff "Merkeldämmerung", haben Sie gerade zitiert, und der stand da wie eine Tatsache, ohne Fragezeichen, ohne irgendeine Form von Ironisierung oder Infragestellung. Und ob es nun wirklich eine "Merkeldämmerung" gibt, muss man zumindest nach dem Wahlergebnis von gestern bezweifeln.
Sterz: Man kann natürlich auch über die Titel sehr stark diskutieren und sie verschiedentlich auslegen. Trotzdem nehme ich da mal ein Zitat rein von Martin Hoffmann, dem ehemaligen Social-Media-Chef der "Welt". Der schreibt bei Twitter:
Wie sehen Sie das? Gerne auch über den "Spiegel" hinaus.
Brinkbäumer: Das entspricht, glaube ich, dem Gefühl vieler Menschen. Wenn ich mir aber Medien anschaue, konkrete Berichterstattung bei der Süddeutschen, bei der F.A.Z., in den Fernsehsendungen, in den Talkshows und selbstverständlich auch bei uns - darüber rede ich am liebsten und, ich glaube auch, am kompetentesten - stimmt das nicht. Wir haben Schulz weder hochgejubelt noch verdammt. Wir haben eine freundlich-neugierige, kritische Berichterstattung gemacht; als er der Kandidat wurde, haben ihn vorgestellt, haben vielen Leuten, die ihn vorher nur als aus Brüssel, weit entfernt amtierenden Politiker wahrgenommen hatten, erklärt, wer Martin Schulz ist, wofür er steht, was er gemacht hat in der Vergangenheit; haben parallel dazu Nachrichtengeschichten oder, nennen Sie es, Investigativgeschichten gemacht über das, was in seiner Vergangenheit vielleicht mal nicht ganz so sauber gelaufen ist. Und: Das war geprägt von einer kritischen Grundhaltung, nicht von Euphorie. Und diesen Trend, den es ja gab zu den 30 Prozent und darüber, der dann auch getragen wurde durch die 100 Prozent, als er zum Parteivorsitzenden gewählt wurde, also mit 100 Prozent, der war ja real, der existierte ja tatsächlich.
Sterz: Wobei da ja selbst Meinungsforscher sagen, dass zum Beispiel dieser Umfragentrend auch daher kommen könnte, dass eben in den Medien sehr viel und sehr positiv berichtet wurde über Martin Schulz. Und dass das deswegen auch ein schwieriges, um sich selbst drehendes System ist.
Brinkbäumer: Dem würde ich nicht zustimmen. Selbstkritik liebend gerne, und wenn wir Fehler machen, dann korrigieren wir sie. Aber jetzt auch keine Asche auf das Haupt der Medien, wenn es denn nicht gerechtfertigt ist. Also Medien wie die Süddeutsche, die F.A.Z. und wir haben nach wenigen Wochen angefangen, zu fragen: Was denn aber jetzt konkret, Herr Schulz? Wollen Sie eigentlich wirklich Themen wie soziale Gerechtigkeit angehen? Was bedeutet das für steuerpolitische Fragen? Die kritischen Fragen kamen schnell, die kamen nicht erst, als Umfragen wieder in die andere Richtung gingen. Das war Journalismus, wie er sein sollte: Er war kritisch, er war hinterfragend. Dass Schulz zunächst mal wohlwollend begrüßt wurde, finde ich richtig. Weil er diese konstruktive Neugierde verdient, als einer, der die Bühne neu oder jedenfalls anders betritt. Die SPD hatte, das ist der Stand von Januar, Februar, tatsächlich andere Chancen mit ihm. Der Wert von 30, 31 Prozent, der war ja nicht erfunden. Das waren reale Umfragen. Plötzlich offenbarte sich eine Perspektive für die SPD, und das spiegeln Medien. Ich würde nicht sagen, dass das eine Euphorie durch Medien erzeugt wurde, die sich dann in Umfragen spiegelte, sondern ich würde sagen, dass Medien natürlich Umfragen abgebildet haben. Ich würde da auch gerne wieder Selbstkritik annehmen und Medien bitten, wieder weniger auf Umfragen zu hören. Das tun wir Journalisten. Dass Umfragen zu viel Bedeutung bekommen haben, das halte ich für wahr. Dass wir eine Euphorie herbeigeschrieben hätten, daran glaube ich nicht.
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