Baetz: Auch in Österreich sah es eine Weile so aus als ob das Thema Pressefreiheit dort virulent würde. Hintergrund waren u.a. die Angriffe von FPÖ-Politikern wie Hans Christian Strache auf den öffentlichen Rundfunk. Straches Karriere allerdings bekam einen entscheidenden Knick durch die Veröffentlichung des so genannten Ibiza-Videos durch Süddeutsche Zeitung und Spiegel. Es war schon zwei Jahre zuvor mit versteckter Kamera aufgenommen worden. Strache trat im Mai als FPÖ-Vorsitzender und Vizekanzler zurück - mit u.a. folgenden Worten:
O-Ton Strache: Ich hab in den letzten drei Jahren viel an Verleumdungen und Diffamierungen, aber auch an Bösartigkeiten erleben müssen. Was aber hier vor zwei Jahren inszeniert wurde, hat eine völlig neue Dimension. Hier wurde in Silberstein-Manier eine Schmutzkübel- und Desinformationskampagne gestartet, die an Perfidie und auch an Niederträchtigkeit nicht zu übertreffen ist.
Baetz: Aufklärer der Ibiza-Affäre waren neben Martin Knobbe vom "Spiegel" die beiden Investigativ-Reporter der Süddeutschen Zeitung Bastian Obermayer und Frederik Obermaier, übrigens beide nicht miteinander verwandt. Sie haben heute nun ein Buch zur Recherche veröffentlicht. Mit Frederik Obermaier habe ich deshalb vor dieser Sendung gesprochen und ihn gefragt, ob einen erfahrenen Journalisten wie ihn solche Äußerungen, wie sie Strache bei seinem Rücktritt getan hat, noch irritieren.
Obermaier: Ich finde es nicht sehr schön, wenn ein Politiker wie Herr Strache über einen selbst, über die Arbeit sehr sehr schlecht redet. Auch jetzt in den letzten Tagen, wenn Herr Strache dann immer wieder ja auch über die… er nennt uns immer die "sogenannten investigativen Journalisten". Aber gleichzeitig ist es natürlich auch so: Dieser Mann ist sehr, sehr tief gefallen, das war sicher auch keine leichte Zeit für ihn. Und ich versuche Kritik, faktische Kritik ernstzunehmen, aber auch so dieses bisschen beleidigt Klingende und auch dass er sich selbst als Opfer stilisiert, da muss ich sagen: Das versuche ich irgendwie, dass es an mir vorbeizieht.
Baetz: Auslöser für seinen Rücktritt war ein siebenminütiges Video, was Sie online gestellt haben. Sie haben natürlich auch darüber berichtet, aber ich denke, das Video war durchaus ausschlaggebend, dass sich sehr viele Leute einen Eindruck bilden konnten über das, was dort auf Ibiza passiert ist. Das ganze Videomaterial war allerdings sieben Stunden lang. Warum haben Sie das nicht alles online gestellt?
Obermaier: Weil in Deutschland und übrigens auch in Österreich sind die rechtlichen Hürden sehr, sehr hoch. Dass man ein heimlich aufgenommenes Video einfach so veröffentlicht, das ist rein rechtlich gar nicht möglich. Sondern die Hürde ist, dass es ein sehr, sehr hohes, ein überragendes öffentliches Interesse vorhanden sein muss, deswegen haben wir eine Auswahl gezeigt, nämlich die Aussagen, die belegen, dass Herr Strache an diesem Abend ganz klar korrupte Praktiken auch in Aussicht gestellt hat und auch die österreichische Medienlandschaft nach dem Vorbild von Victor Orban aus Ungarn umbauen will. Sonst ist auf dem Video… zum einen gibt es da Teile, wo Herr Strache unbestätigte Gerüchte über Dritte verbreitet. Das ist zum Beispiel was, das sollte nicht an die Öffentlichkeit. Das hat da nichts zu suchen, das wäre höchst unfair gegenüber diesen Personen.
Baetz: Eine große Kritik an Ihrer Arbeit bestand darin, dass dieses Video ja von 2017 war und eben erst 2019 veröffentlicht worden ist. Warum ist es so lange liegengeblieben?
Obermaier: Ich werte das gar nicht als eine Kritik an meiner Arbeit oder der Arbeit der SZ oder des "Spiegels". Sobald wir das Video vorliegen hatten, haben wir sofort losgelegt. Wir haben zwei Gutachten eingeholt. Sobald wir mit den Recherchen fertig waren, sind wir sofort damit an die Öffentlichkeit gegangen. Es war aber so, dass wir das Video erst sehr, sehr spät bekommen haben. Wir hatten es zwar schon vor vielen Monaten zum ersten Mal gesehen, aber nur auf der Grundlage eines Videos, was wir gesehen haben oder wo wir noch nicht überprüfen konnten, ob es auch authentisch war, auf der Grundlage wollten und hätten wir auch nicht veröffentlichen können.
"Das sind schon Stressphasen"
Baetz: Wie nervenaufreibend kann man sich denn das Umgehen oder den Umgang mit einem solchen brisanten Material vorstellen?
