"Also diese Werkstatt des Dichters, die hat etwas unglaublich Faszinierendes. Das ist aber nicht nur im Bereich des Literarturtourismus, in der Fachwissenschaft ist seit dem 19. Jahrhundert eigentlich so ein starker Zug, sich Texte und Werke zu erklären, indem man sich die Produktionsprozesse und die Arbeitsbedingungen anschaut."
So formuliert Klaus Kastberger, Leiter des Grazer Literaturhauses und des Franz-Nabl-Instituts für Literaturforschung, den Ausgangspunkt der Tagung "Die Werkstatt des Dichters". Von der Werkstatt des Dichters geht spätestens seit Johann Wolfgang von Goethe eine unglaubliche Faszination aus. Doch nicht nur Goethes Arbeitszimmer - als beliebtes Postkartenmotiv mit magisch anmutender Aura aufgeladen - Produktions-Stätten literarischen Schaffens generell beschäftigen in unterschiedlichen Fragestellungen die Literaturwissenschaft und Editorik. Und hier sind es vor allem die extremen Beispiele, die faszinieren. Klaus Kastberger spricht von der Wiener Schriftstellerin Friederike Mayröcker.
"Bei Friederike Mayröcker müsste man einmal ein Foto von dieser Wohnung gesehen haben. Die Wohnung schaut eigentlich aus wie eine Messi-Wohnung. Es ist alles übervoll mit Materialien, mit Papiermaterialien, keine Besuchergruppe kann als Gast, sondern immer nur einzelne Besucher, das heißt das System der Wohnung regelt sowohl die Voraussetzungen ihres Schreibens, als auch soziale Umgangsmöglichkeiten, die die Autorin hat. Also bei der Mayröcker-Wohnung ist es völlig undenkbar, dass ein Archiv, ein Literaturarchiv, das einmal in der Form übernimmt, wie es als Produktionshintergrund dient. Und die Mayröcker kann aber nirgendwo anders schreiben, sie nutzt diese Zimmerumgebung und alles, was dann abfällt, wird selber wieder Teil dieser Umgebung, also das ist eigentlich wie ein geologischer Sedimentations-Prozess."
Welcher direkt auf das literarische Produkt wirkt.
"Bei den Texten der Mayröcker hat man ja als Literaturwissenschaftler oft Schwierigkeiten zu sagen, was ist das jetzt eigentlich? Ist das ein loser Haufen von Assoziationen oder worin besteht eigentlich die Qualität, und ich glaube, wenn man die Werkstatt und die spezifische Situation sich anschaut, in der Mayröcker schreibt, dann kommt man dem etwas besser auf die Spur."
Vice versa bedeutet das, man müsste für eine Mayröcker-Werkausgabe die gesamte Wohnung der Autorin mitedieren - ein interessanter Gedanke. In diesem Zusammenhang für die Editorik interessant ist die immer mehr an Bedeutung gewinnende Möglichkeit der Digitalisierung. Anne Bohnenkamp-Renken ist Direktorin des Freien Deutschen Hochstifts und des Goethe-Hauses in Frankfurt am Main, zudem Projekt-Leiterin einer digitalen Faust-Edition. Über eine Onlineplattform soll einer breiteren Öffentlichkeit so erstmals ein digitaler Einblick in die Werkstatt Goethes gewährt werden. Was für die Edition des Werkes bedeutet, dass "in dem Wegfallen der Beschränkung, allein der quantitativen Beschränkung, die im Medium des Drucks immer gegeben waren, aber natürlich auch der Statik, die ein Druckwerk hat, da muss der Herausgeber entscheiden, dieses Zeugnis setzte ich zu diesem Zeugnis, während die digitalen Editionen oder Bereitstellungen von Materialien ja ermöglichen, dass der Benutzer viel flexibler sagt, unter dem Gesichtspunkt seines Interesses möchte er es jetzt so oder anders angeordnet haben und er kann die Zusammenhänge flexibler wahrnehmen, also dass das auch ein Grund ist, warum wir über die starken Frontstellungen hinaus sind, weil wir uns nicht mehr entscheiden müssen. Wir können beides tun, wir können das Werk in seiner geschlossenen Gestalt edieren und gleichzeitig die Fülle der Materialien zur Verfügung stellen."
