Karin Fischer: Die Nachricht, die uns gestern erreichte, dass nämlich das ICC Berlin, das Internationale Congress Centrum, unter Denkmalschutz gestellt wird, ist eine gute Nachricht. Das marode Monster ist ein wesentlicher Bestandteil jener Westberliner Stadtgeschichte, die heute gern mal als vernachlässigt beschrieben wird. Grund genug, mit dem Architekturkritiker Nikolaus Bernau zurückzublicken auf die Entstehungsgeschichte und die bauliche Leistung.
- Herr Bernau, was am ICC ist schützenswert im Sinne des Denkmalschutzes?
Nikolaus Bernau: Eigentlich alles. Also, es gibt nichts, was an diesem Gebäude nicht schon vor 20 Jahren hätte sofort unter Schutz gestellt werden müssen. Dass es erst jetzt auf die Liste kommt, ist eine rein politische Entscheidung. Es hat überhaupt nichts mit der fachlichen Einschätzung dieses Gebäudes zu tun. Das fängt an mit dem Städtebau, der grandios ausgewählt wurde, über diesem tief in den Berliner Stadtkörper eingreifenden Ringgraben, in dem die Eisenbahn und die S-Bahn und auch große Teile der Autobahn verlaufen. Darüber erhebt sich dieses riesige Raumschiff von ICC. Das ist auch das erste im Grunde genommen, was man sieht, wenn man die AVUS hochfährt. Und die AVUS ist der alte Weg nach Dreilinden gewesen, also zum ehemaligen Kontrollpunkt. Das heißt, diejenigen, die nach Westberlin kamen, die sahen erst den Funkturm, und dann sahen sie sofort das ICC als großes Monument: Berlin hat eben doch noch Bedeutung! Das war das eine, die städtebauliche Lage.
Durchentworfen bis zur letzten Türklinke
Das zweite: Es ist ein großartiges Kunstwerk. Es ist von Ralf Schüler und Ursulina Schüler-Witte entworfen worden als ein Gesamtkunstwerk des Pop-Art, der Hightech-Architektur – es schwankt so ein bisschen in der stilistischen Einordnung. Und das geht runter bis zur letzten Türklinke, bis zu den Teppichböden, bis zu jeder Kante. Das ist durchentworfen in einer Qualität, die man sich heute gar nicht mehr vorstellen kann. Übrigens auch in einer materiellen Qualität: Die Fußböden von vor 40 Jahren sind bis heute tiptop in Ordnung.
Und dann ist eben die technische Bedeutung dieses Gebäudes ganz immens: Man hat versucht, diese ziemlich komplizierte städtebauliche Lage zwischen sehr, sehr lauten Verkehrsträgern abzupuffern, indem die ganzen Säle aufgelagert wurden auf freien Polstern. Das heißt, die schwingen alle mit. Das ganze riesige Gebäude schwingt. Das hätte längst unter Denkmalschutz gestellt werden müssen.
Fischer: Was ist heute der Nutzen einer Denkmalschutz-Plakette, die normalerweise ja als Gift gilt für Investoren, speziell wenn man es mit Asbest zu tun hat wie beim ICC?
Zurück zum Ursprung
Bernau: Sie haben vollkommen Recht. Denkmalschutz ist immer ein Problem für Investoren, auch wenn sie sehr viele Subventionen bekommen. Aber in diesem speziellen Falle eigentlich nicht, weil der Investor dort ist ja gleichzeitig der Staat. Da wurde aber das Argument Asbest sehr, sehr hochgespult von der Berliner Messe, auch von der Berliner Wirtschaftsverwaltung, um ein Argument zu finden, dieses Gebäude abzureißen. Die Asbest-Belastung ist längst bereinigt, im Wesentlichen zumindest. Und vor allem war es eine spezielle Konstruktion, das heißt, es war relativ leicht, es zu bereinigen.
Fischer: Seit Mai 2019 liegen ja auch neue Ideen vor für eine künftige Nutzung dieses silbernen Raumschiffs. Wie könnte es Ihrer Meinung nach denn weitergehen mit dem Denkmal?
Bernau: Die wichtigste Entscheidung war die, dass das Congress Centrum wieder als Kongresszentrum genutzt werden soll. Das ist eine ganz, ganz wichtige Angelegenheit, einfach deswegen, weil alle Umbauvorschläge, die bis jetzt gemacht wurden, alle Ideen – wir umhüllen es mit einer großen Kunststoffhülle, wir machen ein Shopping-Center rein, wir machen die Zentral- und Landesbibliothek rein, wir machen ein Sport-Zentrum rein, ein Hotel rein – die hätten alle immer mit der Zerstörung des Gesamtkunstwerks geendet. Jetzt, wo man sich entschlossen hat: Wir werden es weiterhin als Kongresszentrum nutzen – geht es vor allem um technische Fragen. Zum Beispiel: Wie kann man die Klimaanlage erneuern, ohne die Oberflächen des Gebäudes zu zerstören? Wie kann man die großen und ausufernden Räume neu gliedern, sodass das ganze Gebäude wirtschaftlicher betrieben werden kann?
Das ICC war das wirtschaftlich erfolgreichste Kongresszentrum Deutschlands. Und eines der wirtschaftlich erfolgreichsten Europas. Nur waren seine Betriebskosten so hoch, dass dieser Erfolg gar nicht wirksam wurde.
Diesmal wird nicht abgerissen
Fischer: Nochmal zurück zum Anfang, Nikolaus Bernau: Es hat sich ja die Sicht auf das ICC gerade durch die Geschichte Berlins mehrfach geändert. Wie würden Sie seinen Stellenwert heute charakterisieren?
Bernau: Sie hat sich ja sehr, sehr geändert. Man kann jetzt wirklich nicht sagen, dass sie in den 80er-Jahren beliebt gewesen ist. Da gab es ziemlich heftige Kritik an diesem Monster, an diesem Riesenbau. Die negativen Konnotationen waren immens. Die Perspektive hat sich vor allem geändert durch den Abriss des Palastes der Republik. Damit wurde nämlich zum ersten Mal klar: Man reißt Gebäude ab, obwohl es wirtschaftlich vollkommen unsinnig ist. Und obwohl es kulturell wirklich eine Barbarei war, dieses Gebäude abzureißen, weil man es politisch nicht mehr wollte. Und dieses Schicksal drohte ja dem ICC auch. Es gab eine Generation von Planern und Politikern, die fanden dieses Gebäude einfach scheußlich. Und sie wollten einfach dieses Gebäude als Kostenträger aus dem Etat des Landes Berlin rauskriegen. Dazu schien ihnen der Abriss das adäquate Mittel zu sein. Da gibt es inzwischen eine so große, breite Massenbewegung – das hat mit Westberliner Identitäten zu tun, die was damit zu tun, dass eine neue Generation Abriss generell unsinnig findet, weil es sehr viel Energie verschwendet – diese breite Bewegung konnte nicht mehr ignoriert werden. Und das ist der wesentliche Grund, warum es jetzt endlich unter Denkmalschutz gestellt wurde.