Obermaier: Das sind schon Stressphasen, das muss man wirklich sagen. Die Tage vor so einer Veröffentlichung, da schlaf ich meistens nicht sehr gut. Da kommt zum einen der Druck. Man weiß ja, dass das sehr sehr schwere Vorwürfe sind, die man erhebt, da muss wirklich jeder Satz, jedes Wort sitzen. In den letzten Tagen vor der Veröffentlichung ist es dann so, dass solche Artikel mehrmals von Rechtsanwälten abgenommen werden, von Faktcheckern, von der Chefredaktion. Da merk ich dann, kurz bevor die Zeitung in Druck geht oder man klickt, dass ein Artikel online geht, da geht der Puls noch mal ganz schön nach oben.
Baetz: Welche Vorkehrungen haben Sie denn getroffen, um zu verhindern, dass Ihre Recherche vorzeitig überhaupt bekannt wird?
Obermaier: Wir haben zum einen in der Süddeutschen Zeitung – und die Spiegel-Kollegen haben es ähnlich gehalten – nur einen sehr sehr kleinen Kreis an Kollegen eingeweiht. Lange Zeit wusste zum Beispiel bei uns nur der Chefredakteur Wolfgang Krach von der Existenz dieses Videos, dass wir das gesehen haben. Und es gab auch lange Zeit noch eine Parallelplanung. Da gab es einen parallelen Artikel über ein ganz anderes Thema, den man auch in der letzten Minute hätte einwechseln können, falls wir auf irgendwas gestoßen wären, wo wir dann gedacht hätten, wir müssen zum Beispiel noch warten, weil wir noch was überprüfen müssen. Man kann bis zum letzten Mal immer noch den Stecker ziehen und sagen: Wir warten noch. Und irgendeinen Grund, warum man gar nicht veröffentlichen sollte.
Baetz: Stichwort Sicherheit. Es gab aber auch durchaus seltsame Vorgänge zum Beispiel, was Ihre E-Mail-Konten betraf. Könnten Sie dazu was Kurzes erzählen?
Obermaier: Ja, es gab leider sehr sehr besorgniserregende Geschehnisse. Zum einen haben wir gemerkt, dass offenkundig jemand versucht hat, sich in unsere Messenger-Services einzuloggen oder einzuhacken. Zum anderen gab es einen Kollegen, der mit an den Artikeln geschrieben hat und redigiert hat, bei dem wir gemerkt haben, dass sein E-Mail-Postfach gehackt wurde. Da hat sich jemand eben eingehackt und dann versucht, uns auch aufzuspüren.
Konfrontation per Whatsapp
Baetz: Haben Sie eine Ahnung, wer das gewesen sein könnte?
Obermaier: Nein. Das ist sehr sehr schwer nachzuweisen, ob das überhaupt mit Österreich zu tun hatte, mit dem Ibiza-Video. Wir erleben leider immer häufiger, dass die Süddeutsche Zeitung im Visier von Hackern steht. In dem Zusammenhang hier konnten wir nicht nachvollziehen, woher das kam.
Baetz: Einer der heikelsten Vorgänge bei so investigativer Recherche ist ja dann die Konfrontation des Betroffenen mit dem recherchierten Material. Wie haben Sie das erlebt?
Obermaier: In dem Fall war es so: Wir haben Herrn Gudenus und Herrn Strache E-Mails, aber auch Whatsapp-Nachrichten geschrieben. Und Whatsapp hat ja den Vorteil, dass, wenn's das Gegenüber nicht unterbindet, sieht man, wenn eine Person eine Nachricht liest. Und so war es in dem Fall nach ein paar Minuten schon, dass wir gesehen haben, Herr Strache und Gudenus haben unseren Vorhalt, also unsere Fragenlisten erhalten, haben sie offenkundig gelesen. Und es hat dann auch ziemlich schnell ein Sprecher von Herrn Strache uns angerufen oder bei dem Kollegen angerufen und wollte so ein bisschen rausfinden, raushorchen, was wir denn da genau haben. Und dann am Ende war es dann wirklich so, dass uns Herr Strache und Herr Gudenus beide ein schriftliches Statement geschickt haben, das auch fast wortgleich war.
Baetz: Das heißt, sie haben das bestritten oder wie kann man sich das vorstellen?
Obermaier: Sie haben nicht bestritten, dass der Abend stattgefunden hat. Also die Version ist kurz gefasst eigentlich so: Sie haben sich da mit jemandem getroffen. Es war, wie der Herr Strache dann später gesagt hat, eine b'soffene G'schicht, also ein alkoholisierter Abend. Und alles, was dort besprochen wäre, wäre im privaten Kreis gefallen und wäre nicht umgesetzt worden. Im Endeffekt hat er damit suggeriert, das war doch alles gar nicht ernst gemeint. Das nehme ich natürlich zur Kenntnis, das haben wir auch so wiedergegeben, aber ich traue dieser Version nicht wirklich, weil wir auch wissen, dass es nach dem Treffen auf Ibiza noch mindestens zwei Nachtreffen gab, wo Herr Gudenus dann den männlichen Begleiter dieser vermeintlichen Oligarchennichte noch mal getroffen hat, wo dann die Gespräche von Ibiza wieder fortgeführt wurden und wo es dann sogar so weit kam, dass man als Geste des guten Willens, dass man zeigen wollte, man ist immer noch interessiert am Deal mit der Russin, dass daraufhin die FPÖ eine ots-Meldung, also eine Pressemitteilung ausgesandt hat mit einem Inhalt, der vorher mit diesem männlichen Begleiter der Russin abgestimmt war.
Baetz: Frederik Obermaier war das von der Süddeutschen Zeitung über die Recherchen zur so genannten Ibiza-Affäre, dem bislang größten Skandal der österreichischen Zweiten Republik.