Gesagt - getan: Goethes Faust ist nun digital erkundbar. Welche Rolle Goethes reale Werkstatt und die dort üblichen Arbeits-Bedingungen für den Schaffensprozess gespielt haben, können Wissenschaftler heute nur zum Teil rekonstruieren. Doch wir können eine befragen, die von ihrem Arbeitsprozess erzählen kann. Verena Roßbacher wurde 1979 in Bludenz geboren, heute lebt die österreichische Schriftstellerin in Berlin und arbeitet als Mentorin am Literaturinstitut in Biel. 2009 erschien ihr Debütroman im Kiepenheuer & Witsch Verlag. Er trägt den Titel "Verlangen nach Drachen".
Szene Lesung: "Roth klopfte vorsichtig das Holz ab, lauschte. Er fuhr mit der Hand über den Geigenkörper, er schaute aus dem Fenster, im Baum hing eine azurblaue Plastiktüte schlaff in der Sonne, er legte den Kopf schief - na nu - auf der Plastiktüte stand na nu. Er holte sein Telefon hervor, tippte eine Nummer ein. Hallo ist bin's - Jetzt schon - er warf einen Blick auf die Uhr - Stimmt, ist schon Mittag, was gibt's denn Schönes? Da wird sich der Basti aber freuen, heimlich natürlich, wie es so seine Art ist. Ich halte dich auch nicht lange auf, ich wollte nur fragen, ob Klara bei dir ist - Nicht - Und weißt du wo sie sein könnte, wir waren verabredet. Er setzte sich auf das Fensterbrett, schaute hinüber zur Geige auf dem Tisch. Auch nicht? - So, hat sie das? - Und warum weiß ich das nicht?"
Verena Roßbacher nahm während der Entstehung ihres Debüt-Romans an einer Studie teil. Literaturwissenschaftlerin Claudia Dürr bat vier Autorinnen und Autoren neun Monate lang jedes Detail ihres Arbeitsprozesses zu dokumentieren. Die gesammelten Informationen wurden ausgewertet. Ziel war es unter anderem, die Beziehung von Werkstatt und Prozess zum Endprodukt, zum Text zu untersuchen. Verena Roßbacher:
"Ich bin schon, bevor ich ein Kind hatte, morgens um sieben aufgestanden wie so ein biederer Bürger, um zwölf da koch' ich Mittagessen, dann ess' ich Mittagessen und so. Aber was sagt das wirklich? Ist das etwas, das im Text auftaucht? Ich weiß es nicht."
Verena Roßbacher dreht den Spieß um.
"Interessant ist natürlich die Fehlerbehebung. Was tut man, wenn es nicht funktioniert? Und dazu haben Schreibende, seit sie schreiben, die unterschiedlichsten Ansätze. Raymond Chambers sagte: Ganz klar, du kannst alles machen, bloß nicht lesen! Setz dich unter deinen Schreibtisch, aber sitz in deinem Arbeitszimmer und beweg deinen Arsch da nicht weg. Irgendwann ist dir so langweilig, dann wirst du eher schreiben, als dass du weiter so machst."
Was bedeutet das nun für die Werkstatt des Dichters? Claudia Dürr schreibt in ihrer Studie "Wissen, Können und literarisches Schreiben" - Zitat: "Die Wahl und Gestaltung der Arbeitsumgebung hat unter anderem den Zweck, den Schreibprozess zu optimieren, eine stimulierende und konzentrierte Arbeitsatmosphäre zu schaffen. Mit zunehmender Professionalität legen Autorinnen und Autoren den Fokus darauf, Situationen zu kreieren, in denen Ideen entstehen können."