In Österreich soll neu gewählt werden. Die Koalition zerbrach wegen kompromittierender Videos. Wer hinter den Aufnahmen steckt und warum sie gerade jetzt veröffentlicht wurden, darüber wird viel spekuliert. Außerdem gibt es nun Aussagen, die ÖVP bereite sich schon seit Januar auf Neuwahlen vor.
Die wichtigsten Fragen und Fakten zum #Ibizavideo:
Was ist auf dem #Ibizavideo zu sehen?
Die von "Spiegel" und "Süddeutscher Zeitung" verbreiteten Video-Ausschnitte zeigen den damaligen Oppositionspolitiker Strache im Gespräch mit der angeblichen Nichte eines russischen Oligarchen. Dabei geht es unter anderem um die Idee, die Frau solle die auflagenstärkste Zeitung Österreichs, die Kronen Zeitung, mehrheitlich erwerben, die FPÖ publizistisch fördern und im Gegenzug öffentliche Aufträge erhalten.
Die Frau bietet laut SZ an, rund eine Viertelmilliarde Euro in Österreich zu investieren. Heikel sind auch Straches Aussagen zu angeblich verdeckten Wahlkampfspenden und seine Aufzählung prominenter Unterstützer, die diese Praxis angeblich nutzten.
Bei dem Treffen auf Ibiza war auch der damalige Wiener Vizebürgermeister Johann Gudenus von der FPÖ anwesend, dessen Ehefrau und ein weiterer Mann. Das Treffen fand vor der österreichischen Nationalratswahl 2017 statt.
Wer verbirgt sich hinter der angeblichen Nichte eines russischen Oligarchen?
Das ist weiterhin unklar. Der russische Unternehmer Igor Makarow hat einem Medienbericht zufolge keine Verwandte mit dem Namen Aljona Makarowa. Das berichtet die österreichische Presseagentur APA unter Berufung auf die russische Ausgabe des Wirtschaftsmagazin "Forbes". Es sei bekannt, dass er ein Einzelkind gewesen sei und keine Nichten habe, sagte demnach Makarow. Wer immer die Frau auf dem Ibiza-Video sei, er kenne sie nicht.
Der Unternehmer prüft nun rechtliche Schritte. Er werde alle juristischen Möglichkeiten nutzen, um die Frage zu klären, wer hinter der nicht autorisierten Verwendung seines Namens gestanden habe, zitiert die "Tiroler Zeitung" den russischen Unternehmer. Die "Süddeutsche Zeitung" hatte in ihren Berichten geschrieben, die Frau sei Strache und Gudenus als "Aljona Makarowa vorgestellt [worden], eine angebliche Nichte von Igor Makarow, einem Putin-nahen russischen Oligarchen."
Welche Theorien gibt es über mögliche Urheber der Videos?
Schon in seiner ersten Stellungnahme am Samstag bringt Kanzler Kurz den Namen Tal Silberstein ins Gespräch. Der ÖVP-Politiker sagte wörtlich: "Auch wenn die Methoden klarerweise für mich schon sehr eindeutig an Tal Silberstein erinnern, verachtenswert sind der Inhalt, der ist einfach, wie er ist." Der Politikberater Silberstein wurde im August 2017 wegen Korruptionsvorwürfe in Israel verhaftet. Während der österreichischen Nationalratswahlen 2017 war er von der Sozialdemokratischen Partei Österreichs engagiert worden und hatte "schmutzige" Wahlkampagnen gesteuert.
Auch heute ging Kurz in mehreren Interviews in österreichischen Zeitungen auf die Personalie Silberstein ein. In der Zeitung "Heute" sagte Kurz: "Wir alle wissen, dass die SPÖ 2017 Tal Silberstein damit beauftragt hat, die politischen Gegner zu zerstören. (….) Hier wurde sehr viel Geld in die Hand genommen, und ich halte es für möglich, dass er dahintersteckt."
Der Satiriker Jan Böhmermann hatte im April bei der Verleihung des österreichischen TV-Preises "Romy" in einer Video-Botschaft detaillierte Andeutungen über den Inhalt des Videos gemacht. Auch Strache selbst erwähnte den ZDF-Moderator in seiner Rücktrittsrede. Nun hat Böhmermann auf Twitter ein Special zu seiner Sendung Neo Magazin Royale angekündigt und einen Link zu der URL "Dotheyknowitseurope.eu" gesetzt, in deren Quellcode das Wort "Ibiza" auftaucht. Die Seite zeigt einen Countdown bis Mittwochabend, 20.30 Uhr, also den Vorabend der üblichen Sendung Böhmermanns. Ob der Countdown oder das angekündigte Special etwas mit den Videos zu tun haben, darüber kann nur spekuliert werden.
