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Hyperlokaler Journalismus
Näher dran

Flexibilität, Fachkompetenz und flache Hierarchien - die kleine Redaktion des Kölner Stadtteilmagazins "Meine Südstadt" ist nah dran am Leben im Viertel. Von den Berichten profitieren nicht nur die Bewohnerinnen und Bewohner selbst, sondern ab und an auch die Tageszeitungen.

Von Sebastian Wellendorf |
Eine Frau steht im Kölner Kiosk "Brigittes Büdchen" an einem Tisch und blättert in einer Lokalzeitung.
Neues von Nebenan erfährt man in der Kölner Südstadt nicht nur aus der Lokalzeitung oder beim Schwatz am Büdchen, sondern auch online - bei "meinesuedstadt.de" (Deutschlandradio / Tamara Soliz)
Köln Südstadt, Freitag Vormittag. Jung, bunt, gentrifiziert aber dennoch urig Kölsch - gerade das macht dieses Veedel so beliebt. Zwei Männer kommen uns mit einer Gruppe Kindergartenkinder entgegen.
"Gibt's hier viele von." - "Viele Tages-Papas?" - "Ja, die siehst du hier oft mit dem Bollerwagen rum fahren."
Judith Levold ist Journalistin und Redaktionsleiterin von meinesuedstadt.de: ein hyperlokales Stadtmagazin.
"Jetzt sind wir hier in der Merowinger Straße, eine der beliebtesten Straßen in der Südstadt. Was sind die Themen, die hier so auf der Straße aktuell liegen?"
Levold: "Hier sind wirklich Geschäfts-Eröffnungen und -Schließungen ein Riesenthema. Brigittes Büdchen, das ist so ein Büdchen, was eine alte Frau betrieben hat, die dann irgendwann das alles nicht mehr so richtig mitgeschnitten hat. Und dann wurde das Sortiment mies, sie konnte sich die Miete nicht zahlen und sie sollte da rausfliegen, aber es war ihr Lebenselixier. Da sind die ganzen Nachbarn dann hier eingesprungen zusammen mit der kleinen Karnevalsgesellschaft Ponyhof, vorwiegend junge Leute. Die haben dann das Büdchen renoviert erst Geld gesammelt für einmal komplett den Laden wieder vollmachen. Und jetzt hat sie sich wieder gekrabbelt und jetzt läuft das Ding wieder richtig gut. Also solche Sachen passieren hier."
"Das sind alles Themen, die dann auch auf meine Südstadt stattfinden würden?" - "Absolut."
Journalistin Judith Levold auf dem Podium des DJV Journalistentag NRW 2013 in Dortmund.
"meinesuedstadt.de" sei "eine unheimlich gute Spielwiese", meint Redaktionsleiterin Judith Levold (dpa / Robert B. Fishman)
Kleine Redaktion, flache Hierarchien
Meine Südstadt.de gibt es seit 2010. Damals als reines Nachbarschaftsportal gegründet. Wer kann helfen, wer wohnt hier eigentlich, was treibt die Nachbarn so um? Mittlerweile gibt es zwei Redaktionsleiter und zwölf freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Zum heutigen Redaktionstreffen in einem Hinterhof-Raum kommen aber nur wenige. Ist auch nicht notwendig. Denn Entscheidungen fallen hier nicht am Ende langer Sitzungen oder werden Vorgesetzten zum Abnicken vorgelegt.
Redaktionsleiter Stefan Rahmann: "Wir kriegen einen Anruf: 'Soll ich das machen?' Dann geht er los und macht es ganz einfach. Wir machen im Unterschied zu den Tageszeitungen relativ wenig Termin-Journalismus. Und deshalb sind wir unabhängiger, flexibler und interessanter."
Levold: "Ich finde das eine unheimlich gute Spielwiese, um auch etwas auszuprobieren und um auch zu testen. Interessiert die Leute Politik, interessieren die Leute unsere Beobachtungen, die wir in der Politik machen, wenn wir an einem eher trockenen Thema dranbleiben. Wir haben halt keine Redaktionsleitung, die uns sagt: Nee, das will ich eher nicht, ne, das hatten wir schon oder packt da noch das und das rein. Das können wir alles frei entscheiden. Und deshalb kommt es zu Texten, die sonst nirgends erscheinen würden, die dann aber trotzdem sehr erfolgreich sind.
Kleine Redaktionen, Flexibilität, Spontaneität und flache Hierarchien. Ein Erfolgsgeheimnis der hyperlokalen Onlinemedien. Die andere Stärke dieser Medien ist die spezifische Fachkompetenz. Zwölf freie Kolleginnen und Kollegen, die so wie alle Mitarbeiter in der Südstadt leben und arbeiten.
Kein großer Sender und keine größere Zeitung kann sich so ein engmaschiges Reporternetzwerk leisten. Und damit verpassen sie aus Sicht von Stefan Rahman und Judith Levold mehr als nur relevante Themen.
Rahmann: "In den 70er Jahren hieß es Willy wählen und alle waren SPD. Das ist alles sehr viel differenzierter geworden und die Leute kümmern sich mehr um die Dinge, die vor ihrer Haustür passieren."
Levold: "Die Leute engagieren sich gegen Müll, gegen Rassismus. Die wollen mehr Ernährungssouveränität, die fangen an, ihre Stadtviertel und den öffentlichen Raum zu erobern und zu gestalten und haben damit auch politische Anliegen, die sie vor ihrer Tür umsetzten und wo sie auch viele mit einbeziehen, die sonst hinten runterfallen. Und das finde ich wird von den Leitmedien zu wenig beachtet, weil die eben nicht ins Kleine gehen. Und da sehen wir dann auch regelmäßig, dass die Tageszeitungen exakt das abschreiben, was sich bei uns in der Social-Media-Gruppe tut oder wahlweise auch die Artikel oder Meldungen, die wir dazu meistens vorher schon online gestellt haben."
"Taschengeld" für die Mitarbeiter
"Meinesuedstadt.de" finanziert sich durch Werbeeinahmen. Lokale Unternehmen, die auf der Seite Anzeigen schalten und so minimale Honorare ermöglichen. Weder Freie Mitarbeiter noch Redakteure können aber davon leben.
Levold: "Ich sage mal Taschengeld, weil es eben nicht mehr Partner gibt, das ist halt dann die Grenze des Hyperlokalen, da sind halt auch nur so und soviele Unternehmen, die sich als Partner beteiligen können oder wollen. "
Und dennoch wächst das Portal, zumindest was Zugriffszahlen und Reichweite betrifft. Aber andererseits: zwei Stunden Redaktionssitzung, viele Wochen-Stunden Recherche, Telefonate und Textabnahme nur für ein Taschengeld? Was treibt die Journalistinnen und Journalisten an?
Rahmann: "Ich finde, dass wir hier besseren Journalismus machen als an vielen Stellen in Köln gemacht wird."
Levold: "Ich würde nicht sagen: Wir machen in allem den besseren Journalismus. Aber ich glaube, die Auswahl der Themen, worauf guckt man."
Rahmann: "Und das ist meine Motivation, Teil davon zu sein, einfach den Leuten etwas zu bieten, was sie sonst nie bekommen und hinter dem ich auch stehen kann."