Der Schriftsteller Robert Menasse überlegt dagegen in der Süddeutschen Zeitung, dass die Veröffentlichung Kanzler Kurz am meisten nütze. Seiner Meinung nach war klar, dass irgendwann der Moment kommen müsse, "an dem es für die Christdemokraten nicht mehr erträglich ist, unausgesetzt diese Schmuddelpolitik verteidigen zu müssen". Menasse verweist außerdem darauf, dass die ÖVP schon vor Wochen Plakatflächen gemietet habe und zwar landesweit und für September, den Zeitpunkt der nun angesetzten Neuwahl. Auch der österreichische Blogger Gerald Kitzmüller deutete (bereits am 18. Januar!) an, dass die ÖVP Neuwahlen im Herbst vorbereite. Es gebe intern schon Ausschreibungen für den Wahlkampf. Kitzmüller war sich allerdings sicher: "Die ÖVP lässt die Koalition nach den Europawahlen platzen."
Was verbirgt sich hinter den angeblichen Wahlkampfspenden?
In dem Video spricht Strache von einem gemeinnützigen Verein mit drei Rechtsanwälten. Vermögende Spender würden an dem Rechnungshof vorbei Gelder an den Verein überweisen. Belege dafür gibt es nicht. Zudem dementieren alle von Strache genannten Unternehmer verdeckte Spenden.
Was ist nicht zu sehen?
Spiegel und Süddeutsche Zeitung haben das ihnen zugespielte Video nur auszugsweise veröffentlicht. Insgesamt soll es sich um rund sechs Stunden Filmmaterial handeln. Wer während des Treffens noch zu sehen ist und um welche Themen es noch ging, ist nicht klar.
Der Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung, Kurt Kister, schreibt: "Auf dem Videomaterial gibt es viele entlarvende, manche eklige und etliche fast Mitleid erregende Sequenzen. Die meisten davon sind privater Natur, sie sollen das auch bleiben."
Ist das Video echt?
Strache und der jetzt zurückgetretene FPÖ-Fraktionschef Johann Gudenus, der ebenfalls auf dem Video zu sehen ist, haben die Echtheit des Materials nicht bestritten. Nach Angaben der Redaktionen wurden Bild und Ton von Datenforensikern überprüft und die Echtheit bestätigt. Den Medien lagen nach eigenen Angaben auch Fotos der Rechnung über die Buchung der Villa auf Ibiza vom 22. bis 25. Juli 2017 vor.
Die Süddeutsche Zeitung gab an, dass die wichtigsten Passagen aus dem Video einem externen Anwalt vorgespielt worden seien. Dieser könne bezeugen, dass die abgedruckten Zitate mit dem Wortlaut der Aufnahmen übereinstimmten. Eine beeidigte Dolmetscherin habe die auf Russisch geführten Teile der Unterhaltung übersetzt.
Was sagen die Beteiligten zu den Aufnahmen?
Strache selbst nannte das Video besonders niederträchtig und sprach von einer "Schmutzkübel-Aktion" gegen ihn, einem "geheimdienstlichen Angriff" – einem "gezielten politischen Attentat". Sein eigenes Verhalten bezeichnete Strache als "alkoholbedingtes Machogehabe". Es sei "dumm" gewesen und "unverantwortlich", "ein Fehler". Wie Gudenus verweist auch Strache darauf, dass "mehrmals" auf – Zitat – die relevanten gesetzlichen Bestimmungen und die Notwendigkeit der Einhaltung der österreichischen Rechtsordnung hingewiesen werde.
Warum wurde das Video jetzt veröffentlicht?
Das kurz vor der Nationalratswahl 2017 heimlich gedrehte Video wurde nach den Worten des Spiegel-Redakteurs Wolf Wiedmann-Schmidt im Laufe des Monats übergeben; die beteiligten Redakteure der Süddeutschen Zeitung erklären in einem Video, sie hätten das Material endgültig vor einer Woche erhalten. Danach habe man mit der Auswertung begonnen und die beteiligten Politiker damit konfrontiert. Anschließend wurde das Material in Ausschnitten publiziert. Die Aufnahmen seien nicht mit Absicht vor der Wahl Ende Mai platziert worden, betont der Spiegel. Der Süddeutschen Zeitung sind die Aufnahmen nach eigenen Angaben schon vor mehreren Monaten angeboten worden. Die österreichische Zeitung "Falter" wusste nach eigenen Angaben seit dem vergangenen Jahr von der Existenz des Videos.
Wie ging es nach dem Treffen auf Ibiza weiter?
Wie die Süddeutsche Zeitung berichtet, hatte Gudenus auch nach dem Treffen in Ibiza offenbar wochenlang Kontakt zu der vermeintlichen russischen Investorin und ihrem Umfeld. Gudenus und Strache hätten das zuvor anders dargestellt. Die Kronen-Zeitung gehört weiterhin zu 50 Prozent der Gründer-Familie Dichand. Die andere Hälfte gehörte zur Zeit des Ibiza-Treffens über die WAZ Ausland Holding der deutschen Funke-Gruppe.
Wer hat die Aufnahmen gemacht und weitergegeben?
Das ist bislang unklar. Spiegel und Süddeutsche Zeitung wollen ihre Quellen nicht preisgeben. Laut Süddeutscher Zeitung wurde das Material in einem Hotel auf USB-Sticks übergeben. Geld soll dabei nicht geflossen sein. Die beteiligten Redaktionen lehnen es ab, das gesamte Material den Behörden zur Verfügung stellen. Die österreichische Justiz hat ein entsprechendes Interesse bekundet.